Musik und Turbokapitalismus

Enzyklopädie der Kritischen Masse

Quelle:
Taktlos No. 24 (Dezember)
Kultur 2000

Sendetermin: 3.12.1999 / 20:05 Bayern2Radio
Website taktlos

Musik und Turbokapitalismus

Musikbeispiel 1:
John Oswald Plexure Nummer 1 (kurzer Anfang 4 Sekunden)

Sprecher:
Die Postmoderne ist tot. Das Zauberwort der Gegenwart heißt: Turbo. Die Kulturkritik redet nur noch vom Turbokapitalismus.

Musikbeispiel 2: (wie 1)

Sprecher:
Der Turbokapitalismus ist so etwas wie der gute alte Manchesterkapitalismus, nur sehr viel schneller. Turboschnell eben.

Was liegt näher als für das nächste Jahrhundert eine Turbo-Kultur zu entwickeln. Turboschnell rasen die Turbo-Touristen durch das Turbo-Internet. Der Turbo-Rundfunk sendet die neueste Turbo-Aufnahme der Turbo-Sinfonien von Beethoven unter der Leitung von Mister Ober-Turbo: Sir Simon Rattle. Musicalhäuser entstehen ebenso turbo-schnell wie sie dann auch wieder vergehen. Allenfalls genug Zeit für einen flüchtigen Börsengang – und Börsenchrash.

Musikbeispiel 3:
John Oswald, plunderphonics, Track 21 von Anfang an, bei Turbo-Sinfonien drunterlegen, dann etwa 10 Sekunden frei stehen lassen und unter den Text blenden bis Kulturlockstoffe stehen lassen.

Sprecher:
Die Kultur braucht dazu Menschen, die sich unterschiedslos allem zuwenden können, was ihnen da entgegengebracht wird. Es ist alles einerlei. Die Sinnesorgane werden zu Nachbrennern der flüchtigen Kulturlockstoffe. In dieser Menge der Reize, reicht keiner mehr wirklich unter die Haut. Schnell, schnell, schnell geht’s zum einen Ohr hinein und aus dem anderen wieder heraus. So ist das nun mal in einer vom Turbokapitalismus bestimmten Welt. Und warum sollte für Kulturgüter etwas anderes gelten als für die Wirtschaftsgüter. Es sei denn man verkrieche sich in einen neuen Biedermeier. Diese ewig-gestrigen Menschen, mit ihren hölzernen und blechernen Instrumenten, die im Muff ihrer modrigen Spielorte aus dem 19. Jahrhundert vor sich hinwurschteln: Kegelclubs des nächsten Jahrhunderts.

Es ist egal wie man es anstellt, entweder biedert man sich an den Geschwindigkeitsrausch an und produziert Kulturklumpen ohne Profil oder man steht da wie ein Ultrakonservativer, an dem die Zeiten vorüberfliegen. Ob da unsere jungen Kulturgeschäftsführer und -manager etwas entgegensetzen können? Das ist doch sehr unwahrscheinlich. Denn sie sind zum Ende auch nur Techniker der Anpassung. Und den möchte ich sehen, der bei voller Fahrt auf den Gesellschafts-ICE aufspringt. Anhalten kann so ein Turbo-Monster nur eine Katastrophe. Doch die kann erst recht keiner wollen.

Schlußmusik 4:
Plexure Track 12 Velocity (vom Schluß weg ca. 15 Sekunden)