Musik:
John Cage:
Präpariertes Klavier (unter dem Beginn des Textes liegen lassen)
Sprecher:
Das Gejammer um Werteverluste und Kulturerosionen ist in allen Feuilletons
deutlich zu hören. Klar, worüber sollen die noch schreiben,
wenn es keine sogenannten Kulturveranstaltungen gäbe. Eine komplette
Gruppe von Journalisten müßte sich nach neuen Arbeitsfeldern
umsehen oder, was vielleicht einfacher ist, den Begriff der Kultur neu
verstehen lernen. Aber lassen wir diesen abseitigen philosophischen Blick
in die Eingeweide mal beiseite, es soll jetzt nicht um singende Binden,
jodelnde Kondome, Fußballstars als Tenöre und dergleichen gehen.
Auch geht es bei dem Begriff der "Alternativen Kulturfinanzierung"
nicht darum, statt mit Geld jetzt mit Bananen "die" Kultur zu
finanzieren, obwohl dieses Verfahren bei der Vereinigung der beiden deutschen
Staaten vor 10 Jahren durchaus funktioniert hat.
Faktum ist, daß
sich die öffentliche Hand aus der Verantwortung für die Finanzierung
einer freien und allgemein zugänglichen Kultur lieber heute als morgen
verabschieden möchte. Das Zauberwort vom Kulturauftrag wird peu a
peu abgeschoben in private Finanzierungsmodelle durch Mäzene, Sponsoren,
Stiftungen, Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkten
Haftungen.
Das hat ja auch Tradition.
Ein Blick auf das Leben von Ludwig van Beethoven belegt diesen Trend:
Als sich Beethoven im Jahre 1809 von Wien nach Kassel wenden wollte, um
dort als Kapellmeister eine Anstellung anzunehmen, fanden sich überraschend
drei Personen zusammen, um Beethoven lebenslang durchzufüttern. Erzherzog
Rudolph, Fürst Lobkowitz und Fürst Kinsky legten 4000 Florin
für ein Jahresgehalt zusammen, denn für sie hat gegolten: "Es
muß das Bestreben und das Ziel jedes wahren Künstlers sein,
sich eine Lage zu erwerben, in welcher er sich ganz mit der Ausarbeitung
größerer Werke beschäftigen kann und nicht durch andere
Verrichtungen oder ökonomische Rücksichten davon abgehalten
wird."
Zu Beethovens Zeit
hatte dieses Finanzierungsmodell noch Stil, indem Beethoven jenen
Gönnern eine hübsche Widmung in seine Kompositionen schrieb.
Die Gegenwart ist profaner. Da findet sich bei Wolfgang Rihm schon mal
der prosaische Hinweis: "Auftragwerk der Stadtsparkasse Kassel".
Musik:
Beethoven Trio op. 97 Erzherzog Rudolph
Sprecher:
Ich bezweifle sehr, daß das Modell Beethoven für die Gegenwart
taugt. Gewiß, es gibt Fördervereine für dies und das,
aber die Mannigfaltigkeit der Kulturlandschaft läßt sich auf
diese Weise nicht dauerhaft finanzieren. Wir leben ja hier in einer Massendemokratie
und nicht im Feudalismus, wo der Adel den Musiker neben den Hofnarren
stellen konnte. Das gegenwärtige Gezeter um die Finanzierung von
Kultur übersieht eines, nämlich den mit dem Begriff der Kultur
engverbundenen Begriff der Bildung. Eine alternative Kulturfinanzierung
hätte meines Erachterns zunächst einmal in die Bildung der Menschen
zu investieren. Das klingt popelig und banal, doch nur so läßt
sich ein Gemeinwesen von aufgeklärten Menschen entwickeln, das es
mit den technologischen, wirtschaftlichen und ideologischen Entwicklungen
der Gegenwart aufnehmen kann. Ansonsten, so fürchte ich, führt
der Weg unweigerlich in einen zweiten Feudalismus zurück und das
neue Lumpenproletariat vergnügt sich hedonistisch auf Ballermann
6 oder Hollywood-Illusionen vom unsäglichen Internet-Schwachsinn
einmal ganz abgesehen.
Musik:
John Cage: Irgendwas mit präp. Klavier
Sprecher:
Ich plädiere für ein ganz anderes Modell nach dem Vorbild das
Strafvollzugs. Eine Gesellschaft, die es sich etwas kosten läßt,
vermeintliche oder tatsächliche Verbrecher in eigens dafür gebauten
Häusern unterzubringen, sollte es sich überlegen, ob nicht diese
Justizvollzugsanstalten in Kultur-Vollzugsanstalten umgewandelt werden
könnten. Ja, "Künstler ins Gefängnis" wäre
ein hübsches Motto. Man könnte nach dem Vorbild Arno Schmidts
so etwas wie eine "Gelehrtenrepublik" einrichten. Man wäre
da unter sich, hätte automatisch das adäquate Publikum, alles
wäre bestens. Das Geld ist ja da, und die Kulturmenschen wären
vor den bösen Ganoven auch in Sicherheit. Wie, das scheint Ihnen
etwas absurd zu sein? Nun, ich möchte nur erwähnen, daß
es den sogenannten offenen Kultur-Vollzug doch schon längst gibt:
Darmstadt, Donaueschingen, Witten, Villa Massimo in Rom, nicht zu vergessen
die "Hörspiel- und Featureabteilungen" der öffentlich-rechtlichen
Sendeanstalten. Der geschlossene Vollzug dürfte da sehr noch viel
effektiver sein. Und wir Feuilletonisten hätten als Aufseher auch
noch einen Job.
Martin Hufner
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