Sprecher 1: Wo man heute auch hinsieht oder hinhört: Die Jugend und die kaufkräftigen 20 bis 30-jährigen
stehen im Mittelpunkt unseres Fit-Forever-Kulturlebens, auch in der Musik: RTL-Popstars, Konzerte für Kinder,
Studien über die möglichen Effekte einer frühen musikalischen Förderung von Kindern und Jugendlichen.
Bisweilen springt man musikalisch sogar bis in die Gebärmutter hinein. Die Alten" dagegen gelten
vielen als überflüssiger Balast und außerdem noch als permanenter Vorwurf an die Jugend. Wer
nicht jung sterben will, muss alt werden," meint lax ein Sprichwort. In dieser kampfbereiten Kultur des Jungseins
stehen die Alten mit dem Rücken zur Wand. Jean Amery hat in seinem Buch über das Altern das Szenario so
zusammengefasst:
Sprecher 2: Wenn wir die Lebenshöhe überschritten
haben, verbietet uns die Gesellschaft den Selbstentwurf und wird die Kultur zur Lastkultur, die wir nicht mehr
verstehen, die vielmehr uns zu verstehen gibt, daß wir als altes Eisen des Geistes auf die Abfallhalden
der Epoche gehören."
?? [Musik: Beethoven 9. Sinfonie, zweiter Satz ab 1:43 freistehend
[Track 5]] ??
Sprecher 1: Eine altenfeindliche Welt auch in der gegenwärtigen
Musikkultur: Man setzt auf eine zumeist sogar nur alibihafte Förderung der Jugend und vergisst, dass das Haus
der Musik wie kaum ein anderes Platz für alle Generationen bietet. Doch alle Generationenverträge scheinen
aufgekündigt. Da entwickelt man nun einfach Sonderprogramme für jede Altersgruppe. Schön sauber werden
Kinder, Eltern und Großeltern in verschiedene Bezirke separiert und gegeneinander abgeschottet. Und das hat
bisweilen traurige Aspekte, wenn zum Beispiel mancher Kirchenchor einfach vergreist und langsam wegstirbt.
Älterwerden mit Musik könnte aber heißen, die
Lernprozesse mit Musik in jeder Altersgruppe zu aktivieren, den Austausch der Generationen wieder durchlässiger
zu machen, so wie es früher einmal in der Tätigkeit der Hausmusik der Fall war. Leider stellen sich dabei
Widerstände ein, die nicht gerade das beste Bild unserer Gesellschaft zeigen. Für unsere Gesellschaft
ist der Generationendurchsatz nur dann interessant, wenn er sich auch wirtschaftlich ausbeuten lässt. So bekämpft
man die Generationsgrenzen lieber mit Anti-Falten-Cremes und Vitaminpillen anstatt durch Kommunikation und Verständnis
untereinander.
Musik: Beethoven 9. Sinfonie 4. Satz frei ab 2:30 [Track 6]
Jedes Alter hat seine eigene Zeit und jedes Alter hat seine
eigene Würde, dies zu übersehen wäre Verblendung. Aber jedes Alter kann und muss mit jedem Alter
kommunizieren und sollte dies auch unbedingt tun. Musik und Musizieren könnten da besonders schöne Wege
sein für eine Gesellschaft, die anfinge, sich selbst mit ganzem Herzen lieben zu lernen.
Musik: Biermösl Blosn, Seids alle do? Track 2 (ab 2:54)
Martin Hufner
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