Musik: Dagmar Krause: Spartakus 1919 Anfang
Sprecher 1:
Der Schlager hat es nicht leicht: Als industrielles Produkt aus Operettenhits und Gassenhauern geboren, hat er von
Anfang einen schlechten Ruf gehabt. Er gilt als geist- und hirnlos. Im Feld aller Musikrichtungen ist er die musikalische
Hure: das Paradebeispiel käuflicher Gefühle in der Musik. Diesen Ruf ist der Schlager nicht losgeworden.
Schon 1931 schreibt ein Kritiker:
Sprecher 2:
99 Prozent aller Schlager, die heute gespielt werden, sind künstliche Erzeugnisse einer Industrie, die von
der urheberrechtlichen Ausbeutung ihrer Produkte existiert. Je nach herrschender Konjunktur stellt der Schlagerverleger
seine Produktion auf rührselige Rheinlieder oder frisch-fröhliche Militärmärsche um.
Sprecher 1:
Der Schlager ist ein massenweise produzierbares Musikstück in dem Erfahrungslagen auch ideologisch ausgewertet
werden. Für den Soziologen Theodor W. Adorno stellt der Schlager das Urphänomen musikalischer Verdinglichung
und des nackten Warencharakters" dar.
In der DDR hatte man jedoch eine durchaus abweichende Meinung zum Schlager. Im Taschenbuch der Künste von 1975
kann man lesen:
Sprecher 2:
Im begrenzten Rahmen seiner Möglichkeiten leistet der Schlager einen Beitrag zur Festigung und Herausbildung
sozialer Verhaltensweisen und Lebensnormen., indem er vorwärtsweisende Antworten auf die Frage nach dem Sinn
des Lebens gibt und Menschen auf die progressiv veränderbare Realität orientiert. Es entspricht dem grundlegenden
Bedeutungswandel des Schlagers im Sozialismus, daß er zum festen Bestandteil sozialistischer Unterhaltungskunst
wird und nicht länger der Massenmanipulierung, der Ablenkung und geistig-kulturellen Unterdrückung der
Menschen dient.
Sprecher 1:
Also hat sich sich das fehlende eine Prozent der hohen Schlagerkunst allein im Sozialismus gefunden. Hier ist der
Schlager in den richtigen Händen ein Produkt musikalischer Emanzipation.
Musik: Dagmar Krause: Spartakus 1919 Anfang
Sprecher 1:
Der real existierende Sozialismus hat den Schlager ebensowenig retten können, wie der Schlager den Sozialismus.
Aber auch in den entwickelten kapitalistischen Ländern ging dem Schlager die Puste aus. Und der Würger
unserer Zeit ist die Pop- und Rockmusik. Sie wirkt global und versteht es hinreichend das datenstromgesättigte
Volk mit Spassmusik zu unterfüttern. In diesen Rahmen passen sich dann durchaus auch die musikalischen Zombies
a la Jürgen Kornfeld" Drews oder Dieter Thomas Rüschenhemd" Kuhn ein.
Dennoch sollte man den Schlager nicht einfach aufgeben. Dass die musikalische Substanz von Schlagern nicht einfach
abzutun ist, zeigen ja die sogenannten Evergreens. Schlager ist weder nur Industrie noch ist Schlager bloß
Ideologie. Bei guten Schlagern ereignet sich ein Phänomen, das Theodor W. Adorno so beschrieben hat:
Sprecher 2:
Der Stumpfsinn wird scharfsinnig bedacht von hochqualifizierten Musikern auf Touren gebracht. Ihrer finden sich
im Gesamtbereich der leichten Musik viel mehr, als das Superioritätsgefühl der ernsten gern zugesteht.
Diese Produktionen präsentieren den Analphabetismus, auf den als Basis nicht verzichtet werden kann, so, daß
er gleichzeitig dernier cri und womöglich kultiviert sich anhört, vor allem aber, daß er, nach einem
gar nicht so leicht zu treffenden Ideal, gut klingt. Dazu muß einer Metier haben.
Sprecher 1:
Wenn man den Schlager schon gut komponieren und aufführen kann, warum sollte er sich nicht tatsächlich
komplett emanzipieren lassen. Wenn er sich jeden Restes von Verkommenheit und flachen Gefühlen entledigt, dann
könnte selbst der Schlager subversiv werden. Dass das durchaus einmal funktioniert hat, zeigen mindestens die
Songs eines Kurt Weill, manches Stück von Hanns Eisler oder auch vereinzelte Stücke aus der Neuen
Deutschen Welle" der 80er Jahre.
Musik: Dagmar Krause: Spartakus 1919 Mitte bis Schluss des Vorspiels
Martin Hufner
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