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Quelle:
neue musikzeitung

Leitartikel

Jahr 2000
Ausgabe 3
Seite 1
nmz-online

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Der diskrete Charme unserer Musikwirtschaft

© 2000 by Martin Hufner (EMail)

„Bin ich drin?“ – Autorenrechte und Musik in Zeiten der Konzern-Fusionen
Man kommt mit den Meldungen fast nicht nach. Welcher Medienkonzern hat da einen anderen geschluckt, war es eine freundliche Fusion oder eine feindliche Übernahme? Das ist schon interessant, wie da aus milliardenschweren Unternehmen Kampfsubjekte gemacht werden. Subjekte, denen man einen individuellen Charakter unterstellt. An der Spitze stehen jedoch reine Wirtschaftsvisionäre, die sich kaum Gedanken um Inhalte machen, außer um die Inhalte, die sich in Aktienwerte ummünzen lassen.

Der Medienkonzern Time Warner und der Online-Dienst AOL sind zusammen gegangen. Später trat dann die EMI hinzu. Obwohl, eigentlich landete sie nur im Sack des Konzerns. Bislang hatte man böse Befürchtungen gegenüber dem Software-Giganten Microsoft, der durch geschicktes Handeln zu einem Beinahe-Monopolisten wurde und damit de-facto-Standards festlegte. Auf diese Weise wurden Fakten geschaffen, denen man sich kaum entziehen konnte. Jetzt steht fast wie ein böser Hund AOL-Time-Warner-EMI vor dem Internet und generiert damit einen dubiosen Wirtschaftspark. Nun hat man im Zusammenhang mit der EMI und Time Warner eine Konstellation gefunden, die im Internet, dem Kabel und im Bereich der immateriellen Urheberrechte einen Verbund organisiert, der effizient einen in dieser Größe unbekannten Kulturindustrie-Komplex errichtet. Alles zum Wohle der Konsumenten, das jedenfalls will man uns glauben machen.

Das Besondere daran ist, dass man sich dabei eines merkwürdigen Verständnisses von Kundenorientierung bedient. Wie ein riesiges Einkaufszentrum kann man Mega-Seller günstig platzieren und auf diese Weise durch die Hintertür eine eigene Kulturpolitik betreiben. So werden Kundendaten gesammelt und ausgewertet. „Nie zuvor in der Weltgeschichte besaß ein Unternehmen so viele Informationen über so viele Menschen,“ schreibt der Medienkritiker Jon Katz. Es ist so, als ob nun ein Supermarkt für jeden Kunden einen eigenen Weg durch die Regale anbieten würde. Was links und rechts des Weges liegt, hat diese Kunden dann nicht zu interessieren. Im Internet sind solche Bemühungen allerdings erheblich leichter zu realisieren als im Supermarkt. Dafür sind die Folgen für die Online-Nutzer um so drastischer. Wohl durch einen Fehler hat sich das letzte Update der AOL-Zugangssoftware auf manchen Computer gesetzt und dabei andere Internetzugangsmöglichkeiten bisweilen lahm gelegt. Der Werbeslogan „Ich bin drin“ wird zur existenziellen Frage: „Wie komme ich wieder raus?“

Langsam muss man sich fragen, wie weit solche monopolähnlichen Supermärkte nicht gleich die komplette Warenwirtschaft sich zu eigen machen könnten. Wozu brauchen solche Firmen noch die Inkassobüros der Verwertungsgesellschaften wie es die GEMA in Deutschland ist. Eigentlich lassen sich die notwendigen Daten innerhalb des Netzes von AOL-Time-Warner viel einfacher kontrollieren und in Geld ummünzen. In diese Richtung zielten auch Vorstellungen im Zweiten Zwischenbericht der vom Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“ im Juni 1997:

„Das System der Verwertungsgesellschaften in seiner gegenwärtigen Form mag ein besseres Machtgleichgewicht schaffen und den Verwertern zugleich beim Rechteerwerb im täglichen Massengeschäft nützlich sein. Gleichwohl sollte man sich bewusst bleiben, dass es sich dabei um Second-best-Lösungen handelt. Man schafft Monopolorganisationen. Zudem wird die Legitimations- und Kontrollkette zwischen den Mitgliedern und dem Management unvermeidlich zum Problem. Daher sollte man auch die Chancen in Richtung stärkerer Individualisierung nicht vernachlässigen, welche die digitalen Techniken mit sich bringen. Man kann sich vorstellen, dass eine größere Zahl von Agenturen entsteht, deren Geschäftszweck im Management von Urheberrechten besteht. Dann könnte auch auf dieser Ebene Wettbewerb entstehen. Eine solche Entwicklung, die zur Folge haben könnte, dass an die Stelle der Zwangsvertretung durch die Verwertungsgesellschaften die Möglichkeit ihrer freiwilligen Inanspruchnahme tritt, sollte eher gefördert, mindestens nicht behindert werden.“

Die dumme und verblödende Seite des Musikgeschäftes wurde durch die Copy-Kills-Music-Aktion moralisch komplett verdreht. Im Namen der Autorenrechte arbeitete man in Wirklichkeit der Wirtschaft zu. Gut, Wirtschaft ist nicht schlimm, brauchen wir ja irgendwie alle, aber wer partizipiert denn an dieser Aktion wirklich? Sind es die Nachwuchsbands oder sind es nicht vielmehr die Verlage und Verwerter, die die ohnehin vorhandene Musik besser abkassieren können? Mit den Worten vom „Wahren, Guten und Schönen“ verschleiert man die wirtschaftliche Tatsache, dass zwischen einem Mega-Musikverlag und einem Baukonzern wie Holzmann fast kein Unterschied besteht. Die wundersame „Rettung“ von Holzmann wurde als großer politischer Streich der neuen Schröder-Regierung verkauft. Dass zuvor Holzmann zahlreiche andere Betriebe durch sein Wirtschaftsunwesen ins schwarze Pleiteloch stieß, interessiert in diesem Zusammenhang doch kaum jemanden.

Die Autorenrechte zu stärken und politisch zu versammeln, das müsste eine Aufgabe der Lobbyisten und der Verwertungsgesellschaften im Zusammenhang mit den Autorenverbänden sein. Der Beitrag, den die Autoren zum Gemeinwohl der Gesellschaft leisten, wäre dann hervorzuheben, nicht die fadenscheinigen Argumente, dass man eine wirtschaftliche Absicherung der Autoren zu realisieren trachte. Die kann man nämlich durch eine leichte Veränderung des Sozialstaates bewirken, Stichwort: Grundversorgungssicherung. Das riecht den einen nach verpöntem Sozialismus, andere sehen darin eine notwendige Reform des Sozialstaates – wofern nicht das Präfix „Sozial“ insgesamt mit Sozialismus gleichgesetzt wird. „Wenn Dein starker Arm es will, stehen alle Räder still,“ solche Parolen gelten natürlich als nicht „update“-fähig. Dabei wäre die Stärkung der Autorenrechte unbedingt nötig. Wer meint, dazu bedürfe es der Musikwirtschaftskonzerne, der macht die Rechnung mit dem Vermieter, aber nicht mit dem Wirt.

Martin Hufner