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der Kritischen Masse Quelle: Jahr 2000
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Entmachtete Schöpfer, machtvolle Abschöpfer © 2000 by Martin Hufner (EMail) |
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Thesen zur Rolle des geistigen Eigentums in der Internetkultur · Von Martin Hufner Es ist nicht allein wichtig, rein zu kommen, sondern auch drin zu sein: Im was? Im Internet natürlich. Hallo Informationsgesellschaft. Mit diesem Wörtchen redet man die Zukunft schön und lässt sich von ihr leiten. Der gesellschaftliche Nostradamus hat mal wieder zugeschlagen. Zukunft gilt wieder als machbar. Die Frage ist aber: Wer macht diese Zukunft? Es ist schon erstaunlich, wie immer wieder neue Internetpilze aus dem Boden sprießen. In Wellen überrollte die Internetwelt zuerst das virtuelle Kaufhaus, dann die Online-Auktionen, dann die Telefontarif-Dienste, schließlich die Börsenspiele jeder Couleur. Sie kommen und sie gehen. Da jagt ein Trend den nächsten und was heute noch hip ist, ist morgen schon Schnee von vorgestern. Trendigsein ist keine Erfindung des Internets, sondern Ausdruck der Gesellschaftsbewegung des Neokapitalismus oder wie man das heute nennt: der New Economy. Diese Neue Ökonomie versteht sich als der Turbozusatz einer traditionellen Ökonomie. Doch mehren sich die Analysen, die zu dem Schluss gelangen, dass diese Neue Ökonomie mehr oder weniger ein Luftgebilde ist. Dazu Marc Laimé und Akram B. Ellyas in der Le Monde Diplomatique vom Mai 2000:
Die Autoren zitieren einen Analysten von Goldman Sachs mit der Warnung:
Im Musikbereich ist dies nicht viel anders. Das Tempo der Finanzmärkte und der Popkultur erfasst zahlreiche Unternehmungen der traditionellen Musikkultur. Wenngleich es stimmen mag, dass Stillstand in Wirklichkeit ein Rückschritt ist, so ist noch nicht bewiesen, dass jeder technologische Fortschritt mit Beweglichkeit und moralischem Voranschreiten gekoppelt ist. Hauptsache man ist im Trend. Die Folgen dieser losgelassenen Entwicklung bekommen momentan öffentlichkeitswirksam die Verwertungsgesellschaften zu spüren und damit auch die Urheber. Darauf vorbereitet ist so recht keiner. Wie und wann hätte man sich auch darauf vorbereiten können? Die Neue Ökonomie setzt nicht nur technologische Entwicklungen fest, sondern entwickelt immer mehr auch politischen und moralischen Druck. Manche Autoren gehen schon soweit, zu sagen, dass die Rechtskonzeption des geistigen Eigentums ein Absurdum ist. So meint Rainer Fischbach in den Blättern für deutsche und internationale Politik 3/2000:
Das ist die eine Seite des konsequenten Zuendedenkens, die nicht einmal bösartig gemeint ist. Denn schon die Tatsache, dass Geistiges Eigentum zeitlich befristet ist, steht zum allgemeinen Eigentumsbegriff in Widerspruch. Deswegen schlagen die neuen Ökonomen gleich einen anderen Weg ein. Urheberrechte interessieren nur, wenn sie sich irgendwie in bare Münze umwandeln lassen. So versprechen sich Microsoft und Xerox durch die Entwicklung der Software ContentGuard ein Riesen-Geschäft. In einem dpa-Interview erklärte Xerox-Europachef Pierre Danon:
Mit Urheberrechten verdienen im Internet implizit, das heißt ohne auch nur einen Wert zu schaffen, vor allem die Telekommunikationsdienste und wie bei Xerox oder Liquid Audio die Softwareentwickler, die ihrerseits die Urheberrechte ihrer Softwarepatente lizenzgebührpflichtig verwerten wollen. Während man bei der GEMA im gesellschaftspolitischen Zusammenhang noch von dem Wert der Durchsetzung öffentlicher Wohlfahrt sprechen kann, gilt dies für die neuen Zweit-, Dritt- und Viertverwerter keineswegs. Diese können für sich aber andererseits ihr Recht an geistigem Eigentum anmahnen, welches ja ebenso schützenswert ist. Die Situation ist verfahren, unübersichtlich, unabschätzbar in ihrer Bedeutung für die Gestaltung einer politischen Sozietät. Das zeigt nicht zuletzt die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage: Zur Nutzung und Anwendung der neuen Medien in Deutschland Chancen in der Informationsgesellschaft vom 27. Okotber 1999 (Drucksache: 14/1866):
Schutz individueller Rechte und technologische Innovation bilden quasi einen gordischen Knoten. Die Frage ist, ob man ihn auflösen kann und wer diese Aufgabe übernehmen soll. Die Piraten, die sich ihre eigene Gesetzlosigkeit schaffen oder Konzerne, für die sich nur für die aus der Abwicklung und Verwertung von Urheberrechten zu erzielenden Gewinne interessieren? Oder doch eine aufgeklärte Gesellschaft, die in der Lage ist, sich selbst eine verantwortliche Verfassung zu geben? Letztere würde man sich sicherlich wünschen, aber das rauschende Tempo der Entwicklung scheint langfristige Aufklärungsprozesse kaum noch zuzulassen. Martin Hufner |