Enzyklopädie der Kritischen Masse
Kritische Masse Startseite
   
   
 
     

Quelle:
neue musikzeitung

Cluster

Jahr 2000
Ausgabe 6
Seite 1
nmz-online

Zurück

 

 

 

Entmachtete Schöpfer, machtvolle Abschöpfer

© 2000 by Martin Hufner (EMail)

Thesen zur Rolle des geistigen Eigentums in der Internetkultur · Von Martin Hufner

Es ist nicht allein wichtig, rein zu kommen, sondern auch drin zu sein: Im was? Im Internet natürlich. Hallo Informationsgesellschaft. Mit diesem Wörtchen redet man die Zukunft schön und lässt sich von ihr leiten. Der gesellschaftliche Nostradamus hat mal wieder zugeschlagen. Zukunft gilt wieder als machbar. Die Frage ist aber: Wer macht diese Zukunft?

Es ist schon erstaunlich, wie immer wieder neue Internetpilze aus dem Boden sprießen. In Wellen überrollte die Internetwelt zuerst das virtuelle Kaufhaus, dann die Online-Auktionen, dann die Telefontarif-Dienste, schließlich die Börsenspiele jeder Couleur. Sie kommen und sie gehen. Da jagt ein Trend den nächsten – und was heute noch hip ist, ist morgen schon Schnee von vorgestern. Trendigsein ist keine Erfindung des Internets, sondern Ausdruck der Gesellschaftsbewegung des Neokapitalismus oder wie man das heute nennt: der „New Economy“. Diese „Neue Ökonomie“ versteht sich als der Turbozusatz einer traditionellen Ökonomie. Doch mehren sich die Analysen, die zu dem Schluss gelangen, dass diese „Neue Ökonomie“ mehr oder weniger ein Luftgebilde ist. Dazu Marc Laimé und Akram B. Ellyas in der „Le Monde Diplomatique“ vom Mai 2000:

„Darüber hinaus kritisieren viele Experten an der neuen Ökonomie, dass die betreffenden Unternehmen die Realwirtschaft gefährden. Seit 1997 ist die Spekulation mit Internet-Aktien zu einer gigantischen Finanzblase angewachsen. Viele Internet-Firmen, die von schwarzen Zahlen noch weit entfernt sind und teilweise Rekordverluste schreiben, realisieren an der Börse hohe Kursgewinne. Erstmals in der Wirtschaftsgeschichte verzeichnen so viele börsennotierte Unternehmen mit negativen Betriebsergebnissen innerhalb weniger Wochen Wertzuwächse von mitunter 100 Prozent.“

Die Autoren zitieren einen Analysten von Goldman Sachs mit der Warnung:

„Diese Unternehmen locken die Anleger mit dem Versprechen von künftigen Gewinnen. Wir gehen davon aus, dass sich darunter das Microsoft von morgen befindet. Dennoch sollten wir uns nichts vormachen: Dutzende dieser Unternehmen werden verschwinden, Ersparnisse in Millionenhöhe werden sich in Rauch auflösen.“

Im Musikbereich ist dies nicht viel anders. Das Tempo der Finanzmärkte und der Popkultur erfasst zahlreiche Unternehmungen der traditionellen Musikkultur. Wenngleich es stimmen mag, dass Stillstand in Wirklichkeit ein Rückschritt ist, so ist noch nicht bewiesen, dass jeder technologische Fortschritt mit Beweglichkeit und moralischem Voranschreiten gekoppelt ist. Hauptsache man ist im Trend. Die Folgen dieser losgelassenen Entwicklung bekommen momentan öffentlichkeitswirksam die Verwertungsgesellschaften zu spüren und damit auch die Urheber. Darauf vorbereitet ist so recht keiner. Wie und wann hätte man sich auch darauf vorbereiten können? Die „Neue Ökonomie“ setzt nicht nur technologische Entwicklungen fest, sondern entwickelt immer mehr auch politischen und moralischen Druck. Manche Autoren gehen schon soweit, zu sagen, dass die Rechtskonzeption des geistigen Eigentums ein Absurdum ist. So meint Rainer Fischbach in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ 3/2000:

„Dass Geistiges kein Eigentum sein kann, dafür ist das Bewusstsein weitgehend abhanden gekommen ... ‚Geistiges Eigentum’ ist nicht nur ein widersinniger Begriff, sondern er erzeugt auch eine Scheinklarheit hinsichtlich des Verhältnisses der Urheber geistiger Schöpfungen zu ihren Produkten. Als ob der Begriff des Eigentums, der selber erst durch das Recht zu begründen wäre, als quasi natürliche Erklärung für andere Verhältnisse dienen könnte. Um die Schöpfer von sprachlichen, musikalischen und bildnerischen Werken sowie von technischen Artefakten und Verfahren zu honorieren oder zu schützen, bedarf es eines derartigen Konzeptes gar nicht.“

Das ist die eine Seite des konsequenten Zuendedenkens, die nicht einmal bösartig gemeint ist. Denn schon die Tatsache, dass ‚Geistiges Eigentum‘ zeitlich befristet ist, steht zum allgemeinen Eigentumsbegriff in Widerspruch. Deswegen schlagen die neuen Ökonomen gleich einen anderen Weg ein. Urheberrechte interessieren nur, wenn sie sich irgendwie in bare Münze umwandeln lassen. So versprechen sich Microsoft und Xerox durch die Entwicklung der Software „ContentGuard“ ein Riesen-Geschäft. In einem dpa-Interview erklärte Xerox-Europachef Pierre Danon:

„Wir schätzen den Wert des geistigen Eigentums, das über das Internet zugänglich ist, derzeit auf 300 Milliarden US-Dollar; wenn wir bei jeder Transaktion nur eine Gebühr von einem Prozent erheben, lässt sich der mögliche Umsatz von ContentGuard leicht errechnen.“

Mit Urheberrechten verdienen im Internet implizit, das heißt ohne auch nur einen Wert zu schaffen, vor allem die Telekommunikationsdienste und wie bei Xerox oder Liquid Audio die Softwareentwickler, die ihrerseits die Urheberrechte ihrer Softwarepatente lizenzgebührpflichtig verwerten wollen. Während man bei der GEMA im gesellschaftspolitischen Zusammenhang noch von dem Wert der Durchsetzung „öffentlicher Wohlfahrt“ sprechen kann, gilt dies für die neuen Zweit-, Dritt- und Viertverwerter keineswegs. Diese können für sich aber andererseits ihr Recht an „geistigem Eigentum“ anmahnen, welches ja ebenso schützenswert ist.

Die Situation ist verfahren, unübersichtlich, unabschätzbar in ihrer Bedeutung für die Gestaltung einer politischen Sozietät. Das zeigt nicht zuletzt die Antwort der Bundesregierung auf eine „Große Anfrage: Zur Nutzung und Anwendung der neuen Medien in Deutschland – Chancen in der Informationsgesellschaft“ vom 27. Okotber 1999 (Drucksache: 14/1866):

„Neben dem Schutz des geistigen Eigentums darf aber das Ziel, die Entwicklung der neuen Medien zu fördern anstatt zu behindern, nicht aus den Augen verloren werden. Unter einem ungenügenden Schutz der Urheber würde auch die Entwicklung der neuen Medien leiden, weil dann weniger attraktive Inhalte in die Netze eingestellt würden. Umgekehrt sind die Urheber an einer optimalen Nutzung ihrer Werke – gegebenenfalls auch an einer unentgeltlichen Nutzung – interessiert; manche Urheber stellen daher ihre Werke frei in das Internet ein. Ein einfacher und kostengünstiger Zugang zu Informationen und geschützten Werken für eine breite Öffentlichkeit ist auch deshalb anzustreben, um eine offene und innovative Gesellschaft zu ermöglichen, in der der Gedanke des lebenslangen Lernens Wirklichkeit wird... Auch im Hinblick auf die Frage einer Haftung der Diensteanbieter ist eine sorgfältige Abwägung der Interessen der Rechteanbieter und der Diensteanbieter erforderlich. Einerseits müssen die Rechte der Urheber geschützt bleiben, andererseits ist aber im Interesse einer positiven Entwicklung der neuen Medien darauf zu achten, dass die Diensteanbieter vor einer unangemessenen Inanspruchnahme geschützt werden.“

Schutz individueller Rechte und technologische Innovation bilden quasi einen gordischen Knoten. Die Frage ist, ob man ihn auflösen kann und wer diese Aufgabe übernehmen soll. Die Piraten, die sich ihre eigene Gesetzlosigkeit schaffen oder Konzerne, für die sich nur für die aus der Abwicklung und Verwertung von Urheberrechten zu erzielenden Gewinne interessieren? Oder doch eine aufgeklärte Gesellschaft, die in der Lage ist, sich selbst eine verantwortliche Verfassung zu geben? Letztere würde man sich sicherlich wünschen, aber das rauschende Tempo der Entwicklung scheint langfristige Aufklärungsprozesse kaum noch zuzulassen.

Martin Hufner