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der Kritischen Masse Quelle:
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Technik und Gesellschaft. Fragment © 2000 by Martin Hufner (EMail) |
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Das Verhältnis zur Technik, beziehungsweise zum technischen Fortschritt, ist in der philosophischen Kulturkritik seit jeher problematisch. Sowohl aus dem links-, wie dem rechtskonservativen politischen Bereich gibt es zahlreiche Vorbehalte. So konstruiert Günther Anders in seiner Antiquiertheit des Menschen" das Verhältnis zwischen Technik und Mensch als einseitig, als eine Welt der Technokratie, also der Technikherrschaft:
Demnach hat sich der Bereich des technischen Fortschritts zu einem vollkommen unbeherrschbaren System entwickelt. Was technisch machbar ist steht nicht als Option zur Verfügung sondern impliziert diese Verwendung automatisch. Deswegen sind die Menschen nurmehr mitgeschichtlich" und als Subjekte autonomen Handels nicht mehr denkbar. Ähnlich, wenngleich zu einer anderen Schlussfolgerung kommen die neokonservativen Theoretiker. Bei Arnold Gehlen, Hans Freyer und Helmut Schelsky gibt es noch diese Wahlfreiheit zur Verwendung von Technik :
Habermas kritisierte schon 1965 beide Vorstellungen, weil beide Richtungen die Bedeutungen politischen und gesellschaftlichen Handelns unterbewerten. Habermas meint vielmehr:
War in den 60er Jahren diese Vermutung wohl zutreffend, so hat sich unter dem System der New Economy die Frage nach der demokratischen Legitimation der Technik erneut verändert. Der Staat ist als Auftraggeber des Fortschritts zurückgetreten und übernimmt immer häufiger nur noch die Funktion der Bereitstellung von Rahmenbedingungen. Das technische System Internet verzeichnet diese Entwicklung wie ein Seismograph. Zur Entwicklung des E-Commerce haben nicht mehr die alten militärischen Forschungszentren beigetragen sondern gleichermaßen die großen Technikkonzerne wie viele kleine Startups, die aus der Garagenwelt kommen. Damit wird Technik aber auch wieder aus einer demokratisch verfassten Gesellschaft in ein sich selbstregulierendes wirtschaftliches Subsystem gelenkt, welches sich vor allem durch eine großes Maß an Fragmentierung von Lebenswelten und Technikprozessen auszeichnet. Diese Neue Ökonomie" oktroyiert den Menschen die neuen Arbeits- und Lebensformen auf wie sie Richard Sennett in seinem neuesten Buch Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus" beschreibt. Die Menschen fangen an zu driften, meint Sennett. Nicht jedoch wie Nomaden, die sich ihre eigenen kulturellen und wirtschaftlichen Wege bahnen, sondern als Spielbälle im undurchschauberen Dickicht von Wirtschaftsinteressen. Dagegen scheint kein Kraut gewachsen. Noch schlimmer: Die Neue Ökonomie" bezichtigt jeden gemeinschaftsbildenden Prozess, der sich nicht zugleich in Wirtschaftsinteressen umfunktionieren lässt als veraltet, konservativ und reaktionär. Wer da nicht in den Spielregeln der Neuen Ökonomie" mitmacht, wird zum alten Eisen geworfen. Habermas Frage: wie kann die Gewalt technischer Verfügung in den Konsensus handelnder und verhandelnder Bürger zurückgeholt werden?" bleibt daher merkwürdig aktuell. Der Fragmentierungsprozess der Gesellschaft hat selbstverständlich den positiven Nebeneffekt, dass es keine zentralen Herrschaftseinheiten mehr gibt. Wo solche Herrschaftmonopole entstehen, werden sie mit den fragmentierter Subversion entblößt und schließlich entmachtet. Das letzte aktuelle Beispiel ist der Zerschlagungsprozess gegen Microsoft gewesen, der sich nicht nur zufällig mit der Loveletter-Virusattacke" gepaart hat. Ähnlich im Fall der Musikgruppe Metallica vs. Napster . Hier reagierte die Öffentlichkeit der Internetgemeinde quasi mit einem Boykott der Produkte von Metallica . Jedoch wird einer fragmentierten Gesellschaft nicht die Maxime Jeder gegen jeden" keine Zukunft zuwachsen. Nur in einer flexiblen Verortung" wird man neues bürgerschaftliches Engagement organisieren können Ein Beispiel für die Möglichkeit einer so organisierten Netzstruktur findet sich im Bereich der Entwicklung des Betriebssystems Linux" . Im Bereich der musikalischen Internetnutzung" wird man Partikularinteressen wie in einem Puzzle zusammenführen müssen, will man mehr als nur ein Nische oder ein Trend sein. Auch in diesem Zusammenhang ist Habermas These wieder aktuell:
So könnte das Internet als als dialogische Kommunikationsform und damit als Steuerungselement zur politischen Willensbildung auch im musikalischen Bereich geradezu prädestiniert sein. Musikalische Lobbyarbeit könnte sich auf diesem Wege endlich um Transparenz bemühen statt sich hinter Bürokratie und Geschäftsordnungen zu verstecken. Und musikalische Lobbyisten könnten miteinander und nach außen öffentlich kommunizieren. Damit könnte vielleicht auch erstmalig eine Technologie dazu dienen, etwas Lebenskultur zu bewahren oder Traditionen in einer neuen Welt der Flüchtigkeiten zu verankern. Oskar Negt sagt:
Sich allein auf den technischen Fortschritt zu verlassen, hieße in der Tat den Menschen zu entmaterialisieren. Vieles spricht dafür, dass dieser Prozess längst stattfindet. Umso bedeutsamer ist die Schaffung neuer Orte politischer Tätigkeit, deren Substanz sich durch eine Traditionalisierung der Technik herstellen ließe. Nicht jeder Technikzug führt in die Zukunft und wer auf den ersten besten aufspringt verhält sich wie ein Lemming. Er gibt seine Bedürfnisse auf und glaubt nur, das Bedürfnis nach Technik sei das einzig erstrebenswerte. Dieses Bedürfnis ist aber inhaltsleer, eine sich selbst reproduzierende Fiktion, die durch den über das Marketing produzierten Konsumrausch nach dem Nichts weiter angefacht wird. Gegen diese Blendung und Verscheuklappisierung muss man wieder Lichter des Halts und der Orte anzünden, gerade auch in dem Terrain, das dieser Blendung Vorschub leistet. Denn gerade auch im Internet sind die Claims noch nicht abgesteckt. Laut Shell-Studie ist Deutschlands Jugend nur zu 25% online, nur 56 % Prozent haben einen Computer zuhause. Martin Hufner Literatur
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