Kunstmuseum
Wolfsburg
Passagiere
in fremden und bekannten Welten
Zunächst
sieht es aus, als habe das Volkswagenwerk lauter bunte Polo Harlekin durch
eine Schrottpresse gejagt. Doch welche Presse wäre zu einer Arbeit fähig,
die bei näherem Betrachten so zart verbiegt, so wundervoll knüllt und
filigran ineinanderwebt? Daß es sich um menschliche Arbeit handelt ist
offenbar. Die Arbeiten des Amerikaners John Chamberlain verteilen
sich in der mächtigen Halle des Kunstmuseums Wolfsburg wie in einem japanischen
Steingarten.
Die
Gestalten haben ihr eigenes Gesicht, das man gleichermaßen von allen Seiten
umschiffen darf. Nie sind sich die Skulpturen gleich: Das einfallende
Licht bricht sich an diesen schweren Leichtgewichten immer neu. Selbst
gegen diese Kontingenz bewahren die gefalteten und geschweißten, mal bunten,
mal fast monochromen Werke ihre Eigenheit, so, als wäre das Wechselnde
der Erscheinung miteingeplant. Dieses Wechselspiel aus Schwere und Leichtigkeit,
aus Dynamik und Statik, Askese und Opulenz findet sich allenthalben. Hier
ist man Passagier, wandelnd zwischen sich ständig erneuernden Objekten.
Man folgt beispielsweise den Gondelskulpturen auf ihrer angedeuteten Reise
zu den Toten, denen sie gewidmet sind, man möchte die kleineren Werke
von ihrem Platz nehmen und in der Hand durchtasten.
Aus der Höhe hört man indes diverse Geräusche aus der Arbeitswelt. Auf
der Empore des Kunstmuseums findet sich die neuerstandene Arbeit des Schweizerischen
Künstlerpaares Fischli & Weiss mit dem Titel "Ohne
Titel" (Venedig Tapes). Zwölf Monitore spielen jeweils achtstündige
Videosequenzen, insgesamt also 96 Stunden Videomaterial. Das Werk, erstmals
auf der XLVI. Biennale in Venedig gezeigt, widmet sich allem und nichts.
Fischli/Weiss filmten mit der Handkamara diverse Sujets (Kindereishockey,
Schneepflug, Landschaften, Diskotheken und weiter 120) manchmal samt der
An- und Abfahrten zu diesen Ereignissen. Herausgekommen ist ein Bilderbogen,
der durch nichts als die optische Präsentation zusammengehalten wird:
ein Kaleidoskop des Arbeits- und Naturlebens, dicht nebeneinander, nie
zugleich erfaßbar.
Während
bei Fischli/Weiss das Panoptikum in der Behauptung der Tatsachen vor jeder
Utopie besteht, blickt Chantal Akermans filmische Reise durch den
Osten (von Deutschland über Polen nach Rußland) zwischen die Fakten.
Akermans 107 Minuten langer Film "D'Est" fährt die Landschaften
entlang, entlang auch an den Menschen. Das geschieht mit einer aufreizenden
Langsamkeit, die den dargestellten Menschen ihre Würde läßt, so kalt und
stumm ihre Gesichter zuweilen auch sein mögen. Die Kamara gleitet durch
die Welt wie ein Flaneur, der alles in sich hineinzieht, aber nichts aus
seinem Zusammenhang reißt. In einem zweiten Raum sind einige Filmsequenzen
sich unablässig wiederholend nebeneinander gestellt. Acht Monitortryptichen
konvertieren auf diese Weise das Nach- in ein Nebeneinander, sogar ein
und derselben Szene. Allerdings ist die Installation des Filmes weniger
konsistent, weniger herzlich als der langsame Film. Die mediale Technik
zerreißt die sanfte Abtastung im Bewegungsprozeß des Films.
Die dritte
Ausstellung im Zwischendeck des Nordflügels ist dem fotografischen Werk
des 1968 in Remscheid geborenen Wolfgang Tillmans gewidmet. Tillmanns'
Fotografien finden sich vornehmlich in "Pop"ulären Zeitschriften
wie "Prinz", "Tempo" und "Spex", neuerdings
auch in der Süddeutschen Zeitung. Tillmans Blick ist geprägt von dem fotografischen
Paradigmenwechsel des "Nicht ich will inszenieren, sondern die Gegenstände
inszenieren sich für mich." Und diese Einstellung macht dann auch
klar, warum die genannten Zeitschriften gerne auf ihn zukommen: Er ist
der Insider, dem gegenüber man bleibt, was man ist. Das darf als Stärke
auffaßt werden, gewiß, nur museal wirken die Bilder sehr abstrakt und
läppisch. Auch dem wollte Tillmans sich stellen, indem er die für ihn
ungünstige Architektur der Räume durch eine hingeworfene Hängung der Bilder
ad absurdum zu führen beabsichtigte. So sehr ihm das gelingt, so sehr
gelingt es ihm auch, die Nichtigkeit seines Werks als originäre Kunst
zu präsentieren.
John Chamberlain: Current Works And Found Memories.
Skulpturen und fotografische Arbeiten 1967-1995 (7.9.96-17.11.96)
Chantal Akerman: Bordering On Fiction: Chantal
Akermans D'EST (7.9.96-19.1.97)
Wolfgang Tillmans: Wer Liebe wagt lebt morgen
(7.9.96-17.11.96)
Peter Fischli/David Weiss: Ohne
Titel - Venedig Tapes (Neuerwerbung)
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