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Quelle:
neue musikzeitung

Cluster

Jahr 07/08
Ausgabe 1999
Seite 4
nmz-online

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Stop and go

© 1999 by Martin Hufner (EMail)

Die bundesrepublikanische Gesellschaft befindet sich in einer gewaltigen Umbauphase. Der Nationalstaat verliert an Bedeutung, der Globalisierungsschub nimmt zu. Diese Bewegung zu leugnen, wäre Selbstbetrug. Doch diesem Bewegungsgötzen einfach nur nachzufolgen, ist gefährlich.

Der Platz, den die Künste in diesem Prozeß einnehmen, könnte mustergültig für einen Umgang mit der Zukunft werden. Als Sprache des Gefühls und des Verstandes kristallisiert die Kunst in der Schnittmenge einen illuminierenden Begriff von Vernunft. Gefühle sind langsamer als der Verstand und damit ein Potential gegen die blinde politische Geschwindigkeit, Gefühle sind aber auch konservativer und bedürfen darum stetiger Innovation und Korrektur durch den Verstand. Neben der Tempofrage steht die Standortfrage.

Die Gesellschaft zerfällt in universale und regionale Gemütslagen, sie zerfällt in weltumspannende Publizität (Internet) und private Ohnmacht in einem Schritt. Im Prinzip wären beispielsweise die „Jeunesses Musicales“ als internationale musikalische Instititionengemeinschaft prädestiniert, zwischen Globalisierungsdruck und Regionalismusdifferenzen balancierend zu vermitteln. Das heißt gerade bei den jungen Menschen zwischen den Kulturen den Austausch sinnlich und fordernd zu gestalten. Es sieht so aus, als ob hier die öffentliche Politik vollkommen versagt hat (siehe Europa-Wahlen).

Da dieser Platz streng genommen frei wird, sollte ihn die Kunst für sich nutzen: nicht als geöltes Scharnier zur Beschwichtigung, sondern aggressiv mit Herz und Verstand. Die Chancen für eine offensive Kunst sind groß; die am Kulturtropf hängende passive wird über kurz oder lang nur noch pharmazeutische Funktionen übernehmen. Dafür sorgen schon unsere vorauseilenden Kulturreferenten in den Städten – Opfer und Täter zugleich.

Martin Hufner