27. Dezember 2024 Alles muss raus!

To whom it may concern II

Auch das hatte Kierkegaard recht fein herausgearbeitet und pointiert. Das Wesen der Kritik mal anders:
Der beste Beweis, der sich für die Jämmerlichkeit des Daseins führen läßt, ist der, den man aus der Betrachtung seiner Herrlichkeit herleitet.
Der geneigte Leser der „Kritische Masse“ mag sich da langsam fragen. „Mein lieber Hufi, was ist denn nur mit dir los. Warum tust du dir diesen Dänen an? Diesen waschechten Jammerlappen aus Smörreland und Selbstmordistan?“ [Ich glaube, die Dänen haben sich da sehr verbessert, heute bringt man sich eher im Baltikum selbst um die Ecke.]
Nun Jungs und Mädels, die Antwort ist recht einfach. Der Däne spinnt — also genauer: Dieser Däne spinnt, wie es nur ein literarisch fühliger Mensch tun kann. Der Autor, nun eben der Sören Kierkegaard, der war ja selbst nicht so übellaunig, sondern vor allem gallig. Das Genre des Aphorismus, das er in den Diapsalmata (so habe ich mir diese griechische Fitzelei am Seitenkopf transliteriert) ausprobiert ist ja voll von Hasenschlägen und kürzesten Verkehrungen. Man ist nachher nicht schlauer, auch wenn einem am Anfang alles spontan klar ist. Anfangs sagt man sich: „Naja, klar doch, stimmt — schön gesagt.“ Und kramt man dann herinnen herum, dann werden diese Aphorismen sowohl zu Supernovae wie zu schwarzen Löchern. Plumps, sagte ich da nur. Eben war da doch noch ein Sinn. Und nu?

Aber manchmal sinds auch nur Lebensweisheiten, hübsch ausgedacht, wie der nächste Aphorismus:
Die meisten Menschen hasten so sehr dem Genusse nach, daß sie an ihm vorüberhasten. Es geht ihnen wie jenem Zwerg, der eine entführte Prizessin in seinem Schloß bewachte. Eines Tages hielt er ein Mittagsschläfchen. Als er nach einer Stunde erwachte, war sie fort. Geschwind zieht er seine Siebenmeilenstiefel an; mit einem Schritt ist er weit an ihr vorüber.
Klingt ja alles zunächst plausibel. Aber wer von uns ist denn ein Zwerg, der eine Prinzessin bewacht (die er selbst entführt hat?; wer anders entführt hat?). Und: Was hat das mit dem Genuss zu tun. Braucht der Kierkegaard die Siebenmeilenstiefel doch nur zum Beleg seiner These vom Genuss nachhasten. Wo ist denn der Genuss an einer entführten Prinzessin? Sie zu bewachen und nicht zu pennen, gerade als Zwerg?

Kierkegaard ist dann aber wieder so schlau und sagt ja nicht: „alle“ Menschen sondern nur „die meisten“ Menschen. Tscha. Ich war nicht gemeint, soviel ist doch klar. Prima zum Zurückzug. Aber, so höre die Leser blöken: „Hufi, warum denn dann?“

Das will ich wohl sagen. Ich beziehe mich dabei auf die Einleitung Theodor W. Adornos zu Heinz Krügers „Über den Aphorismus als philosophische Form“ [München 1988] Adorno schreibt dort, selbst ganz aphoristisch den Pfeil führend:
Der Aphorismus verwendet Sprache und Wissensprinzipien nicht so, wie sie sich von sich aus meinen: er macht sie uneigentlich und sich selber fremd. Er ist das entfaltete Nichtwissen, das die äußerste Reflexion des Wissens voraussetzt. … Er zielt auf die Negation abschlußhaften Denkens; er terminiert nicht im Urteil, sondern ist die konkrete Gestalt, in der die Bewegung des Begriffs sich darstellt, der des Systems sich entschlug. (S. 8)
Das versteht jetzt zwar auch keiner, nicht mal ich, aber ein paar Teile leuchten sofort ein. Der „gute“ Aphorismus macht nicht „peng“ oder „puff“ und weg isser, sondern er ist wie ein leises Gift, welches sich durch die Gedanken bohrt und affiziert.

Krüger hat natürlich auch dazu etwas zu sagen, und das ist gar nicht mal schlecht. Ich hatte es mir nicht gemerkt. Aber die etymologische Wurzel soll auf Hippokrates zurückgehen, der wohl medizinische Lehrsätze so nannte (»aphorismoi«), die gegen die Tempelmedizin standen und wohl auch mit seinem Lehrer Gorgias zu tun haben. Im 12. Jahrhundert greift dies ein Joannes de Mediolano seine ärztlichen Vorschriften im Form metrischer »aphorismis« zusammen. Die begannen mit dem weltbekannten: „Vita brevis, ars longa …“ (was ich immer dachte, von Baudelaire stammt). Aber klar, konnte eigentlich nicht sein.

Schön endet Krügers Abhandlung mit einem Aphorismus des Meisters Nietzsche aus der „Früöhlichen Wissenschaft“, der wunderschön ist und lange anhält:
Meine Gedanken, sagte der Wanderer zu seinem Schatten, sollen mir anzeigen, wo ich stehe: aber sie sollen mir nicht verraten, wohin ich gehe. Ich liebe die Ungewissheit um die Zukunft und will nicht an der Ungeduld und dem Vorwegkosten verheißener Dinge zugrunde gehen.

Auch das hatte Kierkegaard recht fein herausgearbeitet und pointiert. Das Wesen der Kritik mal anders:
Der beste Beweis, der sich für die Jämmerlichkeit des Daseins führen läßt, ist der, den man aus der Betrachtung seiner Herrlichkeit herleitet.
Der geneigte Leser der „Kritische Masse“ mag sich da langsam fragen. „Mein lieber Hufi, was ist denn nur mit dir los. Warum tust du dir diesen Dänen an? Diesen waschechten Jammerlappen aus Smörreland und Selbstmordistan?“ [Ich glaube, die Dänen haben sich da sehr verbessert, heute bringt man sich eher im Baltikum selbst um die Ecke.]
Nun Jungs und Mädels, die Antwort ist recht einfach. Der Däne spinnt — also genauer: Dieser Däne spinnt, wie es nur ein literarisch fühliger Mensch tun kann. Der Autor, nun eben der Sören Kierkegaard, der war ja selbst nicht so übellaunig, sondern vor allem gallig. Das Genre des Aphorismus, das er in den Diapsalmata (so habe ich mir diese griechische Fitzelei am Seitenkopf transliteriert) ausprobiert ist ja voll von Hasenschlägen und kürzesten Verkehrungen. Man ist nachher nicht schlauer, auch wenn einem am Anfang alles spontan klar ist. Anfangs sagt man sich: „Naja, klar doch, stimmt — schön gesagt.“ Und kramt man dann herinnen herum, dann werden diese Aphorismen sowohl zu Supernovae wie zu schwarzen Löchern. Plumps, sagte ich da nur. Eben war da doch noch ein Sinn. Und nu?

Aber manchmal sinds auch nur Lebensweisheiten, hübsch ausgedacht, wie der nächste Aphorismus:
Die meisten Menschen hasten so sehr dem Genusse nach, daß sie an ihm vorüberhasten. Es geht ihnen wie jenem Zwerg, der eine entführte Prizessin in seinem Schloß bewachte. Eines Tages hielt er ein Mittagsschläfchen. Als er nach einer Stunde erwachte, war sie fort. Geschwind zieht er seine Siebenmeilenstiefel an; mit einem Schritt ist er weit an ihr vorüber.
Klingt ja alles zunächst plausibel. Aber wer von uns ist denn ein Zwerg, der eine Prinzessin bewacht (die er selbst entführt hat?; wer anders entführt hat?). Und: Was hat das mit dem Genuss zu tun. Braucht der Kierkegaard die Siebenmeilenstiefel doch nur zum Beleg seiner These vom Genuss nachhasten. Wo ist denn der Genuss an einer entführten Prinzessin? Sie zu bewachen und nicht zu pennen, gerade als Zwerg?

Kierkegaard ist dann aber wieder so schlau und sagt ja nicht: „alle“ Menschen sondern nur „die meisten“ Menschen. Tscha. Ich war nicht gemeint, soviel ist doch klar. Prima zum Zurückzug. Aber, so höre die Leser blöken: „Hufi, warum denn dann?“

Das will ich wohl sagen. Ich beziehe mich dabei auf die Einleitung Theodor W. Adornos zu Heinz Krügers „Über den Aphorismus als philosophische Form“ [München 1988] Adorno schreibt dort, selbst ganz aphoristisch den Pfeil führend:
Der Aphorismus verwendet Sprache und Wissensprinzipien nicht so, wie sie sich von sich aus meinen: er macht sie uneigentlich und sich selber fremd. Er ist das entfaltete Nichtwissen, das die äußerste Reflexion des Wissens voraussetzt. … Er zielt auf die Negation abschlußhaften Denkens; er terminiert nicht im Urteil, sondern ist die konkrete Gestalt, in der die Bewegung des Begriffs sich darstellt, der des Systems sich entschlug. (S. 8)
Das versteht jetzt zwar auch keiner, nicht mal ich, aber ein paar Teile leuchten sofort ein. Der „gute“ Aphorismus macht nicht „peng“ oder „puff“ und weg isser, sondern er ist wie ein leises Gift, welches sich durch die Gedanken bohrt und affiziert.

Krüger hat natürlich auch dazu etwas zu sagen, und das ist gar nicht mal schlecht. Ich hatte es mir nicht gemerkt. Aber die etymologische Wurzel soll auf Hippokrates zurückgehen, der wohl medizinische Lehrsätze so nannte (»aphorismoi«), die gegen die Tempelmedizin standen und wohl auch mit seinem Lehrer Gorgias zu tun haben. Im 12. Jahrhundert greift dies ein Joannes de Mediolano seine ärztlichen Vorschriften im Form metrischer »aphorismis« zusammen. Die begannen mit dem weltbekannten: „Vita brevis, ars longa …“ (was ich immer dachte, von Baudelaire stammt). Aber klar, konnte eigentlich nicht sein.

Schön endet Krügers Abhandlung mit einem Aphorismus des Meisters Nietzsche aus der „Früöhlichen Wissenschaft“, der wunderschön ist und lange anhält:
Meine Gedanken, sagte der Wanderer zu seinem Schatten, sollen mir anzeigen, wo ich stehe: aber sie sollen mir nicht verraten, wohin ich gehe. Ich liebe die Ungewissheit um die Zukunft und will nicht an der Ungeduld und dem Vorwegkosten verheißener Dinge zugrunde gehen.

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