22. November 2024 Alles muss raus!

Rundfunkabbauverein

Wer erinnert sich? October 23, 1982, Staatsoper Hamburg. Ich habe am Radio gesessen. Mein Tonbandgerät hat auf dem rauschenden UKW-Kanal von NDR 2 (das war ja eher der Jugend- und Info-Sender, statt NDR 3, wo die Klassik und der Jazz sonst sendete) mitgeschnitten. Später verschwunden im Speicher in Regensburg. Hallo ECM! Wann?

41 Jahre ist das her. Das Radio ist 100 geworden. Es war eine Sternstunde und Michael Naura hatte den NDR gut aufgelegt. Man hat noch den Redakteur:innen zugehört und ist denen als Fachleuten in ihrem Bereich gefolgt. Nicht den lowerpointgeschulten Quoten-Senkern aus den Fortbildungszentren des Rundfunkabbauvereins.

1982 war Keith Jarrett in Hamburg zum solo. Nicht nur musikalisch ein sensationell schönes Konzert. Sondern in der Pause kein Zwischenpalaver. Dagegen Ausschnitte von 100. NDR-Jazzworkshop. Von 1974! Mit Keith Jarrett, Jan Garbarek, Palle Danielsson und Jon Christensen. Der HUNDERSTE bereits, aufgenommen im Funkhaus Hannover. Auch daran kann ich mich erinnern. Die Jazzworkshops mit Charlie Mariano (der am 12.11.2023 gerade auch 100 Jahre alt geworden wäre) mit Philip Catherine und Jasper van’t Hof.

Wie schön allein schon die Begrüßung der Stationssprecherin!

Das war noch nicht in der Perfektion, die heute im Radio abverlangt wird, sondern es war eine sehr prominente, präsente Stimme, in der der Anlass selbst reflektiert worden ist. Das hat nichts Abgeklärtes, sondern diese kleine Unsicherheit, die vermutlich schon die Schaltung ins Opernhaus mitsichbrachte. Schätze, mit der üblichen ISDN-Leitung der Post, die damals auch noch keine AG war. Wie es heute dem Rundfunk ja droht.

Keine Ahnung, ob der NDR sich tatsächlich bewusst ist, welche Schätze er in sich gelagert hat, die Stück für Stück dem Vergessen überantwortet werden.

Gestern gab es in Baden-Baden das letzte Konzert aus dem Hans-Robaud-Studio des SWF, verkauft und dem Abriss überantwortet für ein Medienzentrum des SWR auf der Straßenseite gegenüber. Morgen steht dazu etwas von Georg Rudiger auf nmz.de. Es ist eine Schande und ein Trauerspiel und ein Vergehen nicht allein an der Geschichte und der Kultur, sondern an der Gegenwart, die man so formt, dass sie möglichst normalisiert wird, wo doch alles aus den Fugen ist.

Letzte Woche von SWR 2 einen Vortrag von Jean Amery aus dem Jahr 1964 über den Intellektuellen in Auschwitz gehört. So klar und so bitter.

Oder ich denke daran, dass wohl hunderts Musikfeatures im Bayerischen Rundfunk im Umfang von 83 Minuten allein deshalb nie wieder gesendet werden, weil es diesen räumlich-zeitlichen Platz gar nicht mehr gibt.

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2 Kommentare

  1. Ähnlich auch beim Thema Film/TV: Es ist lange, aber auch noch nicht ewig lange her, da hat der NDR/Studio Hamburg kilometerweise MAZ-Bänder und Film aus der Frühzeit des Fernsehens (und Kinos) dem Müll übergeben, um Platz zu schaffen. Vieles ist verloren, eine Art zweiter Vernichtungswelle wie aus der Frühzeit des kommerziellen Kinos, als man begann, Verleihkopien von Stummfilmen (sofern die durch ihren Nitratgehalt nicht selbst abbrannten) der Kosten wegen gar nicht mehr aus den letzten Abspielregionen am Ende der Welt zurückzuverlangen oder zu archivieren. (Weshalb man manchmal noch alte vergrabene Rollen in Alaska oder Südamerika findet.) Ein Großteil ist verloren.

    Die Hamburger Hochschule für bildende Künste hat vor jahren aus Platzgründen die Bibliothek geräumt und teilweise Erstausgaben wertvoller Kunst- und Künslterbücher verramscht oder gleich weggeworfen (leider – oder viellelicht auch zum Glück – habe ich davon zu spät erfahren). Befeuert wird das alles vom Digitalisierungswahn und dem Irrglauben, es sei deshalb ja “eh alles im Netz”.

    1. Es ist wirklich zum Haareraufen und zur andauernden Ärger. Natürlich wird es mehr, was die Geschichte anhäuft. Aber der Platz dafür wird ja an sich nicht geringer deshalb. Aber enger wird es für all das, was es nicht rechtzeitig wenigstens in die Speicher schafft. Das Verschwinden neben der Bewunderung für recht mittelmäßige Ausgrabungen aus der Vergangenheit stehen sich gegenüber. Und dann wird vieles wieder neu gelernt, was längst schon jemand gedacht oder gewusst hat. Aber wenn etwas erst recht keine Konjunktur hat, dann ist es ein Denken, was diese divergierenden und komplementären Prozesse überhaupt noch fassen will!

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