tl;dr: Anja Würzberg, die Kulturchefin des NDR, provoziert einen Unfall im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sie provoziert ihn nicht nur, sie hat ihn geplant. Der Schaden könnte kleiner kaum sein. Aber genügend Maulkörbe in den Redaktionen werden dafür sorgen, dass man zu spät aufbegehrt. Da bin ich sicher. Einer Partei wird das gefallen und sie wird, wenn ihre Zeit gekommen ist, mit Genuss dort weitermachen, wo die dreisten Kulturabwickler:innen im Rundfunk erst anfangen den Kulturwald zu roden. Nein, ich rede nicht von der FDP.
„Die Intendantinnen und Intendanten des öffentlich-rechtlichen Senderverbundes haben bei ihrer zweitägigen Sitzung in Stuttgart Grundsatz-Entscheidungen gefällt, wie der Umbau der ARD konkret aussehen wird.“ Mit dieser Pressemeldung schreitet die ARD ihre Zukunftsfähigkeit ab, beziehungsweise das, was sie in der Zukunft plant. Nachzulesen unter: ARD stellt Weichen für den Reformweg: jetzt wird es konkret. Das war am Donnerstag, dem 22. Juni. Die dort ausgegebenen Ideen kann man noch einmal für sich durchgehen. Interessant für den Kulturbereich im Hörfunk wird es noch am gleichen Abend.
In einem Gespräch interviewt der NDR-Redakteur Mischa Kreiskott die Leiterin der Kulturredaktion des NDR, Anja Würzberg (nachzulesen hier: Beschlüsse der ARD-Reform: Wie geht es weiter mit NDR Kultur?). Und zwar bereits um 19 Uhr wird das Gespräch veröffentlicht am gleichen Tag veröffentlicht und mit dem Vorspann eingeleitet: „Die Intendantinnen und Intendanten der ARD haben Veränderungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschlossen. Anja Würzberg, Leiterin der Kulturredaktion im NDR, stellt die Veränderungen im Programm von NDR Kultur vor.“ Das geht also rasend schnell bei NDR. Im Kern schwebt der Kulturchefin beim NDR vor: Man möchte das Abendprogramm der Kulturwellen ab 20 Uhr gemeinsam mit den anderen Landesrundfunkanstalten gestalten. Moment, denkt man, das kennt man aus dem sogenannten Radiofestival der ARD im Sommer. Neinneinnein:
„Würzberg: Wir sind regional, wollen regional bleiben, wir legen einen großen Schwerpunkt auf die regionale Kulturberichterstattung, vor allem zwischen 8 und 20 Uhr – und danach kriegen Sie die Highlights aus der ganzen ARD von uns: Das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Sir Simon Rattle oder die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen aus der Elbphilharmonie – auf jeden Fall bekommen Sie von uns das Beste von allem.
Mischa Kreiskott: Das heißt: Ab 20 Uhr ist jetzt immer ARD Radiofestival, so wie im Sommer.
Würzberg: Genau. Die treuen Hörerinnen und Hörer von NDR Kultur kennen das ja schon, dass wir ihnen im Sommer zehn Wochen lang auch schon eine Highlight-Berichterstattung und Highlight-Konzerte bieten können. Wir haben uns vorgenommen, dass wir das über das ganze Jahr ziehen, dass wir ab 20 Uhr den Hörerinnen und Hörern von NDR Kultur ein sehr hochwertiges Kulturprogramm zur Verfügung stellen, und das eng eingehakt mit den anderen Kulturredaktionen der ARD. Denn wir sind überzeugt davon: Gemeinsam sind wir stärker!“
Im Umkehrschluss heißt das, bislang müssen wir ja komplett bekloppt gewesen sein, das Abendprogramm regional mit einer eigenen Redaktion bestritten zu haben. Offen bleibt aber auch das Argument selbst. Warum ist man stärker, wenn man weniger ist?
Offen bleibt dabei zugleich die Frage: Wer ist dieses „Wir“ von dem die Kulturchefin des NDR spricht. Und zwar umgehend nach Ende der Intendant:innen-Sitzung. Bislang hat sich keine Rundfunkanstalt der Idee von Würzberg angeschlossen. Warum wohl?
Weil es die Beschlüsse der Intendant:innen-Sitzung gar nicht hergeben. Dort liest man:
„Im Hörfunk ist intensive Kooperation schon heute geübte Praxis. Insbesondere bei den Infowellen wird über die ARD-Auslandsstudios, die ARD-Sportberichterstattung, das ARD-Hauptstadtstudio oder den gemeinsamen Programmaustausch eng zusammengearbeitet: Teams aus verschiedenen ARD Medienhäusern stellen Inhalte für die gesamte ARD her. Es gibt Programmstrecken, die mehrere ARD Medienhäuser übernehmen, wie die ARD Infonacht, das ARD Nachtkonzert oder die ARD Popnacht. Künftig soll es zunächst bei den Kultur- und Infowellen eine noch engere Zusammenarbeit geben. In einen neuen Inhalte-Pool bringen die ARD Medienhäuser Beiträge, Reportagen und Sendungen ein, die dann allen zur Nutzung zur Verfügung stehen.“ (Quelle)
Fakten, die keine sind
Es ist die Rede von einer engeren Zusammenarbeit. Das ist sicher sogar wünschenswert. Denn ab und zu überschneiden sich gleichthematische Sendungen. Kooperieren heißt, miteinander etwas tun, nicht alle tun das gleiche. Auch darauf will Würzberg sogleich antworten.
„Vielfalt ist uns wichtig, denn die ARD besteht aus … Meinungsvielfalt. Uns ist es wichtig, dass wir diese Meinungsvielfalt eher erhöhen. Das machen wir aber nicht, indem wir ein und dasselbe Buch acht Mal rezensieren …“ (Quelle)
Wer mit Zahlen operiert, kommt darin um: Würzberg bleibt schuldig, wo das genau nun passiert ist, wie häufig und was daran falsch ist. Auch hier wird man sofort hellhörig und vermeint dem zu entnehmen: man braucht eine Zentralrezensionseinheit im ÖRR. Am Ende steht dann eine Reichs-Rundfunk-Gesellschaft, wie sie bereits in Deutschland von 1933-1945 von den Nationalsozialisten installiert worden ist. Und die von der ARD schließlich abgelöst worden ist. Jetzt nicht den Schritt rückwärts machen. Nicht mal die Möglichkeit in Erwägung ziehen! Es gibt Parteien in Deutschland, die würden eine solche Umkehr in den nationalsozialistischen Faschismus sehr begrüßen.
Das ganz will uns Würzberg aber als dann ziemlich normales Projekt verkaufen. Denn:
„Alle Hörerinnen und Hörer sind für uns ganz wichtige Menschen, und wir wollen sie nicht enttäuschen. Deswegen gibt es jetzt auch keinen großen Knall, keine Mega-Reform, sondern wir wollen gucken, dass wir sie weiterhin, auch in einer Zeit, in der viele auf digitale Wege umgestiegen sind, gut versorgen.“ (Quelle)
Sülz, Sülz und Tripel-Sülz. Ich kann gar nicht alle Unsachlichkeiten von Würzberg kommentieren. Erstaunlich aber gewiss, dass diesen Interview so unmittelbar nach der Pressemeldung der ARD-Intendant:innen schon geführt wurde, als hätte es eine Absprache zwischen den Landesrundfunkanstalten im Kulturbereich dazu bereits gegeben. Das dürfte sehr unwahrscheinlich sein.
Wahrscheinlich ist vielmehr, dass Würzberg ausspricht, was insgeheim den Intendant:innen tatsächlich vorschwebt, diese aber nicht aussprechen. Würzberg muss die Pole-Position belegen. Wer Anja Würzberg einmal in einer Diskussionsrunde zusammen mit Kai Gniffke, dem Intendanten des SWR und zur Zeit Vorsitzender der ARD gesehen und vor allem gehört hat, kann sich gut vorstellen, was da unter der Hand schon gemauschelt worden ist. Ich bin mir gleichwohl sehr sicher, dass die anderen Landesrundfunkanstalten dem NDR und ihrer Kulturchefin für ihre Vorhaben, das Radiofestival über das ganze Jahr zu ziehen, die kalte Schulter zeigen werden. Dafür haben die Sender zu sehr gute eigene Profile im Programmschema entwickelt. Selbst der NDR!
Das Zaudern der „Kulturrundfunkräte“
Ein dritter Punkt manch die Angelegenheit aktuell ungewöhnlich. Am Samstag (!) gab es einen Newsletter des Deutschen Kulturrates zum Thema mit der Überschrift „Öffentlich-rechtlicher Rundfunk braucht Kultur – Kultur braucht öffentlich-rechtlichen Rundfunk“. Darin wird ein Positionspapier einer Gruppe von aus dem Kulturbereich entsandten Rundfunkräten der ARD-Anstalten, des Deutschlandfunk und der Deutschen Welle wiedergegeben. Also am 24. Juni, zwei Tage nach der Sitzung der ARD-Intendant:innen. Verfasst wurde es aber beriets am 6. Juni. Warum wird es erst jetzt veröffentlicht. Es ist unterzeichnet mit Prof. Christian Höppner (Präsident des Deutschen Kulturrates und Rundfunkratsmitglied der Deutschen Welle) und Gerhart R. Baum (Vorsitzender des Kulturrat NRW und Rundfunkratsmitglied im WDR). Mittlerweile ist Baum gerade nicht mehr Vorsitzender des Kulturrats NRW. Dieser wiederum hatte das Papier bereits am 21. Juni veröffentlicht. Dabei aber immerhin Baum als ehemaligen Vorsitzenden gekennzeichnet. Eine Nachfrage beim Deutschen Kulturrat, wer denn dieser Gruppe von aus dem Kulturbereich entsandten Rundfunkräten der ARD-Anstalten, des Deutschlandfunk und der Deutschen Welle angehört, blieb bislang ebenso unbeantwortet wie der Grund für die späte Veröffentlichung. Grundsätzlich dunkel bleibt, warum diese Gruppe überhaupt ein Papier veröffentlicht, wo alle diese Personen doch direkt in der Aufsicht des Rundfunks als Räte eingebunden sind und also direkt vor Ort Einfluss nehmen könnten.
Was ist das für ein Bild, das die Selbstverwaltungsorgane aus dem Kulturbereich da abgeben. Timing schlecht, Zielgruppe des Papiers falsch. Da muss man sich nicht wundern, wenn die Gniffke und Würzbergs (den Trouble mit Verena Keysers beim rbb wollen wir nicht vergessen; Arno Lücker berichtete im Bad Blog Of Musick) da abgeben.
Lieber Herr Hufner,
herzlichen Dank für die Recherche und für die klaren Worte!
Ich teile Ihre Vermutung, dass das, was von NDR Kultur so auffällig schnell kommuniziert wurde, die Vorlage für das sein wird, was den anderen Kulturwellen ebenfalls droht. Sie wollen / sollen / müssen in der ARD ja sparen und sie wollen es ausdrücklich an der kulturellen Substanz. Eine inhaltliche Bereicherung durch Kooperation, dass also nur “Füllstoff-Stunden”, wie es sie abends bereits seit langem in manchen ARD-Kulturwellen in Form von Wiederholungen aus dem Tagesprogramm oder in Form einer Stunde unmoderiert dahinplätschernder “Lala” gibt, durch spannenden Inhalt ersetzt werden, führt nicht zu Einsparung. Das geht nur durch das nicht-mehr-Produzieren derzeit noch bereitgestellter wertvoller Inhalte.
Soweit mir direkt aus einer ARD-Anstalt berichtet, hätte im Vorfeld sogar die Idee der Kompletteinstellung der ARD-Kulturprogramme im Raum gestanden. Man könne sich das nicht mehr leisten, außerdem gäbe es ja noch DLF Kultur. Wenn solche Ideen überhaupt bis zur “Spruchreife” kommen, muss es übel aussehen und ist nicht mehr viel Gutes zu erwarten.
Für die Andeutung, dass die ARD mit ihrer Kulturabwicklung “finsteren Kräften” in die Hand spielt, bin ich Ihnen zutiefst dankbar. Man kann das nicht oft genug sagen in einer Zeit, in der sich einstige Volksparteien regelrecht faschistisieren und Lüge sowie darauf aufbauende Hetze zum Mittel ihrer Arbeit machen, in einer Zeit, in der in rasender Geschwindigkeit und mit sich beschleunigernder Beschleunigung jegliche sozialethischen Regeln guten Zusammenlebens über Bord geworfen werden, in einer solchen Zeit plant die ARD, vorsätzlich die noch verbliebene Hörfunkkultur zu beschädigen oder abzuwickeln und leistet damit einen weiteren Beitrag zur Verwarlosung dieses Landes.
Das Gegenteil wäre richtig: das Wahre, Gute und Schöne (und das Aufzeigen des Widerlichen in der Gesellschaft) in den Vordergrund rücken und stärken.
Offenbar ist das Bewusstsein über den Wert hochwertigen, auch regionale Themen abbildenden Kulturradios weder in den Chefetagen der ARD noch bei den Gremien ausreichend vorhanden oder – falls vorhanden – wird es ausdrücklich negiert und entwertet. Auf mich wirkt es, als wären Orte, die eigentlich der liebevollen Pflege und Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dienen sollten, nur noch von Verwaltern einer als “lästig” empfundenen Pflicht besetzt.
Kulturradios müssen heute oft weit mehr als nur “Klassik” abbilden, auch weit mehr als “Klassik + Jazz + Literatur + Hörspiel”, was manchen schon einen ungeheuerlich weiten Kulturbegriff darstellt. Inzwischen müssen die Kulturwellen theoretisch alles von Punk und Metal, von klassischer Musik in historischer Aufführungspraxis bis zu Neuer Musik, von Sendungen über Literatur bis zu Sendungen über Natur, Wissenschaft und Technik, von Hörspiel bis zu experimenteller Klangkunst, von Kindersendungen bis zu religiösen Themen und letztlich auch alle anderen gesellschaftlich notwendigen und relevanten Themen – auch den Bereich “bürgerliches gesellschaftliches Engagement” – abbilden, da auf den reinen Infowellen tagsüber meist das Nachrichten-Stakkato läuft und die anderen Hörfunkwellen der ARD-Anstalten meist längst auf ein streng reglementiertes “Musik”korsett ohne Aufmerksamkeit erregenden oder verdienenden Inhalt reduziert worden sind, also keinen Beitrag mehr zur Zivilgesellschaft leisten, zumindest keinen, der über “Besorgung der Hintergrundbeschallung mit Stauhinweisen” hinausgeht. Auch sind diese sogenannten “Unterhaltungswellen” oft derartig gestaltet, dass sie sich ein Mensch mit noch vorhandenem Rest an Selbstachtung gar nicht antun könnte.
Vor etlichen Monaten tauchte eine wichtige Stimme aus dem Verwaltungsrat einer westdeutschen ARD-Anstalt als Diskutantin in einem mit Rundfunkthemen befassten Internetforum auf – ein mutiger, bemerkenswerter und überaus seltener Fall, der Einblicke in Denke und Argumentationen dieser Gremien ermöglicht. Neben der Erkenntnis, dass auch diese Frau die hauseigene Kulturwelle mit “Klassik” gleichsetzte (obwohl dort viel, viel mehr läuft bis hin zu experimenteller elektronischer Klangkunst oder Popkultur), war die Auffassung herauszulesen, dass die Tagesbegleitwellen (also die inzwischen meist inhaltsfreien Popdudler) “regionale Ansprache” böten (klar, bei den Staumeldungen und beim Wetterbericht!) und – da “identitätsstiftend” – in ihrer regionalen Vielfalt (bzw. Einfalt) zu belassen wären.
Wenn man das gelesen hat, wundert man sich auch nicht mehr über den Weg, den der ARD-Kulturfunk geht. In der Luftfahrt würde man den Kurs der ARD kurz CFIT nennen – “Controlled Flight Into Terrain”.
Mitte Dezember 2021 stellte die ARD ihre Hörfunkverbreitung via Satellit (und damit fast zwangsläufig auch via Kabelnetz) trotz Protesten auf den im deutschsprachigen Raum für diesen Zweck absolut ungebräuchlichen Audiostandard LC-AAC um, was nicht nur zur Entwertung hunderttausender bislang dafür verwendeter und teils damals ladenneuer Empfangsgeräte führte, sondern auch zum Verstummen der UKW-Verbreitung via Satellit herangeholter ARD-Hörfunkprogramme in kleineren Kabelnetzen, da die Umsetzertechnik LC-AAC nicht unterstützte.
Es gab dann von einigen Herstellern Upgrades bzw. hätte ein Neukauf von Umsetzertechnik erfolgen müssen in Netzen, in denen die vorhandene Technik nicht auf LC-AAC aufrüstbar war. Das Kabelnetz, an dem mein Elternhaus angeschlossen ist, gehört zu den letzteren: die UKW-Umsetzer waren nicht auf LC-AAC aufrüstbar, es hätte ein Neukauf für ca. 5000 – 8000 EUR erfolgen müssen. Der kleine regionale Netzbetreiber hat sich damals dagegen entschieden, somit entfielen in diesem Netz u.a. Bayern 2, BR Klassik, SWR 2, WDR 3, hr2 und MDR Klassik auf UKW – und weitere ARD-Programme ebenso, insgesamt 21 Programme, u.a. BR Heimat, rbb Radio Eins, WDR Cosmo und WDR Maus.
Damals war ich sauer. Heute kommt mir diese Entscheidung richtig vor – wozu eine Vielzahl von Kulturprogrammen kostenaufwendig heranholen und umsetzen, wenn doch sowieso die weitgehende Zusammenschaltung droht und damit die Einspeisung des regional auf UKW sendenden Kulturprogramms künftig auch reicht? Viel Hoffnung auf Gutes bzw. wenigstens die Bewahrung des noch vorhandenen Guten mache ich mir nicht mehr.
Den Satz „auch Vielsprechende sind manchmal seltsam stumm“ aus dem vorherigen Text hätte man hier doch gleich noch einmal einsetzen können.
Man beachte die Äußerungen des NDR-Intendanten Knuth, die gestern zitiert wurden. Er pries erneut das Konzept eines gemeinsamen Abendprogramms ab 20 Uhr, diesmal für die Informationswellen. Und diesmal tatsächlich, wie schon die Nacht, von seinem Haus zu produzieren. Sieht also so aus, als versuchen hier welche, möglichst viel aus dem Fleischtopf zu sich umzulenken.
Interessant dabei, wie auffällig Knuth, so wie er zitiert wird, diesmal nicht nur die von den einzelnen Häusern zu entscheidende Übernahme, sondern auch die vorzusehenden Ausstiegspunkte betonte. Man könnte sich fast fragen, ob der Vorstoß der seltsam stummen Vielsprechenden etwa für einige hochgezogene Augenbrauen gesorgt hatte.
Was die Selbstverwaltungsorgane aus dem Kulturbereich betrifft: Ganz ehrlich – von dort erwarte ich nichts mehr, wenn ich daran denke, mit welcher Hilflosigkeit – äh, Verzeihung: konstruktiven Begleitung dort auf den letzten Vorstoß zum Programmtausch auf der vierten UKW-Kette des Bayerischen Rundfunks reagiert wurde. Nur noch einmal zur Erinnerung: Der war mitnichten an der ach so bösen Hochkulturszene gescheitert, sondern einzig an der erfolgreichen Lobbyarbeit der kommerziellen Veranstalter, denen es darum ging, einen UKW-Konkurrenten ihres „Galaxy“-Formats zu verhindern.
Noch ein Bezug zum vorherigen Text, und zwar das Stichwort Russland. Es gab mal eine Erzählung, wie auffällig dort im Autoradio das Fehlen eines Kulturprogramms wirke. Nun, man kann stattdessen ja Westi FM hören. Das läuft nämlich auf genau den Frequenzen, wo zuvor Radio Kultura lief. Und das war schon eine Ersatzgründung, denn das Kulturprogramm des Allunionsradios hatte Jelzin noch vor der Auflösung der Sowjetunion plattgemacht, um seinen eigenen Radiosender zu installieren. Wurde hierzulande alles beklatscht, denn Hauptsache, es geht gegen die Kommunisten. Die deutschen Gäste klatschten auch, als ein Kommunalpolitiker in Sankt Petersburg äußerte, nach seiner Meinung sollte Boris Jelzin ein Regime nach dem Vorbild von Pinochet installieren. Hat dieser dann zwar nicht gemacht, aber eben jenen Kommunalpolitiker als seinen Nachfolger eingesetzt. Nach meiner Erinnerung wurde auch da wieder geklatscht – Hauptsache, die Abwahl und den Antritt eines Kommunisten verhindert.
Wie kann man diesen Exkurs abschließen: Mit der Frage, inwieweit Kulturprogramme es früher wagten und heute wagen, den Blick derart zu weiten. Nach meinem Eindruck gibt es, und damit sei es nun auch genug, da recht deutliche Unterschiede, bleiben manche: Seltsam stumm.