22. November 2024 Alles muss raus!

Musikunrat fordert Nachdenkpause für den Deutschen Musikrat

Thomas Gottschalk in der bILD oder über die bILD
Thomas Gottschalk in der bILD oder über die bILD

Wenn Thomas Deutschland Gottschalk das schon sagt: „Es bringt auch nix, die Regenbogenfahne zu schwenken, aber die ARD muss nach diesen ganzen Pleiten einfach den Geldhahn zudrehen. Ohne Gold kein Glitter!“ Heißt: Wir Also die Berufenen müssen uns also den Sieg beim European Song Contest erpressen. Wenn man schon Geld gibt, soll man es danken. Wo käme man denn sonst auch hin. Wäre ja noch schöner, wenn man einen Contest wie den ESC nicht manipulieren könnte.

Ja, kann man so machen. Ist aber eher mittelklassig klug. Ohne Moos, nix los. Das grenzt an einen Schutzgelderpressungsversuch. Aber ist eben Thomas Glottschak (der Gerhard Schröder der Moderatorrrrren), ein Mann mit Ahnung.

Thomas Gottschalk zitiert in BILD
Thomas Gottschalk zitiert in BILD

Richtig zweitklassig äußert sich aber im Namen von Abermillionen Menschen („Der Deutsche Musikrat engagiert sich für die Interessen von 15 Millionen musizierenden Menschen in Deutschland und ist weltweit der größte nationale Dachverband der Musikkultur“), die durch ihn vertreten werden, der Generalsekretär des Deutschen Musikrates, Prof. Christian Höppner:

„Der Deutsche Musikrat rät der ARD, ihre Beteiligung am Eurovision Song Contest auszusetzen. Es braucht keine zweitklassige Show, bei der die künstlerische Qualität nur noch eine untergeordnete Rolle spielt und die sich vom ursprünglichen Gedanken des Musikwettbewerbs weitgehend entfernt hat. …“

Kein Fan der Zweitklassik. <del>Olaf</del> Professor Christian Höppner vom Deutschen Musikrat ihm sein Generalsekretär. Foto: Hufner 2017.
Kein Fan der Zweitklassik. Olaf Professor Christian Höppner vom Deutschen Musikrat ihm sein Generalsekretär. Foto: Hufner 2017.

Die Show war also zweitklassig. Weil der Beitrag aus Deutschland beim Verteilen der Punkte am Ende auf dem letzten Platz gelandet ist. Hätte man sich zu dieser These auch 2010 verstiegen, als der deutsche Beitrag auf Platz 1 landete? Hätte, hätte, Fahrradkette. Egal, aber Zweifel daran seien erlaubt. Wohl nicht.

Interessant ist vielmehr, dass der Deutsche Musikrat seine Kritik damit verknüpft, „ob gerade in Hinblick auf die sich androhenden Sparmaßnahmen im Kulturangebot des ÖRR eine Umverteilung finanzieller Mittel nicht nachhaltiger und dem Bildungsauftrag zuträglicher sei.“

Die Kosten der ARD für die Teilnahme und acht Stunden Unterhaltung belaufen sich auf irgendwas zwischen 400.000 bis 500.000 Euro. Das sind etwa drei Folgen einer Vorabendserie oder etwa zwei Jahresgehälter manches Intendanten der ARD oder – schätzungsweise – sechs bis zehn Jahresgehälter von Musiker:innen in den Orchestern der ARD-Anstalten. Man fängt also an zu rechnen, in vorauseilendem Gehorsam mit dem Finger auf Initiativen der Rundfunkanstalten zu zeigen, bei denen man besser kürzen könnte. Das weckt schlafende Hunde. Wenn der gleiche Effekt zu erzielen wäre, wenn man bei jedem Orchester nur eine Geige in den Streichern wegnimmt? Gleiches Ergebnis – und hören würde man den Unterschied eher nicht. Umverteilung eben! Streicher(innen) kann man am ehesten streichen, sagt ja schon der Name. 

Was man aber so gar nicht begreift im Hochkulturlabor des DMR

Der ESC ist so ziemlich die einzige Kulturveranstaltung über viele europäische Grenzen hinweg, bei denen man mehr oder weniger eindringlich etwas über die (Pop-)Kultur und die der Länder erfahren kann. Wie großartig allein waren die Einspielungen vor den Wettbewerbsbeiträgen, mit denen hier Kultur- und Naturstätten der Ukraine, Großbritanniens und des Teilnehmer:innenlandes verknüpft wurden, das als zweitklassig zu bezeichnen, steht dem Deutschen Musikrat allerdings natürlich frei. Es war ein Show in Sachen Stand der Veranstaltungstechnik. Die Welt zu Gast bei Freunden – hier findet es statt. Und die musikalischen Beiträge geben Anlass zur ästhetischen Streitgesprächen ohne Ende. Darüber hinaus spielt der Wettbewerb in der queeren Szene eine besondere Rolle seit jeher: Dana International, Conchita Wurst, es wird geküsst, geschmust. Man kämpft nicht gegeneinander, sondern miteinander: Und genau das ist der Sinn dieses Wettbewerbs. Ein Sieg ist Nebensache, die meisten Gewinnerstücke sind bald vergessen. Manche dafür brennen sich ein in die Popmusik- und Kulturgeschichte.

Ich habe geschrieben im Twittergespräch:

„Der ESC ist das, was der professionelle Sport immer nur für sich behauptet, wenn es heißt: Dabei sein ist alles. #Eurovision2023. Das ist wie beim eigenen Geburtstag. Wenn man nicht mehr selbst dabei ist, ist man tot.“

Und wie schön der Dirigent Paavo Järvi den Beitrag aus Deutschland auf Twitter kommentierte:

„Satanic drag queens from the land of Beethoven“.

Aber nein: Bildungsauftrag ist das, was Gottschalk und Höppner dazu machen wollen. Bei Gottschalk, okay, aber im Namen des Deutschen Musikrats: „Die öffentlichen Stimmen nach einer Kreativpause der Bundesrepublik beim ESC werden lauter.“ Was natürlich eben auch beliebig populistisch ergänzt werden kann, die wollen auch gerne den Rundfunkbeitrag absenken. Denn die öffentliche Stimme und die Kulturlandschaften!

Diesen Beef musste ich leider schreiben. Denn die Gedankenwelt dahinter ist immer noch offensichtlich geprägt von einem Verständnis von (Musik-)Kultur, das sich als elaboriert und klassistisch versteht; dass man den Konkurrenzgedanken im Wettbewerb favorisiert. Dagegen stehen Nussecken, Waddehaddedudeda, Liebes-Satelliten, Max Mutzke und ein bisschen Frieden.

Die rechtskonservativen Kreise dagegen haben den ESC für sich als Endgegner entdeckt und bemängeln fehlenden Nationalstolz. Aber das ist noch mal ein ganz anderes Fass.

 

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