25. Dezember 2024 Alles muss raus!

Die Armut der Argumente bei der WELT und „jeder irre Nazihaufen“

Was zum Teufel ist bei der WELT nur los. Erst vergaloppiert sich der Chefredakteur Ulf Poschardt, dann korrigiert ihn sein Kommentator Alan Posener, schließlich werden bei der WELT-Kolumnistin Birgit Kelle irre Nazihaufen fast schon zu Verteidigerinnen der Grundrechte, im Gegensatz zu Aktionskünstlern. Bitte? Bitte!

Tweet von Birgit Kelle. Screenshot
Tweet von Birgit Kelle. Screenshot[mfn]https://twitter.com/Birgit_Kelle/status/1071720540824616960[/mfn]
Kelles Sorgen möchte ich wirklich nicht haben. Gewiss, mag sein, dass sie ihre Sorgen mit dem Zentrum für Politische Schönheit so hoch (oder tief) hängt, dass da immer noch genug Sorge vor “Nazihaufen” bleibe. Aber so wird man es eher nicht lesen, so dürfte es kaum gemeint sein. Zumal der Vorwurf, das die(se) Künstler darüber entscheiden würden, wer in diesem Land noch Grundrechte genießen dürfe, etwas weit hergeholt (um ehrlich zu sein: Von jenseits der Vorstellungskraft) und vollkommen in der Sache irrig ist. Und damit natürlich auch der Rest ihres Eintrags. Vielleicht ist es einfach die Tatsache, dass Birgit Kelle keine Erfahrungen mit irren Nazihaufen bisher hatte (dann wäre der Vergleich nicht nur dämlich, sondern selbst irre, vielleicht sogar durchgeknallt.) Oder aber: Sie hat sogar welche (aus intimer Kenntnis?).

Aber das nur zur Einführung, das ist eine Äußerung von Birgit Kelle auf Twitter, nicht auf den Plattformen der WELT.

Wenn in einer Tageszeitung verschiedene Meinungen sich verbreiten, so ist das eigentlich eine feine Sache. Rechtsextreme, krudwilde und humane Positionen können nebeneinander stehen. So ein Blatt wie die WELT verträgt es – und es ist auch deren Markenkern. Dass dabei interne Kritik auch ihre Grenzen hat, wurde Alan Posener schon einmal im Jahr 2007 deutlich. In einem Blogeintrag hat sich Posener mit BILD-Chef Kai Dieckmann beschäftigt, der dann nach kurzer Zeit gelöscht wurde, wie das BILDBlog berichtete.

“Dies ist die Entgleisung eines einzelnen Mitarbeiters. Der Beitrag von Alan Posener über Kai Diekmann ist ohne Wissen der Chefredaktion in den Weblog von Alan Posener gestellt worden.

Der Beitrag ist eine höchst unkollegiale Geste und entspricht nicht den Werten unserer Unternehmenskultur.

Bei Axel Springer gilt Meinungspluralismus, aber nicht Selbstprofilierung durch die Verächtlichmachung von Kollegen.”2BildBlog vom 9.5.2017

Neben krummen Texten, wie denjenigen von Ulf Poschardt, gibt es Alan Posener oder Thomas Schmid, die durchaus bereit sind, eine Ecke weiterzudenken.

Das klappt aber auch nicht immer, wie das Gezänk zwischen Posener und mir vorgestern und gestern auf Twitter gezeigt hat. Es hat immerhin mehr als 24 Stunden und gefühlte 40 Tweets gedauert, bis Posener tatsächlich auf den von mir kritisierten Satz:

“Die Intellektuellen und Künstler sind entweder umfassend subventionierte Kostgänger des Staates und singen in bequemen Elfenbeintürmen das linksidealistische Lied – oder sie fantasieren sich als Kunst-Jakobiner in die Allmacht des Staates.”3Ulf Poschardt: Die kulturelle Katastrophe des Scheiterns von Friedrich Merz. WELT-Online.

eingegangen ist. Sicher hat er anderes und Wichtigeres zu tun, als sich mit jemandem wie mir zu beschäftigen, dessen Kritik-Niveau ihm einfach zu niedrig und zu “seicht” ist. Höflicher und mit geradezu unnachahmlicher Nachsicht geht er mit dem intellektuellen Schwergewicht Ulf Poschardt um. Kurzum sein letztes Wort:

screenshot-twitter.com-2018.12.11-22-00-13
screenshot-twitter.com-2018.12.11-22-00-13[mfn]https://twitter.com/APosener/status/1072532108525166592[/mfn]
Mit anderen Worten, es ist absurd, Ulf Poschardts Texte so zu lesen, wie sie dastehen, denn gemeint habe er etwas anderes. Diese Argumentation geht natürlich gegen Ulf Poschardt, weil der nicht schreiben kann, was er meint. Die Argumentationslinie funktioniert wir in manchen politisch-provokativen Äußerungen einiger Politikerinnen, prominenterweise insbesondere der AfD, die sich auch schnell missverstanden fühlen und was anderes gemeint haben, als was sie sagen. Zwar könnte Ulf P. seinem WELT-Autoren folgen und entsprechende Änderungen an seinem Text vornehmen, wenigstens im Netz, aber das tut er nicht – bis jetzt jedenfalls.

screenshot-www.welt.de-2018.12.12-10-25-21
screenshot-www.welt.de-2018.12.12-10-25-21

Wie man etwas zu interpretieren habe, wird auch nicht als Leseanleitung mitgeliefert, was freilich hilfreich wäre, wie Posener zugibt, wenn er auf Literatur oder Universitätsseminare verweist. Und selbst abgeändert wäre der Satz nicht bedeutender klug, nur etwas weniger dumm. Oder sinnlos.

Bis jetzt jedenfalls wissen wir nicht, was Ulf Poschardt wirklich gemeint, sondern nur das, was er geschrieben hat. Mit dem was er geschrieben hat, hat er sich ja selbst aus dem Bereich der Intellektuellen gekickt. Und ich ergänze: Der Rest des Textes folgt diesen stereotypen Vorstellungen des Self-Made-Man. Genau gelesen (und damit wahrscheinlich falsch, weil etwas anderes gemeint sein könnte) wird sein Stück zu einer Sozialkomödie. Auf die Bühne gebracht, hätte Poschardt Story des Lebens von Merz sicher die Lacher auf seiner Seite, während die anderen ob des Textbuches den Kopf schütteln. Naja.

Es ist nicht meine Art, die Qualität der Texte von Ulf P. oder Alan Posener von oben herab zu beurteilen, ob sie Niveau haben oder keines oder ein mittleres.

screenshot-twitter.com-2018.12.11-22-24-17<sup class="modern-footnotes-footnote " data-mfn="1" data-mfn-post-scope="000000000000321d0000000000000000_8789"><a href="javascript:void(0)"  role="button" aria-pressed="false" aria-describedby="mfn-content-000000000000321d0000000000000000_8789-1">1</a></sup><span id="mfn-content-000000000000321d0000000000000000_8789-1" role="tooltip" class="modern-footnotes-footnote__note" tabindex="0" data-mfn="1">https://twitter.com/APosener/status/1072444639762939904</span>
screenshot-twitter.com-2018.12.11-22-24-17
Es ist auch nicht meine Art, den beiden Autorinnen Hinweise zu einem besseren Lektüreverhalten zu geben. Wenn man einen aktuellen Text zum Zeitgeschehen in einer Tageszeitung allerdings nur mit Hilfe der Lektüre von Publikationen aus dem Hause Suhrkamp verstehen kann, dann ist vielleicht doch nicht die Leserin daran Schuld, sondern die Autorin. Vielleicht … vielleicht bin ich aber auch nur zu schlecht informiert.

Warum ich das aufschreibe? Nicht, um irgendwen zu ärgern. Dazu sind Posener und Poschardt viel zu souverän und ich ein zu unwichtiges Persönchen. Nein, sondern weil es mir wirklich vom Ansatz her gefallen hat, dass Alan Posener sich auf die langatmige Diskussion des Textes von Ulf Poschardt schließlich doch eingelassen hat. Statt wie Poschardt mit abkanzelnden Gifs zu antworten. Gähn!

Twitter sieht Posener nicht als perfektes Diskussionsmedium. Da stimme ich ihm zu. Das freilich ist als Erkenntnis mager.


Nachwort: Manchmal werde ich gefragt, warum ich denn Geld für ein Abonnement der WELT ausgebe. Dafür gibt es vier Gründe.

  • Erstens gab es eine wahnsinnig interessante Werbemaßnahme: Da gab es ein iPad-Mini zu einem Abo – der Wert von iPad und Abo deckten sich dabei weitgehend, man bekam das Gerät und dazu eben ein Abo.
  • Zweitens ist es gar nicht so einfach, so ein Abo dann irgendwann wieder zu kündigen. Ein komplexes Geflecht aus iTunes, Account etc. Habe es mal versucht, es funktionierte irgendwie nicht – also Dummheit, Faulheit etc.
  • Drittens ist die WELT nicht meine einzige Nachrichteninformationsquelle.
  • Viertens ist es aufschlussreich, mitzubekommen wie diese Meinungsmacher im wirtschaftsliberalen und teilweise rechtskonservativen Spektrum so ticken. Das ist manchmal schon an der Grenze zum Masochismus, gebe ich zu. Aber selbst in der WELT gibt es Reste von Vernunft, repräsentiert durch einzelne Autorinnen wie Zippert oder bisweilen Alan Posener. Die tägliche Präsentation von politisch verfolgten Journalisten gehört ebenso dazu.

kritische masse newsletter

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Fussnoten:

  • 1
    https://twitter.com/APosener/status/1072444639762939904
  • 2
  • 3
    Ulf Poschardt: Die kulturelle Katastrophe des Scheiterns von Friedrich Merz. WELT-Online.