Über Kritiker und Fotografen. Über kritisierende Fotografen und fotografierende Kritiker. Über die Manipulation durch „objektive“ Daten. Über die Selbstmanipulation durchs Schielen auf die Resonanz.
Gerade habe ich im Blog von kwerfeldein (Foto-Magazin) einen Text über das ultimative Foto gelesen, das es ja nicht gibt. Insofern ist Kritik eine natürliche Sache. Das ist in anderen Bereichen der Kunst nicht anders. Kritik gehört zur Kunst. Martin Gommel führt dabei einen Haufen von „kritischen Bemerkungen“ an, die sich in Kommentaren zu Fotos im Blog befinden. Und er zeigt an, dass es mit dem Niveau der Kritik selbst nicht unbedingt zum besten gestellt ist. Dem will ich nicht widersprechen.
So wieder jeder heute fotografieren (Fotos machen) kann, kann auch jeder kritisieren. Das Phänomen scheint mir aber ein anderes zu sein. Die Fotografie ist selten Kunst, sondern meistens Zeugnis eines Moments – was manchmal zusammenfällt. Meistens jedoch nicht. Bilder können technisch fein gebaut sein, sie können inszeniert sein, sie können dies und können das sein. In der fotografischen Bilderflut gewinnen aber immer mehr jene Bilder den Augen-Blick des Betrachters, die sich herausheben. Wenn man da mal ehrlich ist: es geht um „tolle“ Bilder. Eindruckschindende Bilder, die jedoch seltener ausdrucksschindende Bilder sind. Sie „wollen“ beeindrucken. Sie fordern das „Oh“ und „Ach“.
Die Fotos nähern sich dem Medium Werbung an: als Werbung für sich selbst. So wie dann manche Werbung hängen bleibt, bleiben es dies auch die Fotos. Diese bleiben im Gedächtnis. Einerseits. Aber sie hängen eben doch sehr am Effekt. Die Mittel der modernen Bildbearbeitung tun ihren Teil dazu. Sie würzen die Fotos, die zu flau, die zu schief, die durch Bildelemente „gestört“ sind. Es ist wie mit dem Glutamat im Essen. Das ist legitim. Das zu fade Essen schmeckt mit etwas Würze. Wird es zu viel, beginnt es vom Duften zum Stinken überzugehen. Viele Bilder leiden daran: Wie in der Zeit als plötzlich der Dynamikumfang von Bildern mittels HDR „erweitert“ worden ist. Weil das Auge ja auch diesen Dynamikumfang und noch mehr hat. Die Neigung zum Extremen in Formaten oder Bildwinkeln. Wer aber wäre frei davon.
Simpel müsste man die Leute zurückversetzen in die Ära der DIA-Fotografie. Da ist drauf, was im Sucher war – mit allen Ungereimtheiten.
Doch das Foto ist nicht das Auge. Das Auge ist nicht das Foto. Bildbearbeitung am Rechner ist okay, weil man es kann und weil es auch Spaß macht. Sie korrigiert optische Fehler und akzentuiert das, was man zeigen möchte. Dann ist es aber auch gut. Darüber hinaus wird es im besten Fall zum Experiment, im schlechtesten Fall zur plumpen Augenanmache, zur Blenderei.
Widersprechen möchte ich Martin Gommel allerdings vehement, wenn er sagt, „dass Kritiken immer persönlichen Eindrücken unterliegen“. Das mag für ein Großteil stimmen, die entweder nur aus dem Bauch heraus oder nur formaler Art sind. „Das Bild hängt schief“. Aber manchmal ist es genau dieses Bild, das schief hängen muss, weil es gerade gehängt falsch wäre. Das kann man aber nur dann erkennen, wenn man den Blick etwas tiefer versenkt in das Foto. Freilich fehlt es häufig an Techniken der Wahrnehmung ebenso wie an Techniken der sprachlichen Darstellung.
Ich bin es aus dem Bereich der Musikkritik gewohnt, dass Musikkritik a) zum Kern der musikalischen Angelegenheit vordringen muss und b) dies auch sprachlich darzustellen hat. In einigen Bereichen der Musikkritik ist es da aber nicht anders als bei den meisten Fotokritikern. Sie rühren an der Oberfläche mit Floskeln, die man ja nicht begründen will und muss, weil sie nur persönlich gemeint sind. Warum aber ein Arrangement in der Popmusik misslingt, warum es beim einen Stück nicht groovt, genau diese Punkte des Misslingens zu bezeichnen, fällt vielen schwer. Es groovt eben nicht, der Sound ist mies. Das Bild hängt schief. Das ist die eine Seite, die andere ist es ja, herauszubekommen, nach Schönbergs Wort, „was es ist“ ist, nicht „wie es gemacht“ ist. Man kann das nicht so einfach trennen, wie es das Wort wahrhaben will. Aber es ist die Tendenz gemeint, sich nicht mehr um die Sache selbst zu kümmern, sondern um seine Herstellung, seine handwerkliche Organisation … Die darf man einfach mal als vorausgesetzt gelten lassen.
Und gewiss befindet man sich dann im Bereich des Spekulativen, aber deshalb längst noch nicht im Bereich des Beliebigen. Auch die Kritik muss diskursiv sein, das heißt, verstehbar und prinzipiell beantwortbar. Der Fotografie eines roten Hauses kann man nicht zum Vorwurf machen, dass es nicht gelb ist. Dem Bild eines Nachdenkenden Menschen kann man nicht zum Vorwurf machen, dass er nicht lacht. Aber dem Bild eines ein Kind umarmenden Kriegsminister kann man den Vorwurf machen, eine Lüge zu zeigen. Und es bedeutet wieder etwas anderes, wenn dieser Minister gerade unter dem Galgen steht. Das Prinzip ist leer, die Bedeutungen sind nur welche, die in Beziehung sind.
Selbst die dokumentarische Fotografie entgeht nicht diesem Verhängnis. Das Dokument ist nicht so neutral, wie es den Anschein hat. Denn auch dem Auge durch die Linse entgeht all das, was es nicht zeigt. Das ist eine so triviale Einsicht, die zur Folge hat, einzusehen, dass Fotografie grundsätzlich manipulativ ist – selbst noch ohne Einsatz postmanipulativer Mittel. Wenn Andreas Gursky seine Bilder manipuliert, so sicher nur nachrangig, um sie technisch zu korrigieren, als vielmehr um sie inhaltlich gerade zu rücken. Wie gut das im Einzelnen gelungen sein mag, darüber kann man sich streiten, von Bild zu Bild.
Es gibt kein ultimatives Bild/Foto/Musikstück/wasauchimmer. Richtig. Es gibt aber hinreichend genügend ultimativ überflüssige Fotos – manchmal sind es die gerade technisch „Besten“.