Pierre Schaeffer ist ein Pionier in der Musik des 20. Jahrhunderts gewesen. Unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg begründete er später mit Pierre Henry den Club dEssai innerhalb des nationalen französischen Rundfunks. Damals als der Rundfunk noch ein technisches und ästhetisches Experimentierfeld war, arbeitete Schaeffer an der Montage und Verfremdung vorliegender, realer, eben: konkreter Klänge. Zwar war Schaeffer nicht der erste Musikmixer in der Musikgeschichte die Priorität in dieser Hinsicht dürfte wohl Walter Ruttmann mit Weekend aus dem Jahr 1930 gebühren aber die Arbeiten Schaeffers gehen über die reine Montage-Techniken Ruttmanns weit hinaus. Was bei Ruttmann Bild und Geschichte ist, wird bei Schaeffer zu einer eigen Poesie aus konkreten Klängen. Die Arbeit wird bei ihm akustisch und in einer eigenen Art und Weise ausdrucksstark, einer Klangzumutung gewissermaßen, die man sonst nur in der abstrakten Komposition mit Tönen heimisch wähnte. Tote Klänge werden emotional eingefärbt. Zum Beispiel in den Quatre études de bruits von 1948. In der ersten Etude (Etude violette) mischen sich kleinere Loops, die in sich auch noch dynamisch reich variieren, mit langen Klängen, die eine gewisse Düsterkeit ausstrahlen. Das alles gewinnt Schaeffer aus den Klängen eines Klaviers. Die musikalische Präparation des Klaviers erfolgt hier auf eine andere, gleichwohl fasziniernde Weise, wie bei John Cage einige Jahr zuvor. Das Klavier so zu hören, ist durchaus bahnbrechend gewesen. Im Zentrum des musikalischen Schaffens von Schaeffer steht die berühmtete Studie, die er zusammen mit Pierre Henry herstellte, die Symphonie pour un homme seul. Ein Sinfonie, schon, irgendwie, aber in einer Abgründigkeit und Andersartigkeit, wie sie das symphonische Orchester nicht bieten kann. Solo oder allein? Der Mensch? Für ihn dieses Werk, das keine Apologie und keine Katharsis kennt. Allein in dieser Welt, dieser Mensch. Heimatlos.
Oder das letzte Stück von 1979 Bilude für Klavier und Tonband (Dauer 217) unter Verwendung des zweiten Präludiums aus dem Wohltemperierten Klavier von Johann Sebastian Bach. Das fängt zunächst ganz harmlos an im Originaton, der dann phrasenweise klanglich verfremdet wird und sich ebenso mit dem Klang von Radkappen sich selbst durchbricht. Das ist freiwillig komisch und aber auch noch düster, wenn vor der Stretta ein Eisenbahnpfeifen aus den frühesten Arbeiten hineinklingt.
Zwischen diesem musikalischen Schlussstein und den frühen Arbeiten liegen einige Stücke aus den Jahren 1958-1959, die weitaus abstrakter wirken. Die technische Ausstattung ist erheblich verbessert worden. Die Klänge klingen reiner und abstrakter konkrete Ursprungsklänge sind kaum noch erkennbar. Nicht mehr Schallplatte war der Ausgangspunkt für das musikalische Bearbeiten des Klangmaterial sondern wirklich der erzeugte Klang, der nun weniger semantische Mitschwinganteile zu besitzen sondern für sich leben muss durch die Arbeit des Komponisten. Damit sind sicher viel komplexere musikalische Verstrickungen möglich. Die Musik verobjektiviert sich zusehends oder zuhörend.
Rezensent will nicht verhehlen, dass gerade auch die klangliche Unzulänglichkeit der frühen Werke ihren ausdrücklichen Reiz hat, selbst das Knistern der frühen Werke sagt mehr aus, als die nackte Stille des späteren Werks. Gleichwohl sind einige Stücke in revidierter Fassung auf der CD. Zu danken ist es den Nacharbeitern, dass sie die Aura der Stücke erhalten haben. Unter den Revisionären finden sich klangvolle Namen wie Bernard Parmegiani, Francois Bayle, Pierre Henry.
Die Resultate all dieser Arbeiten Schaeffers, der 1995 starb, liegen seit 1998 in einer Kassette mit drei CDs vor. Keinesfalls etwas fürs Archiv sondern sehr lebendige Musik.
>>> Wikipedia über Pierre Schaeffer