Der erste Frühlingstag war bereits vor zwei Wochen zu vermelden. Heute durch die Gartenwelt der Kleingärtner spaziert. Mit kurzem Weg nur, da der Frühling einem doch kaum Zeit ließ. Mit einer gewissen Ungenauigkeit wirkte dieses Blatt jedoch wie aus der Zukunft zurückgebeamt. Im Herbst beginnt der Zerfall jetzt also vor der Zeit.
“Armut schändet nicht.” Ganz wohl. Doch sie schänden den Armen. Sie tun’s, und sie trösten ihn mit dem Sprüchlein. Es ist von denen, die man einst nicht konnte gelten lassen, deren Verfalltag nun längst gekommen. Nicht anders wie jenes brutale “Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen”. Als es Arbeit gab, die ihren Mann nährte, gab es auch Armut, die ihn nicht schändete, wenn sie aus Mißwachs und anderem Geschick sie traf. Wohl aber schändet dies Darben, in das Millionen hineingeboren, Hunderttausende verstrickt werden, die verarmen. Schmutz und Elend wachsen wie Mauern als Werk von unsichtbaren Händen um sie hoch. …
Walter Benjamin, Einbahnstraße, Frankfurt/M. 1977 [1928], S. 29.
Wenn der Zerfall schon vor seinem Datum kommt, was dann?