16. Januar 2025 Alles muss raus!

Grimme Online Award, prinzipiell

Also, da schreibt man einen Eintrag zum Grimme Online Award und merkt langsam aber sicher, dass das, was man vorgehabt hat, plötzlich nicht stimmt. Mit jeder Recherche mehr wird die Sache weniger brisant. Je mehr Argumente man für sich heranziehen will, desto weniger stimmt davon, wenn man in die vorliegenden Fakten schaut. Eigentlich sollte die Sache klar sein: Nein, man nimmt keinen Preis an, wenn man selbst in der Jury der Preisvergeber gesessen ist. Das ist nicht okay. Nun habe ich mich durch Modalitäten durchgehangelt, Entscheidungen, durch Blogsekundärliteratur und was ist das Ergebnis. Viel heiße Luft. Und das ärgert mich jetzt doch. Dennoch möchte ich den Text nicht wegwerfen, zeigt er doch auch den Prozess der Irrungen und Wirrungen. Das Ergebnis sollte zuvor feststehen, jetzt löst es sich Schritt für Schritt auf. (Das ändert freilich nichts an der Existenz von Pannen, es ändert auch nichts daran, dass man vielleicht in Zukunft einfach auf Nachnominierungen verzichten sollte, es ändert auch nichts daran, dass man bei den Nominierten grundsätzlich auf Jurymitglieder verzichten sollte.) Das war ungeschickt und bisweilen blamabel. Aber ist konkret etwas so Furchtbares passiert?

Der alte Text: Zunächst sollte eine moralische Grundbetrachtung folgen:

Vielleicht ist alles auch ein bißchen einfacher. Seit einigen Wochen tobt ein Streit darüber, ob nachnominierte (Ex)-Jury-Mitglieder einen Preis erhalten sollten oder dürften (blogbar, niggemeier). Es geht genauer gesagt zentral um den “Elektrischen Reporter” von Marius Sixtus. Aber auch darum, ob auch ehemalige Jurymitglieder diesen Preis zuerkannt bekommen dürfen. An sich ist die Sache einfach: Ein klares Nein ist darauf zu geben. Auch unabhängig davon, ob prinzipiell ein damit verbundener Netzauftritt durchaus gelungen, zukunftsweisend, genial oder sonstwie außerordentlich ist. Denn damit kann man nie und nimmer den Verdacht entkräften, dass irgendwelche Mauscheleien im Gange war – ob das so ist oder war, spielt dabei nebenbei keine Rolle. Es ist auch keine Frage, ob man das in Statuten festlegen soll oder nicht. Es ist eine Frage der Höflichkeit und eine Frage der Ehrlichkeit. So etwas macht man einfach nicht.

Jetzt ein Rückblick in eine eigene Jurytätigkeit, um zu zeigen, was geht und was nicht geht:

Ich saß ein einzige mal in einer Jury, die einen Preis zu vergeben hatte. In zwei Fällen kam es vor, dass Jurymitglieder auch zu Nominierungen Stellung beziehen mussten, bei denen eine gewisse Beziehung eine Rolle spielte. Es war da eine Ex-Geliebte und im anderen Fall ein Vertreter eines Labels, von dem eine Band zur Disposition stand. Die Nominierungen freilich wurden von einem anderen Kommitee erarbeitet, kamen also nicht aus den Reihen der Jury selbst. Es war klar, dass in beiden Fällen die Betroffenen sich an den Abstimmungen nicht beteiligten und auch sonst explizit keinen Einfluss darauf nehmen wollten, bzw. selbst mit dem Rückzug aus der Jury angeboten haben. Die Sitzung war durch solche Fragen im Fortschritt sehr gelähmt. Denn wie kann man in solch einer Situation noch halbwegs objektiv eine Entscheidung fällen? Und dabei ging es nicht einmal um einen selbst.

Hinweis auf Probleme der Nomierungskommission:

Das Problem war, dass die Vorauswahl schon sehr eng war und die Unterschiede der Qualität der möglichen Preisträger teilweise groß. Man kann ja auch nicht jemanden ehren, der es nicht unbedingt so verdient hätte, wie jemanden, der es verdient hätte, aber wo die Beziehungsproblematik vorliegt.

Jetzt bemerke ich, dass auch beim GOA eine Trennung vorliegt, also Abmilderung der Kritik und Feststellung ähnlicher Probleme:

Nun ist auch beim GOA eine Trennung zwischen Nominierungskommission und Jury gegeben. Das sollten die lauthalsigen Kritiker der diesjährigen Veranstaltung ebenso begreifen. Sixtus hat nicht sich selbst nachnominiert – und die Jurytätigkeit daraufhin zu beenden war nur konsequent und richtig (etwas anderes wäre gar nicht gegangen). Ob es nun also Verbindungen oder eben Mauscheleien gab oder nicht, wer will das schon wissen? Der Verdacht allein begründet nicht die Heftigkeit, mit der man gegen die Art der Durchführung des Wettbewerbs vorgegangen ist.

Das aber trifft alles auf den Grimme Online Award nicht zu! Den elektrischen Reporter hätte man ebenso im nächsten Jahr unter anderen Bedingungen erwählen können, andere Preisträger wären in diesem Jahr möglich gewesen, ohne dass der Award darunter hätte leiden müssen (obwohl, wenn man die Nominierungsliste so sieht, so dolle ist das alles nicht gewesen; dass er also den Award bekommen hat, liegt nicht ganz fern). Wenn dann auch noch Probleme im Ablauf und der Durchführung der Abstimmung hinzutreten, dann ist die Entscheidungsfindung endgültig entwertet. Das war kein gutes Jahr für den Grimme Online Award, es war sogar ein ausgesprochen schlechtes. Unter solchen Bedingungen “zu gewinnen” bleibt makelhaft.

Frage, welche Bedeutung Awards überhaupt haben: Kriterien und der Verdacht eines Award-Kreisverkehrs:

Das führt zu einem weiteren Punkt: Kein Award und schon gleich kein Blog-Award der letzten Jahre kann auch nur im geringsten für sich in Anspruch nehmen, unter regulären, fairen oder durchsichtigen Bedingungen durchgeführt worden zu sein. Es geht nicht. Schon weil es an wenigstens einigermaßen objektiv nachvollziehbaren Kriterien mangelt. Es bleibt vieles den Faktoren Zufall und Beziehungsgeflecht überlassen. Wenn man sich die Flickr-Fotos von Marius Sixtus vom GOA anschaut, dann weiß man sehr schnell, die Welt ist klein und es passen in diese Welt nur wenige hinein. Es muss nach außen wie ein abgeschlossenes System wirken. Das ist nicht anders als bei Gala, Bunte etc. im Zeitschriftenmarkt. Auf den Titelblättern die immergleichen Leute. Ein Online-Kreisverkehr. Und bei alledemm Mainstream, häufig technisch extrem aufgehübscht.

Daraus wird die Konsequenz gezogen, dass das alles sowieso keine reale Bedeutung hat. Eine Art Award-Professionalisierung greift um sich. Dazu ein Hinweis auf einen ganz unwichtigen Award des Bundesverbandes der Digitalen Wirtschaft:

In diesem Sinne ist Stefan Niggemeier zuzustimmen: Man hat sich professionalisiert. Genauso wie dermaleinst beim Pokemon-Sammeln. Irgendwann haben das welche professionell gemacht. So wie gestern auch in Berlin, wo der Bundesverband der Digitalen Wirtschaft seinen Deutschen Multimedia-Award vergeben hat. Beim Publikumspreis kam es zu folgender Listung:

  1. www.tokiohotel.de
  2. www.nevio.tv
  3. www.yvonnecatterfeld.com
  4. www.silbermond.de
  5. www.roger-cicero.de
  6. www.groenemeyer.de
  7. www.sarah-connor.de
  8. www.horstschlaemmer.tv
  9. www.kai-pflaume.de
  10. www.tomtykwer.de

Sieben mal Musik vorne, dann zwei mal tv und ein mal Film hinten.

„Alle Seiten, die es in die TopTen geschafft haben, zeichnen sich durch eine sehr hohe Professionalität aus. Neben Streaming-Elementen leben sie vor allem von der interaktiven Vernetzung mit den Fans“, fasst DMMA-Sprecher Christoph Salzig das Ergebnis zusammen. Der DMMA ist der wichtigste Wettbewerb für Online- und Offline-Anwendungen. [Pressemitteilung]

Was für eine andere Welt!

Und irgendwie fehlt da die Moral der Geschichte. Manchmal kann man sich selbst nichts vorwerfen in der eigenen Handlung. Dennoch kann es ausgesprochen falsch sein, etwas zu erhalten, was nicht doch irgendwo mit einem Makel behaftet ist. Das Grimme Institut hat sich selbst beschädigt mit der Durchführung dieses Awards. Dafür kann Sixtus nichts, auch wenn er in einer Jury einmal (also genau genommen mehrfach) saß, es sei denn, er hätte die Nominierungskommission bestochen. Das scheint mir aber ein absurder Vorwurf zu sein. Dennoch hätte ich an seiner Stelle schon den letzten Schritt gemacht und den Preis nicht angenommen. Das trifft zwar den Falschen. Aber manchmal hilft nichts anderes, auch wenn damit die Sache von mancher Seite aus vermutlich immer noch nicht gegessen wäre, auch wenn man damit neue Vorwürfe provoziert hätte. Und vielleicht ist daher die Annahme des Preise eben doch der richtige Weg gewesen. Man weiß es eben nicht. Und, ehrlich gesagt, eigentlich ist das doch auch vollkommen schnuppe.

Nachtrag: Entweder – Oder :: Man kann es nie recht machen.

Verheirate dich, du wirst es bereuen; verheirate dich nicht, du wirst es auch bereuen. Heirate oder heirate nicht, du wirst beides bereuen. Verlache die Thorheiten der Welt, du wirst es bereuen; beweine sie, beides wirst du bereuen. Traue einem Mädchen, du wirst es bereuen; traue ihm nicht, du wirst auch dies bereuen. Fange es an, wie du willst, es wird dich verdrießen. Hänge dich auf, du wirst es bereuen; hänge dich nicht auf, beides wird dich gereuen. Dieses, meine Herren, ist der Inbegriff aller Lebensweisheit.[Kierkegaard: Entweder-Oder. DB Sonderband: 100 Werke der Philosophie, S. 20776 (vgl. Kierkegaard-Entweder, S. 40)]

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2 Kommentare

  1. […] Grimme Online Award,
    […] Grimme Online Award, prinzipiell : Angriff auf die Urteilskraft »Und irgendwie fehlt da die Moral der Geschichte. Manchmal kann man sich selbst nichts vorwerfen in der eigenen Handlung. Dennoch kann es ausgesprochen falsch sein, etwas zu erhalten, was nicht doch irgendwo mit einem Makel behaftet ist.« … klasse Aus (tags: awards) […]

  2. Mannomann…
    Wenn man so mal

    Mannomann…

    Wenn man so mal bei A-Bloggers hineinschnuppert, wie ich das mit der Urteilskraft ab und an mache, bekommt leicht man Ausschlag. Und dann Aufschlag. Eine hübsche Runde von Spaßvögeln ist da unterwegs……

Kommentare sind geschlossen.