Relativ klein blieb die Reaktion der Öffentlichkeit auf eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Titel „Vom Rand zur Mitte“: Präsentation einer bundesweiten Repräsentativbefragung zu rechtsextremen Einstellungen in der deutschen Bevölkerung (hier als pdf). Weder ging das groß durch die Zeitungen noch war es offenbar ein Thema für Alpha-, Beta- und Omega-Blogger. (Muss es auch nicht, die haben genug mit der Selbstorganisation der Alpha-. Beta-, Omega- und Web2.0-Welt an der Backe).
Dennoch zeigt diese Studie, was man vielleicht auch ohnehin wusste, dass rechtsextreme Einstellungen längst kein Randphänomen sind, sondern, wie die Studie auch titelt, in der Mitte der Gesellschaft angelangt sind. Dennoch habe ich manche Überraschung gesehen. Bayern zum Beispiel stellt sich ministerial gerne als Land hoher Liberalitas das, ob die VertreterGoppel oder Schneider heißen. Doch auch hier ist das Echo auf die Studie klein. Dabei gäbe es in dem freiesten der deutschen Bundesländer viel zum Nachgrübeln. Entweder können andere Bundesbürger besser ihren Mund halten, oder es ist eben was dran. Und plötzlich fühlt man sich gar nicht mehr so wohl, hier in Bayern.
Jetzt hat Thea Dorn in der taz unselige Zusammenhänge und dem Titel das Eva-Braun-Prinzip (eigentlich ja nur) zitiert und maskiert dabei die neuen Vorstellungen als sehr alte. Nur sind sie eher konsensfähig geworden.
Ein Blick in die Verteilung der rechtsextremen Einstellungen nach Parteienwahl macht die Sache nicht besser. Teils eher Schlimmer. Ein paar Ausraster sind eingefärbt. Nun, das alles muss nichts heißen, aber es kann alles was heißen. Adorno et al. haben in ihren „Studien zum autoritären Charakter“ in den 40er Jahren in den USA ähnliche Unterschungen angestellt mit ihrer F(aschismus)-Skala. Adorno wies bei der Gelegenheit darauf hin:
„Im Deutschland vor Hitler wurde weniger offener Antisemitismus beobachtet als gegenwärtig hier bei uns [in den USA]; ob seine Möglichkeiten, wie zu hoffen ist, hier geringer sind, läßt sich jedoch nur durch intensive Forschungsarbeit feststellen, nur indem man das nach außen Sichtbare genau erfaßt und das darunter Verborgene prüft.“ [Theodor W. Adorno: Studien zum autoritären Charakter, Ffm 1982, S. 5.]
Überhaupt scheint es angeraten im Zusammenhang mit den heutigen Verhältnissen diese Studie Adornos noch einmal aufmerksam zu lesen. Denn das „Studium antidemokratischer Trends und die Darstellung der Bedingungen, unter denen sie im Individuum zum Ausdruck kommen, erfordert das Verständnis des gesellschaftlichen Ganzen.“ (a.a.O., S. 9)
Und man muss meines Erachtens methodisch vor allem auch einen Schritt weitergehen. All diese Untersuchungen kommen ja nicht darum herum, dass sie Einstellungen gegen (Rand)Gruppen thematisieren; zumindest also gegen Gruppen, die nicht die große Masse der Bevölkerung darstellen. Damit kann man der Versuchung erliegen, diese gerade zu dem zu rationalisieren, was sie eigentlich nicht sein sollen, nämlich Opfergruppen. Das aber sind sie, nach allen Mitteln der Realität. Doch dazu muss man umgekehrt auch diese Gruppen selbst heranziehen und die umgekehrten Einstellungen abfragen. Nämlich, wie rational diese selbst antidemokratisch, chauvinistisch etc. sind. Also einer Ausländerfeindlichkeit müsste man umgekehrt beispielsweise auch mit einer Studie zur Inländerfeindlichkeit (und der Ausländerfeindlichkeit unter Ausländern) paaren.
So ganz einfach ist nämlich nicht nachzuvollziehen, wie stark prozentual beispielsweise das Thema „Ausländerfeindlichkeit“ sich in den Bundesländern repräsentiert – die Spannweite ist da enorm.
Saarland: 3,4% (niedrigster Wert)
Berlin Ost: 9,7%
Berlin West: 13,8% (Gebiet mit vielen Ausländern)
…
Brandenburg: 49,7% (höchster Wert, Gebiet mit wenigen Ausländern)
Oder wie kommt es zu dem Ausreißer in Mecklenburg-Vorpommern, wo über 20% eine Diktatur befürworten (die anderen Bundesländer liegen in der Regel deutlich unter 10% — außer den Bayern , etwa bei 4 bis 6%). Die Erklärung wird ja nicht womöglich sein, dass man sich nur so vorstellen kann, eine weitere Ausbreitung des Rechtsextremismus einzudämmen.
Rein forschungstechnisch gesehen wird man es kaum hinbekommen, all die möglichen Einflussursachen auseinander oder miteinander in Beziehung setzen zu können. Das heißt nicht, dass man es gleich bleiben lassen kann. Aber die Hoffnung darauf, dass man nur an einem Schräubchen zu drehen braucht und alles wird gut, muss man endgültig fahren lassen. So sehr die Gesellschaft auch in sich zerfällt, so sehr ist die Analyse doch darauf angewiesen, sie im Ganzen zu sehen. Und man sollte daher auch Abschied nehmen von der Vorstellung, dass alles mit etwas gesellschaftlicher Sozialarbeit getan ist, von der die Beteiligten dann glauben, man könne auf den „richtigen Weg“ zurückführen. Dieses Verwese, dass man nur die Sozialarbeiter (auch die kulturellen übrigens) losschicken muss, macht meines Erachtens einiges gerne schlimmer. Sozialarbeitsdiktatur. Weniges wäre allein schon damit erreicht, wenn man wenigstens die einfachsten Bedingungen und Lebensbedürfnisse erst einmal erfüllte. Dass damit die Gesellschaft heile, ist zwar nicht zu erwarten, denn zahlreiche Probleme berühren das Innerste – und da gibt es keinen direkten Zugang über die Optionen Bildung, Arbeit, Grundsicherung. Aber das werden die Sozialtechniker der Gesellschaft wohl eher gar nicht begreifen — (können und wollen).