30. Januar 2025 Alles muss raus!

Das Ende der Welt ist nicht das Ende der Welt

Ich versuche mit meinen Liebsten immer Anfang des Jahres einen Besuch zur Erholung am Rande von Zingst zu machen. Nach Neujahr (+ ein paar Tage) wird es schlagartig leer hier, ganz im Osten der Insel am Strand. In diesem Jahr haben wir uns zehn Nächte gegönnt. Es handelt sich um eine Anlage mit lauter auf alte Reetdachtradition gemachten Ferienhäusern. So ca. 27 Jahre alt. Da kann man relativ bequem mit einem Hund unterkommen. Jedenfalls in einigen Wohnungen. Die Größen schwanken in Staffeln um die 40, 50, 70 und 120 Quadratmeter Fläche.

Die Telefonnetze schaffen es kaum, das Gebiet abzudecken. Früher bin ich zum Telefonieren nach draußen gegangen. Das hat mir die Möglichkeit gegeben, gleichzeitig heimlich zu rauchen. Die Zeiten sind vorbei, was das Rauchen angeht. Die abendliche Telefonaktion mit einer unserer Mamas ist auch seit vier Jahren passé. Ab und an gibt es Wohnungen mit Wlan-Anbindung, die wir vorzugsweise doch noch präferieren. Man passt auf, dass es dabei nicht zu Arbeit wird.

Dabei würde ich so gerne noch ein Buch schreiben wollen, eine Schlussanalyse der Kulturindustrie in Zeiten von schlechter Kulturpolitik, schlechtem Kulturlobbyismus, schlechtem Musikmarkt und einem Haufen verlorener Hoffnungen auf autonomes Kunstmachen. Ich sortiere gerade meine nmz-Cluster seit 1997. Das Prekäre daran ist vor allem die Erkenntnis: Alles wiederholt sich, nur die Kleider sind anders. Das betrifft aber am wenigsten die Kunst selbst, sondern ihre Verwertung und Verwaltung.

Aber darum soll es jetzt nicht gehen.

Hier am Ende der Welt, wird man auf fieseste Weise eingeholt vom Lärm, dem man entgehen wollte, um halt auch mal wenig zu machen. In der gesamten Zeit hier, nur ein Fahrzeug an Haus 3 aus Meiningen und zwei Fahrzeuge aus Braunschweig an Haus 14.

Dabei war es nicht die Arbeitssituation, der man entfloh und die einen für zwei Tage trotzdem einholte, sondern, dass eine Eigentümerin im gleichen Ferienhaus sich diese Tage auserkoren hat, das dortige Badezimmer renovieren zu lassen. Zwei Tage ein Sanitär- und Heizungsfachbetrieb, der Duschwanne, Waschbecken und Toilette entfernte und neu setzte. Danach der Fliesenleger aus der Hölle, der mindestens zwei Tage sägte und stemmte und klopfte.

Die Eigentümerin traf ich zufällig an. Sie entschuldigte sich vielmals, sie hat die Arbeiten auf jetzt gelegt, weil ja fast nie jemand in dieser Zeit hier Urlaub macht. Und sie bekräftigte am Freitag noch, dass in der nächsten Woche (also heute und morgen) mindestens nichts mehr passieren würde. Heute um 7:30 Uhr standen die dann doch vor der Tür und legten und schnitten Fliesen. Da ist fies gewesen. Der Fliesenleger rückt mit seinem unbeschrifteten weißen Renault Traffic an. Ganz unbeschriftet war er allerdings nicht: Auf der rechten Hecktüre unten war zu lesen, dass er eher „an die Unschuld einer Hure“ glaube „als an die Gerechtigkeit der deutschen Justiz“. Da weiß man, wen man im Hause hat. Irgendwelche gefährliche Spinner mit Greifswalder Kennzeichen. Reichswürger, Nazis, Menschheitsmörder im Geiste. Misogyn darüberhinaus. Man möchte mit denen nicht zusammentreffen. Immerhin hat unser Wachhund aufgepasst.

Von zehn Tagen hier waren vier mit Lärm beschwert, zwei mit Job durchtränkt. Seit Jahren geht das nun schon so. Früher war es die Arbeit, die man mitgenommen hatte, weil sie nicht so viele andere erledigen konnten. Das ist jetzt besser. Aber längst nicht gut.

Entschädigung kam von der Landschaft hier. Jeden Tag weite Spaziergänge, immer war jeder Tag anders als der vorhergehende – eine Binse, nein. Sturm, Ruhe, Nebel, Sonne, Kälte, Schwäne, Gänse, Kormorane, ein Seeadler, Möwen, Enten, Hasen, Strandläufer, Hunde-Qualzuchten mit Familienanhang im öffentlichen Fruchbarkeitsbeweis, die selber Qualzuchten aus Deutsch-Nationalisten sind und sich vermehren durch Hirn- und Herzteilung. Alles da. Alle Farben. Wir sind fast immer den gleichen Weg gewandert, Richtung Strandaufgang 1. Da beginnt der Teil der Insel, der nicht von unsereinem zu betreten ist.

abschiedsbild. Hufner
abschiedsbild. Hufner

Das Originalbild ist unspektakulär. Dafür war das nicht bannbare Bild faszinierend, lässt sich aber nicht wiedergeben. Eine Passage am Horizont gab es da, bei der Himmel und Wasser nicht auseinanderzuhalten waren. Daneben, links und rechts, differenzierte es sich wieder verstärkt.

Heute Geburtstag. Keine Feier, zahlreiche Gratulationen.

Und gehört, angeblich, laut sozialen Medieninformationen, ist Herbert Henck gestorben.

Und in den USA? Lauter Fliesenleger an der Macht.

Jetzt aber heim in den Kokon von Kleinmachnow. Am Donnerstag kommt Annalena Baerbock in die Kammerspiele – gehe ich nicht hin. Zu Hause ist die Wahlbenachrichtigung zur Wahl des Deutschen Bundestags angekommen und ein großer Umschlag von den GRÜNEN – mal gespannt. Gegen die gerade wieder aus allen Rohren geschossen wird. Das ZDF meldet einen „nächsten“ Super-Gau und meint dabei nicht die eigene Nachrichten- und Politikredaktion oder die des rbb, denn den Gau haben die produziert. Bernd Schweinar berichtet auf Facebook, wie Bayern3 immer mehr ins Absurde und Bodenlose abdriftet.

Man hält es in diesen Konstellationen immer weniger gut aus.

Das Ende der Welt ist kein Ort, es ist ein sich beschleunigender Ablauf in der Zeit.

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