Auch die Berichterstattung in der Musikszene gerät immer mehr ins Kreuzfeuer ihrer eigenen Darstellungsformen. Mit Axel Brüggemanns neuem – wie sagt man – Blog, News-, Kommentar- und Meinungsportal „BackstageClassical“ aus Bremen ist das nicht anders als mit dem „Van-Magazin“ aus Berlin. Nur dass das eine wöchentlich Texte hinter einer Paywall heraushaut, das andere gefühlt stündlich für alle ohne Zugangsbeschränkung.
Erklärung statt Eskalationen
In dem Fall der Berichterstattung und Kommentierung des Vertragsabschlusses zwischen dem Dirigenten Roth und dem Südwestrundfunk geht es dabei rund. Der wichtigste Kommentar kommt dabei von Shoko Kuroe.
Leider wird der Beitrag mit einem völlig untauglichen KI-generierten Bild illustriert. Das mindert den Erkenntnisgewinn des Textes von Kuroe freilich kaum. Kuroe analysiert den Fall aus Sicht aller nicht nur verpassten Chancen, die ein menschenwürdiger Umgang mit den Opfern des Verhaltens des Dirigenten bedeutet hätte, sondern auch, was dies für zukünftige Verfahren mit sich bringt: Aktive Ignoranz gegenüber den Opfern wird nicht zu einer Ermunterung derer führen, sich zu melden, wenn sie unter machtmissbräuchlichem Verhalten anderer zu leiden haben. Die Dimensionen des Problemfeldes gehen nämlich über die Person, die das auslöst, weit hinaus. Sie sind institutionell verankert durch das Machtgefälle, das nicht wegzudenken ist. Und wie häufig habe ich in weniger medial beachteten Fällen die übliche Verharmlosung gehört: „Der ist halt so. Der meint es nicht so. Das wissen doch alle.“ Und so wissen alle, dass der eine eben „so“ sein darf, kraft Amtes, der „andere“ aber nicht, kraft Abhängigkeit. Tatsächlich ist dabei meistens aber so, dass diejenigen, die über andere herrschen, selbst unbeherrscht auftreten können – und es manchmal auch ausdrücklich genau so wollen, um damit die Position zu festigen, die sie für sich reklamieren.
Kuroe mahnt auch an, dass die Darstellung in den Medien selbst bedauerlicherweise nicht immer von Sorgfalt geprägt sei.
Journalistischer Dauerbrand
Eingebettet ist der lesenswerte Text von Shoko Kuroe in ein Nachrichtenfeld, das nur so wimmelt von grundsätzlichen Fragen und Problemen des Musikzirkus der klassischen Konzertwelt. Es geht bei Backstageclassical um das Versagen der Kulturpolitik, die Zukunft der Klassik, Münchens große Konzerthaus-Intrige, toxischen Journalismus beim SWR …
Jetzt im Moment ist auch Claudia Roth wieder auf dem Schirm, die sich in Bayreuth unqualifiziert einmische. In dem Kulturpolitik-Artikel wird in einem Zack aufgeräumt in Meiningen, Kassel, Wiesbaden, Berlin und Erfurt – fehlt nur Bremerhaven … Nur finde ich, da erreicht der Musikjournalismus selbst ein toxisches Maß, bei dem nicht mehr alle Betroffenen in gleicher Weise berücksichtigt werden. Das grenzt an Abfertigungsjournalismus.
Intrigen
Und warum ist das so? Weil Macht und Trägheit keine guten Paarläufer sind. Man ist weit entfernt von gleichgewichtigen und gleichwichtigen Teilnehmern in diesem Kommunikationsprozess – und der muss zudem nicht immer zwingend öffentlich ausgetragen werden, sondern in sicherer Umgebung, was die Öffentlichkeit nicht unbedingt und grundsätzlich ist.
Journalismus in Zeiten der Eskalationen
Wesen des Journalismus ist die Kritik, nicht die Parteinahme, Wesen ist die Erklärung (auch Polemik gehört dazu), nicht die Eskalation. Auch der Journalismus muss ein sicherer Ort für Informationen sein.
Leider stehen die Medien zugleich untereinander im Wettbewerb um Leserschaften und Anzeigenplätze. Diese bekommt man heute nicht zwingend durch solide Recherchen, sondern einfacher durch Eskalationen. Die Dynamiken der sozialen Medien verfangen auch hier deutlich. Es gibt ein gutes Geschäft mit der Eskalation, das haben auch ehemals seriöse Zeitungen wie die nzz für sich entdeckt. Alternativen wie uebermedien oder die krautreporter versuchen sich durch treue Leserschaften aus dem Spiel zu ziehen. Das gelingt auch. Der Preis dafür ist der Verzicht auf durchreisende Interessierte.
PS:
Der Dirigent darf an den Ort seines ehemaligen Wirkens zurückkehren. Als er sein letztes Konzert mit dem SWR-Orchester gab, stand Folgendes auf dem Programmzettel:
Man wird genau darauf schauen, mit welchem Programm er seine Arbeit dort fortsetzt. Die Fragen hat der SWR beantwortet, der Vertrag ist vollendet, das Frühlingsopfer ist die fehlende Aufarbeitung der Fälle aus Köln und andernorts.