Wie formulierte man es früher: Das Thema KI ist in aller Munde. Auch im Bereich Musik. Auch in Sachen etablierte Musikschöpfung. Mittels Stipendium des Musikfonds sollen nun etablierte Komponist:innen und KI-Industrien zusammengebracht werden. Da hilft ein Stipendium aus dem Etat des Bundes. Wie weit, weiß man nicht.
Musik, die KI und der Musikfonds
Am Freitag endet die Frist für die Beantragung eines Stipendiums (STIP-4) des Musikfonds zu Thema Künstliche Intelligenz. Bis 18 Uhr (MEZ) können sich „etablierte Komponist:innen aus Deutschland“ bewerben. Als Gewinn winken 30.000 EUR in Tranchen auf 12 Monate verteilt. Macht also 2.500 EUR im Monat. (Geht man mal von einem akzeptablen Mindeststundensatz von 40 EUR aus, sind das ca. 62,5 Stunden, die man sich monatlich mit dem Stipendium befassen kann – also zwei Stunden jeden Tag).
Einzige Voraussetzung: Man muss Erfahrungen im Bereich „Technologie/Neue Medien“ nachweisen. Das geschieht am einfachsten durch einen Screenshot des eigenen Smartphones mit der Website des Musikfonds drauf. Scherz: Nein, natürlich reicht das nicht, man muss nachweisen, mit welchen KI-Systemen man schon längst arbeitet.
Das STIP-4 Stipendienprogramm richtet sich an etablierte Komponist:innen in Deutschland, die sich mit KI-basierter Musikproduktion beschäftigen. Ziel ist es, das Potenzial von KI als Werkzeug zur Inspiration und zur Kreation unbekannter Klangwelten zu erforschen und innovative kompositorische Strategien im Umgang mit KI zu entwickeln.
Das Stipendium wird für zwölf Monate gewährt und umfasst auch eine selbst gewählte Residenzphase. Bewerber:innen müssen Erfahrungen im Bereich Technologie/Neue Medien nachweisen. Anträge können vom 12. Juni bis 12. Juli 2024 online eingereicht werden. Eine unabhängige Fachjury entscheidet über die Vergabe der Stipendien. [Quelle]
Die künstlerische Forschung ist frei, aber nicht so ganz. Keine Kann-, sondern eine Muss-Regelung ist die Residenzphase. Weshalb das sein soll oder muss, wird nicht gesagt? Ich glaube, der eine Studiokeller gilt da nicht. Wie man sich das finanziert? Egal, man hat ja Stipendium! Macht Euch also der KI-Industrie untertan.
Für die Bewerbung darf man übrigens „Weblinks“ einreichen:
“Weblinks zu aussagekräftigen aktuellen Audio- oder Videobeispielen der künstlerischen Arbeit (Die Links müssen mindestens bis Ende Oktober 2024 abrufbar sein). Die Links sollten frei zugänglich und frei von Werbung sein, da Werbungseinblendungen (z.B. auf YouTube) die Arbeit der Jury maßgeblich behindern. Bitte beachten Sie, dass nicht alle Jury-Mitglieder einen Spotify-Account nutzen und Audiobeispiele via Spotify deshalb nicht aufrufen können. Benutzen Sie wenn möglich Bandcamp oder Soundcloud.” [Quelle]
Soundcloud ist also werbefrei? 🙂
Etablierte Komponist:innen – werbefrei bitte
Mal abgesehen davon, die Frage sei erlaubt: Was das Internet ist, wissen die Jury-Mitglieder schon? So behindern Werbungseinblendungen die Jury-Arbeit „maßgeblich“, weshalb YouTube keine Alternative darstelle. Arme Jury-Mitglieder auch, die keinen Spotify-Account haben. Auch YouTube könnte man mit einem kostenpflichtigen Account sicher werbefrei bekommen. Vielleicht wäre eine Spendenaktion angebracht, es müsste ja nur um Accounts für einen Monat gehen (bei YouTube ist der erste Monat sogar kostenlos – Spotify hat auch solche Pläne. Klar, aber sonst ist natürlich das Internet ja auch komplett werbefrei.
Problematisch ist aber eigentlich der Ansatz selbst, den man so wertfrei und schmerzorientiert als Gegenstand des Stipendiums definiert.
Etablierte Komponist:innen als Anpassungs-Avantgarde
Ein Satz wie „Das Stipendienprogramm soll professionellen Komponist:innen der experimentellen Musikszene die Möglichkeit geben, sich über einen längeren Zeitraum mit den Chancen und Risiken KI-basierter Komposition zu beschäftigen“, [Quelle] klingt zwar gut, aber das ist nicht das tatsächliche Ziel. Vielmehr geht es genau darum: Etablierte Komponisten sollen die Chance ergreifen, sich an diese neue Welt stipendiabel zu adaptieren.
“Das Stipendienprogramm honoriert herausragende künstlerische Strategien, die zur Weiterentwicklung KI-basierter Musikkomposition einen relevanten Beitrag leisten.” [Quelle]
Ist es wirklich so, dass die KI-Farmen Unterstützung von etablierten Komponist:innen aus Deutschland benötigen. Das alles ist auch zudem von ganz anderer Art als etwa das in Sachen Institut für Sonologie von Philipps abgelaufen ist.
Es fehlt mir komplett die Offenheit in der Art, wie man als etablierte:r oder interessierte:r Komponist:in mit dem Thema umgehen könnte. So wie es jetzt dasteht, wirkt das als unbillige Form eines Wurmfortsatzes aus den Eingeweiden der KI-Industrien. Dass dafür der Bund via Musikfonds Gelder bereitstellt, statt sie den KI-Industrien abzuknöpfen, ist einigermaßen absurd. Wie die Jury vorab entscheiden will, was später dann als relevanter Beitrag zur Weiterentwicklung KI-basierter Musikkomposition gelten soll, bleibt ein astrologisches Geheimnis aus der Kaffeesatzlesekunde der Förderungspoesie.
Ein Break: Etwas zur Sache von Kunst und Markt
Die Unvermeidbarkeit der KI
Weil, alles andere ist sowieso ausweglos. Man ist immerhin so fair, das auch zu sagen:
“Die Grenzen zwischen menschlicher Originalität, Emotionalität und technologischer Innovation lösen sich zunehmend auf. Bisher unbekannte Formen von Kreativität werden auch die Musiklandschaft revolutionieren und aktuell stellen sich viele urheberrechtliche sowie ethische Fragen bezüglich der Kreation, der Verwertung und des Konsums von Musik.
Komponierende müssen sich auf die Integration von KI-Tools in ihren kreativen Prozessen einstellen. Dies erfordert eine Anpassung an neue Technologien und die künstlerische Kooperation mit KI-Expert:innen.” [Quelle]
Ich finde das im höchsten Maße problematisch. Und überhaupt nicht ausgemacht. Aber was will man eigentlich? Ein Stipendium sollte eigentlich eher nicht das Ziel einer Tätigkeit vorgeben. Aber nach diesen Fördergrundsätzen dürfte es klar sein, dass eher kritisch-analytische ästhetische und kompositorische Forschungen von einer Förderung ausgeschlossen sein dürften.
Exkurs: Braucht ein/e etablierte Komponist:in einen Lebenslauf bei Bewerbungen?
Die Antwort des Musikfonds sagt: Ja. Nur so kann man schließlich entscheiden, ob jemand etabliert ist, oder eben nicht. Das ist zwar absurd, aber Bewerbungssachlage.
Was zeichnet einen etablierten Komponisten oder eine etablierte Komponistin eigentlich aus? Dass man sie vielleicht kennt und nicht vielmehr nicht. Warum also sollte man da Arbeitsproben und einen Ausbildungsverlauf anfordern? Kann es vielleicht sein, dass die Mitglieder der Jury nicht so gut informiert sind in der Frage, wer oder was hier maßgeblich ein etablierter Komponist oder eine etablierte Komponistin ist?
Eine Jury mit YouTube- und Insta-Links
Die Jury-Zusammensetzung besteht aus üblichen und unüblichen Verdächtigen. Neben Ali Nikrang (einem nicht zu sehr etablierten Komponisten, aber KI-Forscher mit Professur) und George Lewis (einem, der immer für alles gut ist), gibt es noch Brigitta Muntendorf (eine Künstlerin mit Professur in Köln), dann ist da noch Moritz Simon Geist, „ein Musikproduzent und Künstler aus Dresden, Deutschland“ (etabliert natürlich). Die einzige Person, die im Bereich AI/KI tatsächlich überdurchschnittlich kreativ unterwegs ist, ist die vermutlich Jüngste im Kreis, Yağmur Uçkunkaya (Programmiererin, Software-Entwicklerin, interdisziplinäre Künstlerin, Mitglied von ‘New Practice in Art and Technology’). Dafür dürfte sie selbst gar nicht Stipendiatin werden können, weil, sie einen „Masterstudiengang in Design and Computation an der UdK Berlin und der TU Berlin“ absolviert. Den Kolleg:innen in der Jury dürfte die Arbeiten von Yağmur Uçkunkaya aber sicherlich unbekannt sein, denn in der Vorstellung der Jury im PDF des Musikfonds ist sie mit einer YouTube-Adresse verlinkt. Tja! Siehe oben.
Mist Etablissement
Kann es also sein, dass der Begriff des „Etablierten Irgendwas“ nur dazu dient, möglichst experimentelle, neue ästhetische Ideenentwicklungen fernzuhalten, weil man sowieso den Kampf gegen die Übermachtwerdung der KI-Systeme als verloren ansieht. Dieses Stipendium also vom Prinzip her eine Art Unterwerfungsgeste darstellt. Dass dies aus dem Bereich der Kunst forciert wird, erschüttert ganz besonders.