24. November 2024 Alles muss raus!

Absagen ist keine Lösung

Ein Konzert des Jerusalem String Quartet in Amsterdam ist abgesagt worden, weil man die Sicherheit von Musiker:innen, Mitarbeiter:innen und Besucher:innen nicht gewährleisten könne. Man befürchte Gewalt, so die Mitteilung der Veranstalter.

  • „Reinstate the Jerusalem String Quartet’s Concertgebouw Concerts“ – Petition bei change.org

By cancelling these concerts, the management of the Concertgebouw placates a vocal minority who advocate for their cause through intimidation and credible threats of disorder and violence. We need not look very far back into European history to see what happens when people acquiesce to the very behaviours that sow their own downfall.

Ich bin kein Fan von Petitionen, sie sind in gewisser Hinsicht immer wieder einmal vor allem auch nur ein verkleideter Mob. In diesem Fall mache ich eine Ausnahme, denn ein Kollege erwähnte berechtigterweise, dass man hier die Öffentlichkeit mobilisieren müsse. Denn es geht um mehr, als nur diese ein, zwei Aufführungen.

Das erinnert an einen Fall in Berlin, als man bei der Deutschen Oper eine Inszenierung der Oper Idomeneo von Mozart, die Hans Neuenfels gestaltete, abgesetzt hat. Das war 2006. Aus Sicherheitsgründen? 2015 habe ich eine kleine Analyse versucht:

Freiheit ist nicht einfach – Die Absetzung einer Opern-Inszenierung 2006

2006 passierte es, „nachdem das Berliner Landeskriminalamt in einer Gefahrenanalyse von einer möglichen islamistischen Bedrohung der Aufführung ausgegangen war“. Aus Amsterdam ist so ein Vorgang bislang nicht bekannt geworden.

Jetzt also knickt das Concertgebouw als Veranstalter ein. Und das einzige Mittel ist: Absagen. Soll das die Methode der Wahl sein in Zukunft. Wenn man zudem mitbekommen hat, unter welchen Bedingungen der Beitrag Israels zum ESC in Malmö hat stattfinden müssen, wird einem Angst und Bange. Nein, ist einem Angst und Bange um unser Verständnis von Kultur und Kunst in Freiheit. Einerseits und um die Sicherheit von Menschen aus Israel, gleich welcher Religion sie angehören; insbesondere aber der jüdischen Bevölkerung, deren Auslöschung nach wie vor das Ziel terroristischer Organisationen und Staaten ist.

Vor langer, langer Zeit habe ich mich mit der Operette im Nationalsozialismus auseinandergesetzt. Anlässlich einer Tagung in Dresden. Daraus wurden zwei Stücke: Eines für die Zeitschrift Oper & Tanz und eines als Radiofeature für den MDR.

Bei der Gelegenheit kamen mir auch die Tagebücher von Ralph Benatzky zwischen die Finger. Das Jahr 1933 und sein Eindruck beim Komponisten.

1933, April. Na klar, sehen konnte niemand etwas, nicht wahr? Das ging erstaunlich schnell. Und was ja auch frappierend ist, Benatzky („Das weiße Rössl“) hatte noch wenige Tage zuvor, nun, wie soll man sagen, die Entwicklung in Deutschland immerhin ambivalent gesehen.

1. Feber 1933, 2.45 früh!
Hitler hat heute im Rundfunk gesprochen. Stilistisch bemerkenswert gut (abgelesen!) verfasst, (der Rundfunkansager sagt immer »vorgetragen«), ist dieser Aufruf eine fast erbitterte Kampfansage an Kommunismus und Marxismus, die noch viel Unheil über Deutschland bringen kann. Ausgesprochenster Faschismus, ostentativste Negierung anderer Gesinnung, in diesem Falle einer freilich ruinösen, wie sie der Kommunismus hat, so offiziell und ostentativ betont, kann sich kaum ein kluger, »diplomatischer« Reichsverweser leisten, wenn er nicht schärfste Gegenmaßregel heraufbeschwören will! Ich glaube, nicht einmal Mussolini tat das!

Im übrigen wieder der Plagiat-Eindruck. Er sprach vom »Vier-Jahres-Plan«, in welchem die Arbeitslosigkeit behoben sein wird (Plagiat: Fünf-Jahres-Plan Rußlands) und auch sonst Phrasen und Pathos, aber unleugbar geschickt gemacht und im Moment faszinierend.

Sogar durch das abschwächende Mittel des Mikrophons »wirkte« er. Gegen die unsägliche Plattheit und Gedankenarmut des Herrn von Schleicher, vor kaum acht Wochen an selber Stelle, gegen dessen Inhaltslosig- und Wasch-mir-den-Pelz-und-mach-mich-nicht-naß-keit eine Offenbarung. Mit nichts und wieder nichts kann man auch nicht dreizehneinhalb Millionen Menschen, von [denen] doch wenigstens zehn Prozent Intelligenz, Urteilspublikum und Nichtstimmvieh sein müssen, zu einem fanatisierten Block zusammenschweißen! Also: Etwas wird schon dran sein! Fragt sich nur, ob sie den unweigerlich eintretenden Kampf mit Ganz- und Halb-Links bestehen, und, wie sich das aufs Theater und so auswirkt?1Quelle: Ralph Benatzky, Triumph und Tristesse. Aus den Tagebüchern von 1919 bis 1946, Berlin S. 142 f.

Aber schon zwei Monate später ist die Ambivalenz gewichen. Die Worte sind drastisch geworden.

5. April 1933
Wegen der angeblichen »Greuelmeldungen« haben die Nazi einen Judenboykott in Deutschland wachgerufen. Sämtliche jüdischen Ärzte, Rechtsanwälte, Professoren, Lehrer, alle in leitender Stellung Befindlichen, alle anderen Angestellten etc. sind zu entlassen. An dreitausend Flüchtlinge sind in Basel; an die Geschäfte sind die aus dem Mittelalter bekannten »gelben Flecke« angeschlagen worden, überall wurden diese »Staatsbürger« zu Parias herabgewürdigt und der barbarischen Horde der aufgehetzten heulenden Menge, als »Schandflecke« gebrandmarkt, hingestellt. Ja, was gibts denn im Jahre des Heils 1933 noch mehr, um den Ausdruck »Greuel« für gerechtfertigt zu erklären? Wogegen wehren sie sich denn? Sind das nicht Greuel?

Alle Bekannten versichern uns, es sei alles »ruhig«. Ja, was braucht’s denn noch mehr, um die »Unruhe« zu dokumentieren? Soll man noch federn und teeren, oder die Geschlechtsteile den Männern abschneiden und in den Mund stecken?

Ist es immer noch nicht genug »Greuel«, daß man in einem (angeblich) kulturell hochstehenden Lande überhaupt einen friedlich seinem Erwerb nachgehenden Menschen nur deswegen, weil er zufällig von jüdischen Eltern ist, die er sich gewiss lieber nicht ausgesucht hätte, um das doch heutzutage gewiß schwer genug zu verdienende tägliche Brot bringt?

Würden diese nordischen Kulturträger, diese kühnen germanischen Recken, die Schnauze auch so aufreißen, wenn der Prozentsatz zwischen Juden und ihnen nicht 1:99 sondern 50:50 wäre? Schon bei 25:75 würden sie sich’s überlegen. In Wien pflegt man zu sagen: »Kunst, a Kind schlag’n«! Und wenn mir jemand aus Berlin telefonisch versichert, ich könne überall versichern, es sei »alles in Ordnung«, pflege ich immer zu fragen, ob ich das der Frau Blaschke auch erzählen soll.

Die Depression, diese fanatischen Ableugnungsbestrebungen sind auf die Aufhebung des Briefgeheimnisses und das Abhören der Telefongespräche zurückzuführen! Noch nicht Greuel genug? Und dabei lacht der Frühling, auf dem Rasen blühen die Krokusse, gelb, weiß, lila und zu Mittag brennt die Sonne auf den Balkon, wie im Juli. Und in Berlin entläßt man zur selben Minute den armen, fünfundzwanzig Jahre im Hause tätigen Buchhalter Sami Nathansohn, krumm vom Rechnen für den Chef, vertrocknet vom Hunger für seine zwei Söhne, die 1917 in Flandern ad majorem Germaniae gloriam gestorben sind, Amen!2Quelle: Ralph Benatzky, Triumph und Tristesse. Aus den Tagebüchern von 1919 bis 1946, Berlin S. 148

Gewiss ging die Repression von staatlicher Seite aus, während es aktuell verstörte Menschen sind, die sich mit einer politischen Haltung gemein machen, die sie für „aufgeklärt“, die sie für legitim halten und für progressiv. Die eine politische Haltung unterstützen, unter der sie selbst wahrscheinlich sehr schnell mit Verfolgung und Vernichtung bedroht wären. Das macht es so absurd. Der Autoritarismus vermeintlicher Linker ist nicht ungefährlich – wie man hier an der erfolgreichen Verfolgung eines Musikerensembles in Amsterdam sehen kann, oder beim ESC in Malmö.

Die Folgen sind nicht zu übersehen.

 

 

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Fussnoten:

  • 1
    Quelle: Ralph Benatzky, Triumph und Tristesse. Aus den Tagebüchern von 1919 bis 1946, Berlin S. 142 f.
  • 2
    Quelle: Ralph Benatzky, Triumph und Tristesse. Aus den Tagebüchern von 1919 bis 1946, Berlin S. 148