Es ist eine wahrscheinlich gutgemeinte Aktion von unisono, der Deutschen Musik- und Orchestervereinigung, wenn sie für sich reklamiert, dass die die Klangkörper der ARD den einen Teil des Kulturauftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks repräsentieren. Das tun sie ganz sicherlich und darüber müsste man auch kein Wort verlieren. Außer insgesamt, dass sich die Intendant:innen der ARD dem nicht mehr so sehr verpflichtet fühlen. Doch das ist eine Frage von Medien- und Kulturpolitik.
Ganz falsch ist es – mindestens aber sehr ungeschickt–, diesen Auftrag mit der Höhe des Rundfunkbeitrags zu verknüpfen. Da heißt es:
„Fakt ist: Vom monatlichen Rundfunkbeitrag von derzeit 18,36 Euro entfallen nur 0,41 Euro auf die Klangkörper; das entspricht einem Anteil von etwa 2,2 Prozent. Klangkörper taugen daher nicht als mögliche ‚Bauernopfer‘ weiterer Einschnitte“. (Quelle: PM – unisono)
Denn, wer mit Zahlen jongliert, lädt dazu ein, dass es andere auch tun – und sie werden diese Steilvorlage nutzen. Sie werden sich fragen: 2,2 Prozent für Ensembles, die regelmäßig auf Rundfunk(!)-Wellen nur ab und an präsent sind; auf Wellen, deren Marktanteil selbst im Konzert mit den Wettbewerbern im Bereich von kaum messbar bis etwas messbar zu finden sind.
Laut Marktanalyse kommt zum Beispiel NDR Kultur in Niedersachsen in der Auswertung vom 2023/01 auf eine Tagesreichweite von 1,6 %. Siehe Tabelle. Wie gesagt: Das ist Radio ohne Fernsehen. Nach außen könnte das wie Luxus wirken mit einem Gesamtbuget von 2,2 Prozent am Gesamtrundfunkbeitrag (wo ja auch Deutschlandradio und ZDF mitmischen).
Im Altpapier des MDR listet Ralf Heimann am 27.4.2023 auf :
„Eine ‚Rote Rosen‘-Folge kostet in der Produktion knapp 100.000 Euro. Um den Beitrag im Monat um einen Cent zu senken, müsste man 45 Folgen streichen.“ (Quelle: MDR Altpapier)
Umgerechnet auf 0,41 Cent für die Klangkörper könnte man als 1.845 Folgen Rote Rosen produzieren. Ob das sinnvoll wäre, ist eine andere Frage.
Im gleichen Altpapier zitiert Heimann aus einem Gastbeitrag von Ilja Braun und Heiko Hilker für die SZ, wo diese welche Einsparpotentiale sehen. (Die Klangkörper gehören nicht dazu!)
- Der Staat übernimmt die Rundfunkbeiträge für Menschen, die Sozialhilfe erhalten. Das könnte die Beiträge den Berechnungen nach um 1,30 Euro senken.
- Die Länder übernehmen die Kosten für die Altersversorgung der Rundfunkanstalten. Intendanten und Direktoren verzichten auf die Hälfte ihrer Pensionsansprüche. Das würde im Beitrag 1,40 Euro ausmachen.
- Die Gehälter von Intendanten, Direktoren und anderen hohen Positionen werden reduziert und an das Gehalt von Politikern angepasst. In dem Fall wäre der finanzielle Effekt nicht ganz so groß: etwa einen Cent pro Monat. Aber der Schritt würde laut Hilker und Braun die Akzeptanz in der Gesellschaft erhöhen.
- Private Sender sollen für ihre eigene Aufsicht bezahlen, statt dass dies aus dem Rundfunkbeitrag finanziert wird. Dies könnte den Beitrag wiederum um 35 Cent pro Monat senken.
- Es gibt eine Obergrenze für die Kosten für Sportprogramme und mehr Geld für Bildung, Kultur und Dokumentarfilme. So könnten die Sender auf 30 Cent pro Monat verzichten.
Das ist reichlich! Nehmen wir die beiden ersten Positionen heraus, wo man Land und Staat in die Pflicht nähme, reihten sich die Klangkörper als eben doch nicht so kleiner Anteil da mit ein.
2,2 % vom gesamten Rundfunkbeitrag und damit 41 Cent sind eben keine Peanuts. Aber sie sind gut angelegt. Jetzt aber steht die Höhe tatsächlich im Raum. Damit eröffnet sich die Frage nach der Relevanz über breite Hörer:innenschichten hinweg. Das kann eigentlich nur schief gehen. Dass die Intendant:innen auf lange oder kurze Sicht auf diese Klangkörperpflege verzichten wollen, ist kein Geheimnis. Dass man ihnen nun aber im besten Sinne gut gemeinte Argumente liefert, könnte sich als Bumerang herausstellen. Da ist sogar das Bekenntnis zum Kulturauftrag nicht nur hilfreich, wenn Gerald Mertens in der gleichen Meldung von unisono bekräftigt:
„Allein die zwölf Orchester in der ARD und der roc haben in den vergangenen 30 Jahren durch Fusionen und Verkleinerungen bereits rund 26 Prozent ihrer Planstellen verloren. Sie leisten im Kultur-Programm und in ihrem jeweiligen Sendegebiet mit zahlreichen Auftritten und Projekten auf höchstem qualitativen Niveau eine unverzichtbare Musik- und Kulturvermittlung; gerade auch dort, wo es keine kommunalen Orchester und Theater gibt. Diese regionale Vielfalt gilt es zu erhalten. Wir sehen die Klangkörper und ihre Mitglieder als authentische und sympathische Markenbotschafter der Rundfunkanstalten. Unser Fazit daher: Die Klangkörper des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stehen im Zentrum des Kulturauftrags. Kurz gefasst: Wir sind Kulturauftrag!“ (Quelle: PM – unisono)
Da wird man sich mit der Frage konfrontiert sehen: ist das der Auftrag der Klangkörper mit ihren Auftritten und Projekten dort zu wirken, „wo es keine kommunalen Orchester und Theater gibt“? Schön dass, ja! Aber ist das Kernauftrag? Wo wird das evaluiert. Was passiert wirklich in Gifhorn, Wilhelmshaven, Brokdorf – um mal im Sendegebiet des NDR zu bleiben. Und Rechenstift rotiert gleich weiter … was ist mit Gastspielen außerhalb der Sendegebiete: In Essen, Baden-Baden wie die Radiophilharmonie des NDR. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist zu Gast in Amsterdam und Prag und und und ist doch längst nicht mehr Erfüllung kommunaler Beihilfen, die eigentlich sowieso das Land zu liefern hätte.
Richtig wäre dagegen, offensiv für die Klangkörper zu werben, den Ausbau zu fordern. Mit dem eingeschlagenen Weg, wie ihn auch der Deutsche Musikrat in Sachen DMR vs. ESC verfolgt, ist man auf dem Holzweg. Einem sehr gefährlichen dazu. Man wähnt sich auf dem 11-Meter-Punkt – nur geht es ins eigene Tor. Hoffentlich schießen die Schützen schlecht. Hoffentlich überträgt keiner das Spiel.
Nachtrag: 25.5.2023:
Im Bad Blog Of Musick hat sich zu der Thematik nun auch Arno Lücker geäußert.
Hallo, ich bin ein Rundfunkorchester und ich könnte ja eventuell abgeschafft werden!