In einer Pressemeldung plädiert der Bayerische Lehrerverband dafür, Schulnoten abzuschaffen, da diese im Angesicht des Durchmarsches von KI und Co KG nicht mehr adäquat wären. Das ruft den Bayerischen Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) auf den Plan. Der will auf keinen Fall auf Noten in der Schule verzichten. Und zwar nicht, weil dann das „Aussieben“ und „Selektieren“ nicht mehr so gut funktioniert, sondern weil er den Schüler:innen unterstellt, dass diese Notengebung wollen.
„Ich bin der Auffassung, dass wir Noten brauchen und viele Schülerinnen und Schüler Noten auch wollen. Man braucht Leistungsnachweise, um selbst zu wissen, wie man in den einzelnen Fächern steht.“
Ja aber wo steht denn der 14-Jährige, der in Sport eine 4 hat oder die 12-Jährige, die in Deutsch eine 2 hat? Ja, wo denn? Was wissen denn der 14-Jährige und die 12-Jährige dann exakt? Oder unexakt.
Schön ist die Skala, die offenbar eine gewisse Zeit lang in Dänemark praktiziert worden ist:
- Laudabilis præ ceteris (mit Auszeichnung)
- Laudabilis (laud) – (mit Lob)
- Haud illaudabilis (haud) – (nicht beunruhigend)
- Non contemnendus – (nicht zu verachten)
- 0
Alle Noten bis auf 0 waren bestanden.
Der Rückmeldungscharakter der Noten ist aber nicht von einer gewissen Absurdität und Irrationalität abtrennbar, die sich zu allem Unterfluss als zählbare Rationalität in Noten und Punkten verkleidet und Objektivität vortäuscht, die es in sozialen Systemen einfach nicht gibt.
- Wenn man sich allein den Wikipedia-Eintrag zu Schulnotengebung in Geschichte und Geografie ansieht, dürfte die Erkenntis vor allem diejenige sein, dass Schulnoten gerade keine objektiven Messinstrumente darstellen, sonst würde es nicht so viele verschiedene System geben.
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Nein, das braucht man nicht, so wenig wie man FastFood braucht, um zu wissen wo der Stoffwechsel steht.
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Schulnoten, wie sie sich dann in Zeugnissen endgültig niederschlagen sind Durchschnittsbildungen aus einzelnen Werten wie einzelnen schriftlichen und/oder mündlichen Prüfungen, im Zusammenhang mit Wertungen wie Beteiligung am Unterricht. Wie und wonach deren Objektivität bestimmbar ist, bleibt weithin ein Geheimnis, auch wenn man positiv zu unterstellt, dass man versucht, dies zu objektivieren.
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Noten sind vor allem ein Messinstrument für weitergehendes Leben über das andere Personen entscheiden. Das Prinzip ist dabei simpel und natürlich meistens ungerecht. Gibt es viele Bewerber:innen für einen Platz (oder sogar sehr viele, dann wird nach Qualifikationen sortiert, die die Bewerber:innen mitbringen und zwar nach Schnittmarken – wie beim Numerus clausus).
Anekdote 1: Als ich an der Uni Gießen in wenigstens drei Berufungsverfahren als studentischer Vertreter dabei war, gingen zahlreiche Mappen durch meine Hände. Dabei auch immer wieder Schulzeugnisse. Die darin gezeigten Leistungsergebnisse korrellierten wenig mit dem späteren Lebenslauf, die manche:n als hervorragende Wissenschaftler:innen auswiesen.
Man könnte daraus erkennen, dass Noten also vor allem die Schüler:innen untereinander in Wettbewerb setzen sollen. Und daraus also die Motivation stammt. Kann das – vor allem gesellschaftlich und sozial – erstrebenswert sein, nicht um der Sache wegen Fähigkeiten zu erwerben, sondern um besser zu sein als andere oder auch umgekehrt, schlechter zu sein in progressiver Demotivation.
Anekdote 2: Der Sportlehrer in der Oberstufe verteilte seine Notengebung im Badminton nach Rangliste. Irgendwann mussten alle gegeneinander spielen. Ich war der drittbeste und bekam daher 13 Notenpunkte. Unteranekdote: Platz 1 hatte ein Mitschüler, der in der Bundeliga spielte, der ohne Gegenleistung zu fordern anbot, wenn ich nur einen Punkt gegen ihn machen würde, spendiert er mir einen Kasten Bier. Es gelang mir nicht.
Anekdote 3: Im Musikunterricht wurde uns die Aufgabe gestellt, wir sollten einen Blues komponieren. Einer meiner Mitschüler hatte dazu keine Lust und so habe ich im einen geschrieben. So einen ganz „normalen“ – ziemlich volle Punkte. Meiner, den ich für mich schrieb (d-Moll) wurde abgewertet, weil er statt 12 nur 11 Takte lang war. Meinen Mitschüler wollte meine Lehrerin motiveren dadurch. Mich hat sie demotiviert – aber nicht nachhaltig.
Für Schulerfolge oder -misserfolge sind Noten die geringsten Garanten. Auch später bei den Dissertationen. Wenn man mal sieht, wer da alles supergut abgeschnitten hat bei dem sich später herausstellte, dass dann vor allem das Plagiat das Rennen machte … das ätzt.
An-Eck-Dote: Was mir total auf den Zünder geht ist auch diese Mentalität in den sozialen Netzen, wenn die aktiv-aggressive Floskel fällt: „Setzen 6!“ – Diese Art von Hähähä-Bestrafungswut aus dümmster Oberschlaumeier:in-Mentalität, es würde mich mal interessieren, ob das in anderen Kulturen auch so verbreitet ist.
Ivan Illich: Die Entschulung der Gesellschaft, rororo 1970
Der Klassiker! Immer wieder erstaunlich, wie eine Gesellschaft hinter solcherlei progressiven Denkens zurückfallen konnte. Und sich selbst leider nicht mehr einholt.