22. November 2024 Alles muss raus!

Berlins Kultursenator Joe Chialo: „Aber klar ist: Es wird nichts so bleiben, wie es ist.“

Da stolpert man über einen Satz des neuen Kultursenators in Berlin. Der sorgt für Sicherheit und Zutrauen in die Zukunft der Kulturszene Berlin.

„Aber klar ist: Es wird nichts so bleiben, wie es ist.“ (Quelle)

Das wäre immerhin eine gute Nachricht, wenn sein Vorgänger im Amt alles, aber auch wirklich alles falsch gemacht hätte. Aber es geht hier nicht um Frau Roth, sondern um Klaus Lederer. Dem kann man das jedoch nicht vorwerfen. Dessen Bilanz ist ein bisschen getrübt durch ein paar unglückliche Personalentscheidungen und ein Gesangsverbot in Hochzeiten der Corona-Pandemie. Aber im übrigen könnte vieles so bleiben wie es ist. Manches könnte man in der Tat grundsätzlich angehen, ein bisschen Kampf für die wirbelnde Kulturlandschaft Berlins wäre schon gut. Das will er laut genannter Quelle auch tun, verweist aber auf die angespannte Haushaltslage Berlins.

Interessanterweise ist das Ergebnis der kulturpolitischen Diagnose des kulturpolitischen Reporters Peter Grabowski ähnlich klangvoll. In seinem Beitrag “Zur Kenntnis: Unser Leben ist vorbei” schlägt er ganz folgende Töne an:

“Nun stehen wir – nach Corona, mitten in einem europäischen Krieg und der höchst dringlichen Nachhaltigkeitswende – vor dem Kollaps. Das Publikum bleibt weg, die Kunst ist ratlos, der Geldfluss auf absehbare Zeit versiegt. Der Staat muss sein pures Weiterfunktionieren auf Pump finanzieren, die Kommunen beschließen aktuell – wenn überhaupt – Rumpfhaushalte, weil niemand weiß, was nächstes Jahr noch in der Kasse sein wird.” (“Zur Kenntnis: Unser Leben ist vorbei”)

Harter Schnitt!

Wenn man sich die Ausgaben von Ländern und Bund in Sachen Kultur seit 2005 anschaut, wie er im Kulturfinanzbericht 2022 dokumentiert ist, fragt man sich unwillkürlich. Mit welchen Problemen haben wir es überhaupt zu tun? Liegt der Fehler im System der Kunst und Kultur? Liegt der Fehler in (falsch) priorisierender Politik? Liegt der Fehler in einem grundsätzlichen Missverständnis von Kultur als Ort des Bewahrens und/oder des Veränderns?

Wachstum, oder nicht?

Denn sieht man sich die Ausgaben der Länder über einen Zeitraum seit 2005 an und schaut auf die öffentlichen Ausgaben für Kultur je Einwohner:in, so bemerkt man eine deutliche Steigerung. Es ist also eher nicht so, dass die Länder die Kultur schlecht behandeln.Entwicklung der Versichertenzahlen der KSK.

Öffentliche Ausgaben für Kultur nach Ländern und Körperschaftsgruppen je Einwohnerin und Einwohner. Kulturfinanzbericht 2022, Seite 84.
Öffentliche Ausgaben für Kultur nach Ländern und Körperschaftsgruppen je Einwohnerin und Einwohner. Kulturfinanzbericht 2022, Seite 84.

Anderer Darstellung der Tabelle, nur bezogen auf das Jahr 2020 und nur auf Theater und Musik.

Öffentliche Ausgaben für Theater und Musik je Einwohnerin und Einwohner 2020 vorl. Ist nach Ländern *)Grundmittel in EUR. Kulturfinanzbericht 2022. S. 35.
Öffentliche Ausgaben für Theater und Musik je Einwohnerin und Einwohner 2020 vorl. Ist nach Ländern *)
Grundmittel in EUR. Kulturfinanzbericht 2022. S. 35.

Alles gut soweit? Diese Ausgabehöhen sind Indizien. Sie werden aber im Einzelfall dann in die Schuhe gestellt und damit relativiert, wenn man den Anteil am Bruttoinlandsprodukt betrachtet. Da verharren eigentlich alle Ländern und Stadtstaaten auf einem Niveau, mindestens was die Steigerung der Ausgaben angeht. Eine solche Statistik gäbe nur dann tatsächlich Aufschluss, wenn man erklären kann, wie sich Schwankungen ergeben. Durch schwankendes Engagement von Kulturminister:innen oder -senator:innen im Zusammenhang ihrer Regierungen.

Öffentliche Ausgaben für Kultur nach Ländern und Körperschaftsgruppen als Anteil am Bruttoinlandsprodukt und am Gesamthaushalt. Kulturfinanzbericht 2022, S. 84 unten.
Öffentliche Ausgaben für Kultur nach Ländern und Körperschaftsgruppen als Anteil am Bruttoinlandsprodukt und am Gesamthaushalt. Kulturfinanzbericht 2022, S. 84 unten.

Die Zahlen aus dem Kulturfinanzbericht 2022 reichen bisweilen leider nur bis 2020.

Mit was also rechnet der Berliner Kultursenator?

Anders als in den Ländern und Gemeinden sieht die Entwicklung auf Seiten des Bundes aus. Hier wurde ordentlich für den Kulturbereich abgezwackt. Da macht sich die Corona-Milliarde in 2020 deutlich bemerkbar. Der Bund hat deutlich versucht, zu stützen. Ob die Mittel immer überall da gelandet sind, wo man sie gern gehabt hätte, ist eine andere Frage. Manches scheint gerade zu versickert zu sein.

Öffentliche Ausgaben des Bundes für Kultur. Kulturfinanzbericht 2022, Seite 85.
Öffentliche Ausgaben des Bundes für Kultur. Kulturfinanzbericht 2022, Seite 85.

Wachstum gab es allerdings ganz gewiss bei der Zahl derer, die Mitglieder der Künstlersozialkasse  sind. Diese Zahl hat sich seit 1998 gut verdoppelt – im Bereich der Darstellenden Kunst sogar verdreifacht!

Entwicklung der Versichertenzahlen der KSK. https://www.kuenstlersozialkasse.de/service-und-medien/ksk-in-zahlen
Entwicklung der Versichertenzahlen der KSK. https://www.kuenstlersozialkasse.de/service-und-medien/ksk-in-zahlen

Und so zeigt sich umgekehrt proportional, dass der Betrag, den Bund und Länder für Kultur ausgeben auf immer mehr Teilnehmer:innen verteilt werden muss.

Im Vergleich dazu weist der Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2022 aus, dass in Sachen Umsätze in den entsprechenden Bereich gleichwohl wenig umgesetzt wird.

Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2022 -Seite 11 https://www.kultur-kreativ-wirtschaft.de/KUK/Redaktion/DE/Publikationen/2022/monitoringbericht-kultur-und-kreativwirtschaft-2022.pdf
Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2022 -Seite 11 https://www.kultur-kreativ-wirtschaft.de/KUK/Redaktion/DE/Publikationen/2022/monitoringbericht-kultur-und-kreativwirtschaft-2022.pdf

Die Rechnung ist kompliziert, weil auch weitere Faktoren wie Inflation und Zinshöhe (für Stiftungen entscheidend) miteinander in Beziehung stehen. Und zugleich, das zeigt hier die letzte Grafik, die Ausgaben der privaten Haushalte über all die Jahre in der Summe stagniert, das heißt, Inflation eingerechnet, faktisch sinkt. Während dabei der Besuch von Veranstaltungen und Kultureinrichtungen insgesamt eher gestiegen ist (inkl. Einbruch durch die Coronapandemie), sank er stetig im Bereich Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, Ton-, Bild- und Datenträger.

Ausgaben der privaten Haushalte für ausgewählte Kulturgüter je Haushalt. Kulturfinanzbericht 2022, Seite 107.
Ausgaben der privaten Haushalte für ausgewählte Kulturgüter je Haushalt. Kulturfinanzbericht 2022, Seite 107.

Auf was also will Chialo hinaus. Dient sein Einwurf als offensives Bekenntnis zur Entwicklung der Kulturlandschaft Berlins; oder bereitet er damit diese darauf vor, schwerste Einschnitte für die Zukunft anzukündigen?

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