Da stolpert man über einen Satz des neuen Kultursenators in Berlin. Der sorgt für Sicherheit und Zutrauen in die Zukunft der Kulturszene Berlin.
„Aber klar ist: Es wird nichts so bleiben, wie es ist.“ (Quelle)
Das wäre immerhin eine gute Nachricht, wenn sein Vorgänger im Amt alles, aber auch wirklich alles falsch gemacht hätte. Aber es geht hier nicht um Frau Roth, sondern um Klaus Lederer. Dem kann man das jedoch nicht vorwerfen. Dessen Bilanz ist ein bisschen getrübt durch ein paar unglückliche Personalentscheidungen und ein Gesangsverbot in Hochzeiten der Corona-Pandemie. Aber im übrigen könnte vieles so bleiben wie es ist. Manches könnte man in der Tat grundsätzlich angehen, ein bisschen Kampf für die wirbelnde Kulturlandschaft Berlins wäre schon gut. Das will er laut genannter Quelle auch tun, verweist aber auf die angespannte Haushaltslage Berlins.
Interessanterweise ist das Ergebnis der kulturpolitischen Diagnose des kulturpolitischen Reporters Peter Grabowski ähnlich klangvoll. In seinem Beitrag “Zur Kenntnis: Unser Leben ist vorbei” schlägt er ganz folgende Töne an:
“Nun stehen wir – nach Corona, mitten in einem europäischen Krieg und der höchst dringlichen Nachhaltigkeitswende – vor dem Kollaps. Das Publikum bleibt weg, die Kunst ist ratlos, der Geldfluss auf absehbare Zeit versiegt. Der Staat muss sein pures Weiterfunktionieren auf Pump finanzieren, die Kommunen beschließen aktuell – wenn überhaupt – Rumpfhaushalte, weil niemand weiß, was nächstes Jahr noch in der Kasse sein wird.” (“Zur Kenntnis: Unser Leben ist vorbei”)
Harter Schnitt!
Wenn man sich die Ausgaben von Ländern und Bund in Sachen Kultur seit 2005 anschaut, wie er im Kulturfinanzbericht 2022 dokumentiert ist, fragt man sich unwillkürlich. Mit welchen Problemen haben wir es überhaupt zu tun? Liegt der Fehler im System der Kunst und Kultur? Liegt der Fehler in (falsch) priorisierender Politik? Liegt der Fehler in einem grundsätzlichen Missverständnis von Kultur als Ort des Bewahrens und/oder des Veränderns?
Wachstum, oder nicht?
Denn sieht man sich die Ausgaben der Länder über einen Zeitraum seit 2005 an und schaut auf die öffentlichen Ausgaben für Kultur je Einwohner:in, so bemerkt man eine deutliche Steigerung. Es ist also eher nicht so, dass die Länder die Kultur schlecht behandeln.Entwicklung der Versichertenzahlen der KSK.
Anderer Darstellung der Tabelle, nur bezogen auf das Jahr 2020 und nur auf Theater und Musik.
Alles gut soweit? Diese Ausgabehöhen sind Indizien. Sie werden aber im Einzelfall dann in die Schuhe gestellt und damit relativiert, wenn man den Anteil am Bruttoinlandsprodukt betrachtet. Da verharren eigentlich alle Ländern und Stadtstaaten auf einem Niveau, mindestens was die Steigerung der Ausgaben angeht. Eine solche Statistik gäbe nur dann tatsächlich Aufschluss, wenn man erklären kann, wie sich Schwankungen ergeben. Durch schwankendes Engagement von Kulturminister:innen oder -senator:innen im Zusammenhang ihrer Regierungen.
Die Zahlen aus dem Kulturfinanzbericht 2022 reichen bisweilen leider nur bis 2020.
Mit was also rechnet der Berliner Kultursenator?
Anders als in den Ländern und Gemeinden sieht die Entwicklung auf Seiten des Bundes aus. Hier wurde ordentlich für den Kulturbereich abgezwackt. Da macht sich die Corona-Milliarde in 2020 deutlich bemerkbar. Der Bund hat deutlich versucht, zu stützen. Ob die Mittel immer überall da gelandet sind, wo man sie gern gehabt hätte, ist eine andere Frage. Manches scheint gerade zu versickert zu sein.
Wachstum gab es allerdings ganz gewiss bei der Zahl derer, die Mitglieder der Künstlersozialkasse sind. Diese Zahl hat sich seit 1998 gut verdoppelt – im Bereich der Darstellenden Kunst sogar verdreifacht!
Und so zeigt sich umgekehrt proportional, dass der Betrag, den Bund und Länder für Kultur ausgeben auf immer mehr Teilnehmer:innen verteilt werden muss.
Im Vergleich dazu weist der Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2022 aus, dass in Sachen Umsätze in den entsprechenden Bereich gleichwohl wenig umgesetzt wird.
Die Rechnung ist kompliziert, weil auch weitere Faktoren wie Inflation und Zinshöhe (für Stiftungen entscheidend) miteinander in Beziehung stehen. Und zugleich, das zeigt hier die letzte Grafik, die Ausgaben der privaten Haushalte über all die Jahre in der Summe stagniert, das heißt, Inflation eingerechnet, faktisch sinkt. Während dabei der Besuch von Veranstaltungen und Kultureinrichtungen insgesamt eher gestiegen ist (inkl. Einbruch durch die Coronapandemie), sank er stetig im Bereich Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, Ton-, Bild- und Datenträger.
Auf was also will Chialo hinaus. Dient sein Einwurf als offensives Bekenntnis zur Entwicklung der Kulturlandschaft Berlins; oder bereitet er damit diese darauf vor, schwerste Einschnitte für die Zukunft anzukündigen?