Für mein Gefühl wandelt sich die abendländische Kultur gerade in eine von Kalkulator:innen gestaltete Welt. Erst muss das Zahlen-Bullshit-Bingo gespielt werden, bevor man etwas unter die Menschen bringen kann. Und dafür müssen die Ebenen der Kultur- und Kunstproduzenten zunächst getrennt werden. Es wird dafür nötig, Menschen zu markieren. Irgendwo muss ja eine Privilegien-Unterversorgung vorliegen, damit man dann das, was man abtrennt, mit Gründen wieder privilegieren kann. Nicht mehr das, was gemacht wird ist die Eintrittskarte für die Wahrnehmung, sondern das, was Mensch ist. Antidiskriminierung geht natürlich nicht ohne Diskriminierung.
Das ist der Komfort, den demokratisch verfasste Gesellschaften dafür aufbringen müssen, dass sie diskursiv sind. Bei Gesellschaften, die von Staats wegen diskriminieren, wie es beispielsweise Autokratien oder Diktaturen sind, geht es dagegen ums nackte Überleben der Diskriminierten. Da haben die unterdrückten Gruppen keine Lobby und stehen sich gegebenenfalls zudem in Gegnerschaft untereinander im Wege. Das ist ein anderes Problem.
In demokratischen und halbwegs aufgeklärten Gesellschaften werden, wie mir scheint, die diskursiven Prozesse aber immer mehr durch solche der Kalkulation und der Zahlenfetische zuerst verdrängt und schließlich ersetzt. Die Zahl gaukelt dabei die Objektivität der Messwerte vor. Die Zahl ist aber nicht objektiv, sondern bestenfalls ein Indiz für eine mehr oder weniger manifeste Tendenz. Wer sich in eine nur noch rechnende Diskussion begibt, wird durch die andere Rechnungen, die aufgemacht werden, gefangen genommen. Die ganze Welt mag Zahl sein, wie Pythagoras einst formulierte, doch die Zahlen sind nicht die Welt. Sie bestimmen nicht, was wir sein wollen oder können. Rundfunkintendant:innen oder Wellenchef:innen sind das die Einschaltquoten, die für Investitionen in Programme stehen oder dafür, diese nicht zu tätigen. Für andere signalisieren andere Quoten einen Unterrepräsentanz von durch bestimmte Merkmale gekennzeichnete Gruppen.
Man kann es drehen, wie man will, in abendländischen demokratischen Gesellschaften gehört eigentlich jeder und jede in bestimmten Punkten einer Gruppe an, die diskriminiert wird – aber, und das macht die Sache hyperkomplex, im Einzelfall auf einer anderen sozialen gesellschaftlichen Ebene. Was in einem Fall Grund für eine Diskriminierung ist, kann zugleich in einem anderen Zusammenhang als ein Privileg sich erweisen. Und geklärt wird das nicht über einen konkreten Zusammenhang, sondern über den der Gruppenzugehörigkeit. Meines Erachtens bringt dies kaum ein zweiter Film wie „Do The Right Thing“ von Spike Lee zum Ausdruck und macht es zugleich ästhetisch erfahrbar.
Statt also die Diskriminierungsmechanismen in Gesellschaften zu untersuchen, die es zweifellos leider gibt, und diese zu beseitigen, verstetigt man diese, in dem man sie als Merkmale fixiert. Daraus resultiert eine neue Art kultureller Lähmung, Selbstgerechtigkeitswahn und Umlenkung auf jene vermeintlichen Fakten, die man in Zahlen zu fassen glaubt. In Wirklichkeit handelt es sich um eine neue soziale Form der Verdinglichung, der Vermessung und Normierung – samt ihrer Bewertung, denn man muss dies ja vergleichbar machen, um Diskriminierung oder Privilegierung gegeneinander messbar zu machen. Der Klimakatastrophe steht eine Vereisung des kulturellen Klimas zur Seite.