22. November 2024 Alles muss raus!

Flexible Vergangenheit und Gegenwart

Volker Brauns “Berichte von Hinze und Kunze” zählen für mich sowieso zu den Perlen deutscher Vorvereinigungsliteratur. Da blättert man sich durch und findet fast immer einen Gedanken, den man sich einmal genauer ansehen sollte.

Harmlose Kritik.

Manches, das Hinze mißfiel, lehnte er nicht rundheraus ab, er kratzte nur am Lack. Vor einem Denkmal moniert er das Material; dieser Feldherr und erste Diener seines Staates stand glänzend auf dem Sockel, als hätten sich die Zeiten nicht geändert. Hinze schlug vor, solch edle Köpfe oder Körper aus aufblasbarem Zeug zu fertigen: wenn sie nicht mehr so berühmt seien, könne man ein wenig Luft herauslassen, in gnädigeren Epochen sie wieder in Form bringen, jedenfalls auf Tagesmaß profilieren. (Sich selbst wünschte Hinze aus Gummi gegossen zu Pferde damit die Autos unbeschadet dagegenfahren konnten.) Da seine Kritik so wenig prinzipiell formuliert war, blieb offen, ob er überhaupt gegen Denkmäler fechtelte – oder gegen eine wankelmütige Art, die Vergangenheit (Gegenwart) hinzustellen.

Volker Braun: Berichte von Hinze und Kunze, Frankfurt am Main 1983, S. 38.

Das Fatale an diesem Text. Ich tue mich schwer, ihn in seiner Tragweite so richtig zu begreifen. Der Gedanke, Denkmäler nicht zu fixieren auf eine Ewigkeit hin, sondern sie tagesaktuell in Größe und Form anzulegen hat etwas Bestechendes. Bestechend finde ich auch, dass er den Vorwurf, Hinzes Kritik sei “so wenig prinzipiell” damit pariert, dass er eben offen lässt, ob damit Denmäler allgemein oder den Umgang mit Vergangenheit und Gegenwart als unabschließbar ansieht. Und mithin die Frage, welche Form von Denkmälern man überhaupt sich wünschen kann.

Personen der Weltgeschichte sind ja irgendwie immer unabgeschlossene Kapitel. Aber man redet ja auch von anderen Denkmälern (der Tonkunst zum Beispiel) oder Gebäuden, Architekturen. Diese, wissen wir aus vielen Geschichten der Geschichte, sind ja auch nicht ohne innere Geschichte – auch problematische. Sind vielleicht daher Denkmale unter Umständen eher etwas anderes als das, wofür man sie meint, zu sehen? Meint eben auch, man löscht keine Vergangenheit aus, wenn man deren Denkmale entfernt.

Ich kenne aktuell aus der Erinnerung zwei Stücke, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben. Das eine ist “Die Verurteilung des Lukullus” von Brecht in der Opernversion von Dessau, das ja damit schließt, dass das Gericht, das über ihn befinden soll, damit schließt, ihn “ins Nichts” zu schicken: “Ins Nichts mit ihm”. Paradoxe Pointe: Mit dem Stück wird ins Gedächtnis zurückgeholt, was die Geschichte ins Nichts stoßen sollte.

Das andere ist der Goya-Film von Konrad Wolf nach Lion Feuchtwanger. Hier bestraft der Großinquisitor den Künstler mit ewigem Vergessen, wenn ich es richtig erinnere.

Darin kann man dann in der Gegenüberstellung erkennen, dass das “Problemfeld” nicht nach der einen oder anderen Seite so einfach aufzulösen ist. Wahrscheinlich ist sogar eher, dass es gar nicht prinzipiell aufzulösen ist. Allerdings muss man auch ganz gewiss beachten, wer hier welches Urteil spricht und wer es einfordert. Auf der einen Seite ist es die Schöffin, der das Gericht folgt (Lukullus), auf der anderen der ranghohe Bürokrat einer Institution, die er zu vertreten sich im Recht sieht (Großinquisitor).

Denn, was hätte man dann am Ende: eine tadellose Geschichte, die allerdings nie so stattgefunden hat. Auch wenn Geschichte insgesamt natürlich nicht stattgefunden hat, wie sie zur Darstellung kommt.

Aber das ist noch einmal ein besonderes Feld.

Vorläufig wären aufblasbare Denkmale eine ganz flexible Lösung für die Materialität eine Gedenkens oder eines Andenkens.

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