Das hat mich gestern geärgert und einen ganzen Tag bis heute genervt. Auf rbb24.de tauchte plötzlich die Schlagzeile auf:
“Charité hält Opern und Klassikkonzerte vor vollen Sälen für machbar
Später etwas abgemildert:
“Charité-Institute empfehlen Klassikkonzerte und Opern in vollen Sälen”
rbb Exklusiv: Experten der Charité in #Berlin empfehlen in einer überarbeiteten Studie, jeden Platz in Opern und Klassikkonzerten zu besetzen. Voraussetzung ist, dass alle Besucherinnen und Besucher im vollen Haus einen Mund-Nasen-Schutz tragen.
Das klang doch toll. Charité, war das nicht die Klinik und das Forschungszentrum an dem der wichtigste deutsche Coronavirus-Forscher arbeitet. Und jetzt kommt aus dem Haus eine Empfehlung, die Konzertsäle wieder voll zu machen? Und das hatte der rbb (Radio Berlin Brandenburg) auch noch exklusiv! Da mussten die Alarmglocken hochgehen. Zumal bei der Autorin, die den Text dazu verfasst hat. Forschung exklusiv.
Nein, das ist nicht Forschung, das ist Froschung. Quak, quak, quak!
“Musikunrat” empfiehlt … Es hat immerhin ein paar Stunden gedauert, bis sich die Charité von den “Stellungnahmen” einiger ihrer Mitarbeiter distanziert hat. Und bis der rbb seine Meldung korrigierte.
Da war zwischenzeitlich die Hoffnung groß, dass man wieder wie früher eng an eng sitzen kann, nein, das sogar empfohlen wurde. Egal, könnte man sagen, es wurde ja aufgeklärt. Aber es ist ein Beispiel für das Problem, wie man Wunsch und Wirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen versuchen möchte. Dafür kann man aber den Kommentar benutzen, eine Debattenbeitrag, aber prominent aus exklusivem Material berichten?
Ich gebe zu, auch wir haben hier viele Hausaufgaben zu machen, wenn Sie die News lesen, die von unserem Nachrichtendienst dpa mit etwas reißerischem Tonfall in der Schlagzeile stammen. So musste ich gerade aus “Papier der Berliner Charité: Oper und Konzert unter Bedingungen in vollen Häusern möglich” ein “Papier aus der Berliner Charité: Oper und Konzert unter Bedingungen in vollen Häusern möglich” machen.
Und, wie ich jetzt sehe, die eine Stellungnahme (Wortlaut als pdf und nicht mehr exklusiv) ist unterzeichnet zugleich neben Mitarbeitern der beiden Institute der Charité und von den “Orchestervorstände[n] und Intendanzen der folgenden Berliner Orchester (in alphabetischer Auflistung)” – es folgt die Liste. Die andere in Sachen Publikum, um die es an dieser Stelle in erster Linie geht, kann man hier als pdf finden und wurde von vier Autor:innen gezeichnet.
Da hat es jemand wohl “gut gemeint”. Man kann nur hoffen, dass der daraus folgende Schaden geringer ist als die Erregung der Erfüllung eines Wunsches.
- Ein Beitrag für den Newsletter der nmz.
- PS: Nachträglich ergänzt um einen Link auf die richtige Stellungnahme zweier Institute der Berliner Charité. (19.8.2020) – Danke an die entsprechenden Hinweise und Links durch Wendelin Bitzan, David Stingl und Alexander Strauch.