Nach 2013 hat der ECHO Pop auch dieses Jahr wieder ein Problem. Ging es vor fünf Jahren um die Gruppe Frei.Wild, die nominiert war, was teilweise unter den Mitnominierten zu Übellaune führte, ist es in diesem Jahr Farid Bang und Kollegah. Es ist klar, dass in der Popmusik nicht immer alles nach heiler Schlagerwelt klingt und tönt – und textet. Es geht da auch schon mal „zur Sache“. Und eben auch darüber hinaus. Präzise wurden Künstler nominiert, bei denen aktuell die Textzeile „Mein Körper definierter als vom Auschwitzinsassen“ auftaucht.
Eigens für diese Zwecke hat sich der Bundesverband Musikindustrie [BVMI], die den ECHO betreibt, einen Beirat geschaffen, der unabhängig von Weisungen sich in Problemfällen dazu äußern soll, ob die nominierten Künstler auch weiterhin nominiert werden sollen. Die Entscheidung des Beirats ist für die ECHO-Jury bindet.
„Für die Prüfung solcher Zweifelsfälle hat der Vorstand des Bundesverbandes Musikindustrie vor einigen Jahren den ECHO-Beirat ins Leben gerufen, der vom Vorstand eingeschaltet werden kann. Als ein von der Branche unabhängiges Gremium beurteilt der ECHO-Beirat – unter Abwägung der künstlerischen Freiheit – die Vereinbarkeit eines Werkes mit grundlegenden gesellschaftlichen Normen und entscheidet, ob ein Künstler mit dem zur Diskussion stehenden Produkt von der Nominierung ausgeschlossen werden soll.“ [Quelle]
Die Idee ist prima. Denn sie entlastet das ECHO-Gremium davon, sich selbst zu positionieren. Egal, was der Beirat entscheidet, man hat dann jemanden, der die Entscheidung trägt und zu ihr stehen muss.
Der Beirat hat entschieden, sein Sprecher, Wolfgang Börnsen, erklärt:
„Bei der Nominierung der Künstler ‚Kollegah & Farid Bang‘ mit dem Album ‚Jung Brutal Gutaussehend 3‘ für den ECHO handelt es sich um einen absoluten Grenzfall zwischen Meinungs- und Kunstfreiheit und anderen elementaren Grundrechten. Wir stellen fest, dass dieses Album nicht auf dem Index der Bundesprüfstelle steht, schließen aber nicht aus, dass es noch eine behördliche Befassung geben sollte. Die Wortwahl einiger Texte, wie bei dem Titel ‚0815‘ auf der Beilage-EP ‚§ 185‘, ist provozierend, respektlos und voller Gewalt. Sie als Stilmittel des Battle-Raps zu verharmlosen, lehnen wir ab und möchten an dieser Stelle unsere deutliche Missbilligung gegenüber der Sprache und den getroffenen Aussagen unterstreichen.“ [Quelle]
Mit anderen Worten: Was da in den Texten der Autoren transportiert wird, missbilligt der Beirat. Er hält es sogar für möglich, dass die Texte so gestaltet sind, dass man sich „behördlich“ damit befassen wird. (Wäre es so, käme dieses Werk auf den Index, hätte es den Ausschluss vom ECHO zur Folge – so steht es in den Regularien.) Da dies aber bisher nicht aber der Fall ist, will man sich selbst nicht positionieren durch eine Ablehnung:
„Nach intensiver und teilweise kontroverser Diskussion sind wir dennoch mehrheitlich zu dem Ergebnis gekommen, dass ein formaler Ausschluss nicht der richtige Weg ist.“ [Quelle]
Dann eben nicht. Dann sollte man einen inhaltlichen Ausschluss vielleicht wählen. Dafür führt der Beiratssprecher auch genügend Gründe an:
„Wir nehmen wahr, dass nicht nur in der Musik, sondern auch in anderen Bereichen der Kultur, wie in Film, Theater und Malerei, eklatante Tabubrüche zunehmend zu den Merkmalen der Kunstfreiheit gehören. Auch sehen wir, dass Hass und Gewalt im gesamten medialen Umfeld zunehmen. Wir halten diese aktuelle Entwicklung in unserer Gesellschaft für bedenklich und falsch und beobachten mit großer Sorge die Aufwärtsspirale, die sich auch in der verbalen Missachtung von Gesetzen ausdrückt.“ [Quelle]
Hörthört. Die genannte Textstelle wird als Tabubruch wahrgenommen. Und als solche ist sie eben Ausdruck allgemeiner Tendenzen der Kulturentwicklung. Das ist zwar doof. Aber mit dem Begriff des „Tabubruchs“ auch irgendwie nobilitiert. Man muss ja die Tabus brechen, um weiter zu kommen, um etwas aufzudecken, was kulturell sonst behütet wird. Der Tabubruch adelt das Unterfangen. Die Logik der Argumentation erlaubt es dem Werk, als Kunstprodukt durchzugehen.
Aber ansonsten legt man die Hände in den Schoß und sagt sich: Nicht unser Problem. Das muss die Gesellschaft lösen. Jetzt ernsthaft. Dafür braucht es nur eine Institution (welche?), „die eine Plattform zur Auseinandersetzung mit diesem Thema schafft.“ Wir sind nur der Beirat, wir werden das nicht entscheiden. Das sollen andere. Nachher heißt es noch, wir würden Zensur ausüben. Es geht ja doch nur um den Satz: „Mein Körper definierter als vom Auschwitzinsassen.“ In der Branche ist das ein üblicher Verstoß, bloß ein rappender Bodycheck. Doof zwar und wir finden das gar nicht schön, aber normal in dieser Szene. Darf man sich das so vorstellen? Ja, nein. Sie missbilligen das und akzeptieren das auch nicht als Stilmittel des Battle-Rap. Aber, was soll’s. Nominiert ist nominiert. Ob das tolerabel ist, sollen andere entscheiden. In unserer Geschäfts- und Verfahrensordnung ist das Thema nicht vorgesehen.
„Deshalb appellieren wir an die politisch wie gesellschaftlich Verantwortlichen in unserem Land, eine ernsthafte Debatte über die Bedeutung und den Deutungsrahmen der Kunst- und Meinungsfreiheit zu führen. Es gilt, über alle Medienformen hinweg eine Institution zu bestimmen, die eine Plattform zur Auseinandersetzung mit diesem Thema schafft.“ [Quelle]
Denn: „Die Problematik, die an diesem Fall deutlich wird, reicht weit über den Musikpreis ECHO hinaus. Es ist eine Debatte, die die gesamte Gesellschaft betrifft.“ [Quelle]
Natürlich betrifft sie die Gesellschaft. Aber konkret geht es jetzt nur um die Zeile: „Mein Körper definierter als vom Auschwitzinsassen.“ Kann man unter Tabubruch abhaken? Wenn dann die Schlussformel sagt: „Wir sind bereit, uns aktiv an dieser Auseinandersetzung zu beteiligen“ [Quelle], so ist das glatt gelogen. Das ist der Beirat, wie er in seiner Stellungnahme bezeugt, eben nicht.
Wenn man dann in die Liste der Mitglieder des Beirats schaut, wird einem unwohl. Da sind Vertreter vom Deutschen Kulturrat, dem Deutschen Musikrat, der evangelischen und katholischen Kirche dabei, gegen diese Stimmen könnte der Beirat nicht diese Entscheidung fällen. Sie müssen die Sache wohl mitgetragen haben. Wie sie konkret abgestimmt haben, kann man nicht wissen, denn die Abstimmung ist geheim (warum eigentlich?). Durch ihre Teilnahme an der Besetzung des Beirats legitimieren sie das Gremium sowieso und es ist damit auch unerheblich. Sie meinen das wahrscheinlich tatsächlich ernst.
Twitterin Kunstfeler hat das eigentlich glasklar erkannt:
https://twitter.com/kunstfeler/status/982188126301925379
Ansonsten herrscht eben Gelassenheit. So sieht es Farid Bang.
Der BVMI sieht es gelassen, denn der hatte es nicht entschieden.
Der Beirat sieht es nicht ganz so gelassen, schiebt das Problem aber vor sich her. Was die beiden Kirchen und die Kulturverbandsvertreterinnen hier kundtun, das ist Vogelstrauß-Taktik nach dem Muster: Ist eben kompliziert: Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit sind irgendwie wichtig. Tabubrüche gehören zum Spiel. Satire und Kunst dürfen alles. Beirat ohne Stachel. Die Ruhrbarone sind da weniger zimperlich als ich:
„Die beiden [Kollegah und Farid Bang] verdienen gut mit der Vermarktung antisemitischer Inhalte und der entsprechenden Posen. Das ist nicht dumm, weil es genug antisemitisches Dreckspack gibt, das die Musik der beiden kauft, aber natürlich widerwärtig. Doch genauso widerwärtig wie Kollegah & Farid Bang sind ihre willigen Helfer. Die Schreibtischtäter vom Bundesverbandes Musikindustrie e.V. und seinem Beirat …“ [Quelle]
Daher mal konkret an Olaf Zimmermann, den Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates: Ist es okay, wenn auch im Namen ihrer Institution Ihr Präsident diese Entscheidung mitträgt? Und an den Generalsekretär des Deutschen Musikrates: Ist es okay, wenn auch im Namen ihrer Institution ihr Präsident diese Entscheidung mitträgt? – Oh, Sie sind ja zugleich Präsident des Deutschen Kulturrates. Damit hat sich die Antwort wohl erledigt.
Nein, mit dieser Beiratstoleranz sind Sie Teil des Systems, das sie beklagen. Ist schon ein bisschen heuchlerisch, oder? Oder mehr??
Endlich könnte man mal ein bisschen Farbe bekennen – und lässt es dann. Gratulation, Deutscher Kulturrat; Gratulation, Deutscher Musikrat. Harmloser geht es nicht.
Für Ihre Unterlagen – Mitglieder des ECHO-Beirats:
- Wolfgang Börnsen (ehem. MdB)
- Klaus-Martin Bresgott (Rat der Evangelischen Kirche Deutschland)
- Christian Höppner (Deutscher Kulturrat)
- Martin-Maria Krüger (Deutscher Musikrat)
- Uta Losem (Katholisches Büro)
- Kurt Mehnert (Folkwang-Universität)
- Ole Oltmann (Musikpädagoge)
UPDATE 9. April
Der Deutsche Kulturrat hat eine nicht namentlich gekennzeichnete Erklärung zum Thema verfasst und mir zukommen lassen. Darin heißt es unter anderem:
“(…) Laut Satzung ist Zweck des Deutschen Kulturrates „die Förderung von Kunst und Kultur. Er soll auf nationaler, europäische und internationaler Ebene der Kultur und den Künsten die gebührende Geltung verschaffen und die Voraussetzungen für ihren Erhalt und ihre Entwicklung verbessern.“ Der Satzungszweck wird verwirklicht insbesondere durch „Eintreten für Kunst-, Publikations- und Informationsfreiheit“.
Der Deutsche Kulturrat wendet sich entschieden gegen Antisemitismus, Rassismus, Hass und Herabsetzung von Menschen. Er tritt für Toleranz und gesellschaftlichen Zusammenhalt in Vielfalt ein. (…)
Der Deutsche Kulturrat distanziert sich entschieden von Wortwahl und Inhalt des Albums „JBG3“ von Kollegah & Farid Bang.”
Das ist ja schön. Wäre es nicht konsequent, der Missbilligung zumindest insofern Taten folgen zu lassen, mindestens, dass man den Beirat verlässt. Wenn es denn so kompliziert ist, zwischen Kunst-, Publikations- und Informationsfreiheit auf der einen Seite und entschiedener Ablehnung von “Antisemitismus, Rassismus, Hass und Herabsetzung von Menschen” zu entscheiden? So bleibt der Geruch der Komplizenschaft mit Industrie und Verkaufszahlen und des Maulheldentums, wo man doch initiativ sein könnte. Wenn es um Verkaufszahlen alleine geht, da braucht man am Ende keinen Beirat, der das noch ablehnend abnickt.
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