Ein Wahlplakat. Ein Wahlplakat hat selten die Aufgabe, Informationen korrekt zu transportieren. Ein Wahlplakat gehört in die Kategorie Werbung. Und wie Satire darf Werbung alles – außer Langweilen. Deshalb geht es um Slogans, die gleich den einen oder die andere treffen. Mauricio Kagel hat das einmal in einem Hörspiel (“Guten Morgen!”) verbraten und die Lautstärke entsprechend korrigiert. Wer schreit, hat Recht.
Auch wenn heute fast die ganzen Werbefilmchen auf YouTube mit musikalischen Gesäusel und akustischem Gekräusel unterlegt sind, überdeckt es die Absicht. Musikalische Blindschleichen sind Dauerzustand.
Man kann etwas aber auch so falsch ausdrücken, dass alle meinen, er wäre richtig. So gesehen erst jüngst bei der FDP.
Was gemeint ist: Eine Investition in die schulische Bildung wird die Welt verändern. Aktenkofferträger jedoch nicht. Zweierlei: Erstens sagt die FDP damit nicht mal gar nichts aus. Wenn Schulranzen die Welt verändern könnten, wäre das dann gut oder eher schlecht. Aber haben Schulranzen jemals die Welt überhaupt verändert. Ist es nicht eher immer schon die Schulranzenindustrie gewesen? Und war es nicht lange Zeit auch so, dass vielerlei Schülerinnen im Laufe ihres Bildungswegs gerade vom Ranzen zum Koffer gewechselt sind.
Tatsache ist leider doch, dass es die Aktenkofferträger sind, die Politik machen und die damit die Welt verändern. Im Bundestag muss man schon lange suchen, um einen Schulranzenträger zu finden. Sagen wir mal präzise: Ich habe noch nie einen gesehen. Lindner selbst ist den Aktenkoffern gegenüber nicht abgeneigt.
Doch zurück: Kann schulische Bildung die Welt verändern? Ja, das kann sie, das macht sie – in welche Richtung auch immer. Kann Politik die Welt verändern? Ja, das kann sie und das macht sie – in welche Richtung auch immer. Sie entscheidet zum Beispiel, wie schulische Bildung aussehen soll. Man müsste in dem Zusammenhang jetzt so einiges ausführen, wozu hier leider Zeit und Muße fehlen.
Es kommt immer drauf an, was im Ranzen und was im Aktenkoffer ist. Im schlimmsten Fall resultiert daraus eine überhitzte ranzige Ideologie, deren Durchsetzung fatal ist. In Hitlers Reichenberger Rede von 1938 zeigte er auf, wie Weltveränderung in seiner übelsten Form geht.
“Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln, und wenn diese Knaben mit zehn Jahren in unsere Organisation hineinkommen und dort oft zum erstenmal überhaupt eine frische Luft bekommen und fühlen, dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitlerjugend, und dort behalten wir Sie wieder vier Jahre. Und dann geben wir Sie erst recht nicht zurück in die Hände unsrer alten Klassen-und Standeserzeuger, sondern dann nehmen wir Sie sofort in die Partei, in die Arbeitsfront, in die SA oder in die SS, in das NSKK und so weiter. Und wenn sie dort zwei Jahre oder anderthalb Jahre sind und noch nicht ganze Nationalsozialisten geworden sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs und sieben Monate geschliffen, alles mit einem Symbol, dem deutschen Spaten. Und was dann nach sechs oder sieben Monaten noch an Klassen- und Standesdünkel da oder da noch vorhanden sein sollte, das übernimmt die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre, und wenn sie nach zwei, drei oder vier Jahren zurückkehren, dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in die SA, SS und so weiter, und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben und sie sind glücklich dabei.
Und wenn mir einer sagt, ja, da werden aber immer noch welche übrig bleiben: Der Nationalsozialismus steht nicht am Ende seiner Tage, sondern erst am Anfang!” 1Adolf Hitler, Auszug aus der Rede vor Kreisleitern in Reichenberg am 2.12.1938. Abgedruckt im „Völkischen Beobachter“ vom 4.12.1938.)
Solche Vorstellungen von Weltveränderung durch die Präparation von Schulranzen sind nicht einzigartig. Die meisten, denen Bildung am Herzen liegt, geraten ins Schwimmen, wenn sie bestimmen müssen, was man darunter zu verstehen hat. Präzise weiß man das nur im ganz rechten Parteienspektrum. So als ob es möglich wäre, Bildung per Infusion zu verabreichen. Den Zustand heute beschreibt eher Niklas Luhmann ganz gut:
“Um auf das ganze Erziehungssystem anwendbar zu sein, mußte der Begriff der Bildung daher von allen Inhalten entleert werden. Er wird seitdem nur noch floskelhaft und vor allem politisch gebraucht.”2Niklas Luhmann: Das Erziehungssystem der Gesellschaft, Frankfurt/M. 2002, S. 191.
Das erklärt auch das tatsächliche Bildungsziel der FDP, wie man es auf deren Website nachlesen kann.
“Wir wollen, dass Deutschland bis 2030 wieder in allen Bildungsrankings zur Spitze gehört und Maßstäbe setzt.” 3Stichwort Bildung, Website der AfD.
Bildung ist nur ein Terminus des vergleichenden Wettbewerbs. Der Schulranzen soll den nächsten Designaward bekommen. Das ist viel zu wenig.
Unten auf dem Plakat der FDP kann man lesen: “Denken wir neu”. Darüber habe ich nun wirklich selbst ein paar Stunden nachgedacht und komme doch zu keinem Ergebnis. Insgesamt einfach nur zu dem Ergebnis konnte ich mich durchringen, dass da die FDP mit einem Höchstmaß an Relativität arbeitet. Bloß keine Inhalte transportieren, wenn man es genau liest, die aber so aussehen, als wären es welche. Firlefanz.
Fussnoten:
- 1Adolf Hitler, Auszug aus der Rede vor Kreisleitern in Reichenberg am 2.12.1938. Abgedruckt im „Völkischen Beobachter“ vom 4.12.1938.)
- 2Niklas Luhmann: Das Erziehungssystem der Gesellschaft, Frankfurt/M. 2002, S. 191.
- 3Stichwort Bildung, Website der AfD.