Kürzlich hat hier Kollege Kurtz über das Jugendverbot für Opernbesuche geschrieben. Dabei haben Jugendliche auch außerhalb der Oper längst mehr und Schlimmeres gesehen, als es in der Oper möglich ist. Man erinnert sich aber an eine Tannhäuser-Premiere in Düsseldorf, wo es angeblich zu Anfällen der Blässe bei Erwachsenen kam oder eine Dresdner Operetten-Aufführung, wo zu viel Schützengraben und zu viel Blut geflossen sein soll und der Schock tief saß.
Viel Nebel um Carmen
In Australien verbannt man Stoffe auf weitaus geschicktere Art und Weise aus dem Programm. Man lässt sich von einer entsprechenden Organisation sponsern, der es um Gesundheit (wer definiert, was das ist) geht und entfernt problematische Stücke, die dazu im Gegensatz stehen aus dem Programm. So viel Glaubwürdigkeit, die man erzeugen will, ist schon ehrenhaft (insbesondere, wenn das noch nicht einmal gefordert worden ist).
Das wirft natürlich wieder die Frage auf, müssten die Opern-Inszenierungen nicht eigentlich komplett neu gemacht werden, an sich, auch ohne Sponsoring. Pippi Langstrumpf und viele andere Werke der Literatur haben das in Deutschland doch auch bereits über sich ergehen lassen. Man könnte das aber auch rein rezeptionssoziologisch doppelt interpretieren:
- Der deutsch-europäische Opernzirkus ist sowas von vorgestern, dass es auch egal ist, was die da machen, denn das Publikum ist lernresistent und benötigt die Bestätigung seiner Vorurteile, egal wie „schockierend“ eine Inszenierung auch sein mag
- Der deutsch-europäische Opernzirkus ist einfach nur vollkommen irrelevant.
Für beide Thesen scheint es mir gute Gründe zu geben. Beide entspringen der Tatsache, dass hier eben noch keine solche Dinge vorkommen wie in Australien (gerne lasse ich mich belehren).
Vielleicht ist es aber auch ganz anders und es sind längst alle Probleme beseitigt. Es könnte ja sein, dass, insbesondere bei fremdsprachigen Opern, auf dem Wege der Übersetzung, politisch problematisches Material entsorgt worden ist, oder, wenn in Originalsprache (französisch, italienisch, finnisch, englisch … gesungen und gesprochen wird), es sowieso nur gefühlte 0,01% der Zuhörer dem Text folgen können.
Überhaupt: Oper und Geschichte. Nimmt man die Opernstoffe als geschichtliche Wahrheiten, lernt man genug völligen Unsinn. Apropos: Wie steht es denn mit der historisch informierten Aufführung. Bei den Noten und den Instrumenten gibt man sich da so viel Mühe, bei der Inszenierung macht man einen weiten Bogen darum.
Sehrsehr genialer Text! Allein schon “Viel Nebel um Carmen” ist ein Edel-Bonmot zum An-die-Wand-hängen!
Und historisch informierte Inszenierung wird sicherlich DER nächste Klassikmarkt-Hype, um noch ein paar neue CDs/DVDs zu verkaufen, wenn die Hist. Aufführungspraxis auf 350Hz und die Dekolletes bis zum Bauchnabel gerutscht sind.
Naja, immerhin, dann hätten wir hier im Sperrsitz das prophetisch vorhergesagt. (Und danke für die wolhwollenden Worte 🙂