Ein Buch macht die Runde und er hallt ein Aufschrei nach dem anderen durch das Land der Dichter und Denker. Vier Autoren, die alle von irgend etwas eine Ahnung haben, rühren die Kulturmacher auf „KULTURINFARKT“. Das Erstaunliche dabei ist, es handelt sich bei den Autoren ausnahmsweise nicht um Banker oder Politiker, sondern um selbst im Kulturbetrieb verankerte Menschen.
Die Reaktionen sind leider hilflos. Über alle Maßen hilflos. Zum einen handeln sie die Sache auf der persönlichen Schiene ab, die Autoren mögen doch zunächst in ihren eigenen Institutionen loslegen und ihre Wünsche und Vorgaben zunächst in den eigenen Institutionen verwirklichen. Der Vorwurf verkennt, dass die Autoren die Halbierung der Ausgaben für Kultur als Gedankenexperiment verstehen. Dabei, soweit verstehe ich das, gilt nicht das Rasenmäherprinzip. Mach mal platt und siehe zu, sondern vor allem um eine Prüfung, ob denn nun wirklich alles so und in dem Maße gefördert werden sollte, wie es jetzt der Fall ist.
Ein Beispiel für mögliche Fehlentwicklungen hat man gerade in Berlin gehabt und der Journalist der Berliner Zeitung, Peter Uehling hat darauf hingewiesen. Wegen einer Aufführung einer Oper von Nono, die in Zusammenarbeit mit den Salzburger Festspielen und der Staatsoper „Unter den Linden“ realisiert wurde und in einem umgebauten Heizkraftwerk stattfand, fehlen der freien Szene nun Fördergelder:
„Laut Flimm belaste diese Koproduktion mit den Salzburger Festspielen den mit 42 Millionen Euro subventionierten Staatsopernetat nicht stärker als eine große Verdi-Oper. Den Umbau des Kraftwerks bezahlen der Verein der Freunde und Förderer der Staatsoper (250.000 Euro) der Hauptstadtkulturfonds (215.000 Euro). Den kulturellen Kollateralschaden aus dem Anzapfen des Hauptstadtkulturfonds – gegen die Empfehlung seiner Jury bewilligt von Staatskulturminister Neumann und Kultursenator Wowereit – beziffert Flimm jovial und vage mit ‚zwei kleinen Kreuzberger Theatern‘, denen die Förderung nun fehlt. Dass das Werk eines bekennenden Kommunisten auf derart asoziale Weise zustande kommt, ist pikant; angemessen wäre wohl eher feudale Barockoper.“ (Peter Uehling: Kathedrale aus Beton, Berliner Zeitung)
Was würden die Autoren dazu sagen. Recht so? Oder: Falsch? Die Autoren wären da wohl in einem Dilemma. In einem Gespräch mit dem Schweizer Tagesanzeiger sagt einer der Autoren, Pius Knüsel:
„Im «Kulturinfarkt» schlagen wir keine Kürzungen, sondern Umverteilung vor. Leuchttürme der Kultur werden nicht billiger, das steht ausser Zweifel. Also muss man sie grosszügig finanzieren. Daran führt nichts vorbei. Daneben schlagen wir aber auch eine Stärkung der Laienkultur, also der Basisarbeit, vor sowie eine bessere Ausstattung der Kunsthochschulen, damit sie mit den produzierenden Kultureinrichtungen – Theatern, Museen, Musikbühnen, Radio, Fernsehen et cetera – unter den Bedingungen des realen Lebens zusammenspannen können.“ («Kulturpolitik ist keine Beschäftigungspolitik»)
Warum daran nichts vorbeiführt? Eine einfache Basta-Logik erklärt leider gar nichts. Allein der Begriff des Leuchturms ist schon so eine Formulierung, die eine Selbstverständlichkeit vorgaukelt, die die Autoren doch gerade auf den Prüfstand setzen wollen. Dagegen plädieren sie aus der hohlen Hand heraus für die Förderung einer europäischen Kulturindustrie:
„Fünftens schliesslich wünschen wir, dass die Politik mit dem Projekt einer Kulturindustrie vorwärtsmacht. Eine Kulturindustrie, die Starthilfe nötig hat, um in Schwung zu kommen, und die sehr nachfrageorientiert produziert und mittelfristig auf eigenen wirtschaftlichen Beinen steht. Jedermann weiss, dass der grösste Teil des Alltagskulturkonsums aus Erzeugnissen der amerikanischen Kulturindustrie besteht. Wieso es bisher keine nennenswerte europäische Kulturindustrie gibt, die auch europäische Werte verbreitet, kann man nur mit der Abneigung der europäischen Eliten gegen Geschmack und Interessen der vielen erklären. Übrigens wäre das eine ziemlich beschäftigungsintensive Sache.“ («Kulturpolitik ist keine Beschäftigungspolitik»)
Kann man das so erklären? Auf welcher Grundlage kann man das so erklären? Und könnte man es so erklären, was hieße das? Genau nach diesem Prinzip ist in Deutschland ja die „Initiative Musik“ aufgestellt und erhält dafür aus Geldern des Bundes Zuwendungen. Müsste man nicht besser fragen, warum selbst die „europäische Kulturindustrie“ so schwach auf der Brust und zweitens, ob es sich dabei dann tatsächlich noch um ein Projekt der Kulturförderung handelt? Meines Erachtens handelt es sich dabei doch deutlich um Wirtschaftsförderung. Kann man ja machen, wenn man will, aber mit Kultur hat das doch nur am Rande noch zu tun.
Die Antworten aus den Kulturinitiativen sind auf den Braten reingefallen und schlingern nun nach Antworten, die nur offenbaren, dass tatsächlich Handlungsbedarf besteht. Aus der CDU/CSU-Fraktion meldet sich Wolfgang Börnsen zu Wort und redet sich schön:
„Wir bekräftigen daher unseren Grundsatz, dass ‚Kultur für alle‘ keine Haltung, sondern eine Notwendigkeit ist. Sie ermöglicht jedem Einzelnen eine gleichberechtigte Teilhabe an der Kultur, sie belebt die Menschen, sie stärkt unsere Demokratie.“
„Kultur für alle“ würdigen, bewahren und bekräftigen. (Quelle)
Da wäre so ein Begriff, den man nämlich einmal unter die Lupe nehmen sollte: „Kultur für alle“ klingt gut, momentan ist es aber doch eher ohne den Zusatz, für „alle, die es sich leisten können“ unrichtig. Nähme man Börnsens Aussage ernst, wäre sicher statt der Halbierung der Fördermaßnahmen einen Verdopplung nötig: a) für die „Kosumenten“ von Kultur und b) für die „Produzenten“ von Kultur. Das „für alle“ ist der politische Heiligenschein, den der Kulturpolitiker um sein Haupt legt, der aber von der Realität meilenweit entfernt ist. Initiativen wie „Jedem Kind ein Instrument“ bauen darauf auf, aber sie zeigen zugleich, wie schwierig eine derartige Umsetzung in der Realität ist, denn zu einer erfolgreichen Umsetzung bedarf es mehr als einem Kind ein Instrument in die Wiege zu legen. Der ganze Strang der Kulturarbeit gehört dazu. Ausgebildete und angemessen bezahlte Musiklehrer ebenso wie Räumlichkeiten und nicht zu vergessen, ein „Kulturklima“, das solches Gedeihen ermöglicht. Man muss das Wollen und zwar insgesamt, als Gesellschaft selbst, als Öffentlichkeit, wie auch immer.
Vom Deutschen Musikrat liegt eine Stellungnahme als PDF vor, die ins gleiche Horn bläst: „‚Kultur für alle‘ ist ein zwingendes Ziel für eine Gesellschaft, die sich auf dem Weg zu einer Wissens- und Kreativgesellschaft befindet.“ (Stellungnahme DMR) Hörthört. Und nur wenige Pressemeldungen zuvor muss der Zugang geregelt werden, Handelsabkommen gegen den Missbrauch von Kulturerzeugnissen (den „Diebstahl“ – auch wenn man da mit dem Strafgesetzbuch wenig erklären kann) mit zahllosen Folgen über ACTA in Gang gesetzt werden. So sieht die „Kultur für alle“ im Weltbild der existierenden Kulturvertreter aus.
Vom Deutschen Kulturrat kommt wenigstens etwas stichhaltigeres. Olaf Zimmermann schreibt:
„Fakt ist: selbst die von den Autoren geforderte Reduzierung des Kulturetats um 50 Prozent bringt keine nennenswerte Entlastung der öffentlichen Haushalte.“ (50% weniger für die Kultur? – Wenn die Lösungen so einfach wären)
Stimmt. Aber war das das Ziel der Autoren, den öffentlichen Haushalt über die Kulturetats zu konsolidieren? Wenn ja: Dumme Autoren. Zimmermann weiter:
„Fakt ist: der Kulturbereich ist ein sehr kniffliges Gebilde mit zahlreichen Verflechtungen. Gerade öffentliche Kultureinrichtungen sind wichtige Auftraggeber und Kunden der von den Autoren so gelobten Kulturwirtschaft. Zudem sind öffentlich geförderte Institutionen wichtige Arbeitgeber und Auftraggeber freier Kunst- und Kulturschaffender.“ (50% weniger für die Kultur? – Wenn die Lösungen so einfach wären)
Auch das mag ein Faktum sein. Gerne. Es bestätigt aber den Verdacht der Autoren, dass in vielen Fällen „Kniffel“ und „Klüngel“ nur einen arschbreit auseinanderliegen. Wer durchschaut denn noch das ganze Geflecht? Oder heißt das nur andersherum, weil das alles so knifflig ist, sollte man besser die Finger davon lassen? Ich bin fast geneigt, dem zuzustimmen. Kopf-in-den-Sand-stecken wie in vielen anderen Fragen. Die Sache erledigt sich irgendwann von selbst. Was hat man nicht alles dem kniffligen Gebilde des Urheberrechts zugemutet. Man hätte die Finger davon lassen sollen. Was hat man alles dem kniffligen Gebilde der Bildungspolitik zugemutet: G8 und Bologna haben das Heil uns bracht und die Sache noch weiter verkniffelt und damit nicht besser gemacht. Also: Besser man lässt die Finger von derartig komplizierten Sachverhalten. Recht so, Herr Zimmermann. Lasst die Kultur sich selbst erledigen.
Das funktioniert ja bestens wie man am Zusammenspiel von Kultur- und Medienpolitik beim SWR sehen kann. Auf lange Sicht ein Orchester weniger, weil das Geflecht es so will. Oder will man etwa der Autonomie der Selbstverwaltung des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks ans Bein pinkeln. Aufpassen, das ist nämlich auch so ein Gebilde, das man besser nicht antasten sollte.
Max Nyffeler hat schon jetzt erkannt, dass dieses Buch nicht folgenlos bleiben kann:
„Die ersten Reaktionen auf das Buch ‚Der Kulturinfarkt‘ sind merkwürdig: ‚Schwachsinn‘, ‚gefährlich‘, und natürlich ‚populistisch‘. Ein Hamburger sieht schon die ‚totale Vernichtung‘ der Kultur kommen, ein Intendant rät zur Vogel-Strauss-Politik: ‚Das Ganze ignorieren‘. Echte Panikreaktionen – ich vermute, da wurde ein wunder Punkt getroffen. Das wird wohl die Diskussion der nächsten Wochen werden; Je mehr man tabuisiert und ‚totschweigt‘, desto mehr kocht die ganze Chose hoch. Na, viel Spaß dann.“ (Facebook-Eintrag von Max Nyffeler)
Gleichwohl ist nicht ausgemacht, was daraus wird. Dafür braucht es nicht vier Autoren sondern entsprechende Multiplikatoren, die die Vorschläge des Buches aufnehmen. Ich sehe im Moment niemanden, der das tun wollte. Gleichwohl könnte tatsächlich der vehemente und derartig unqualifizierte Aufschrei aus den kulturpolitischen Institutionen dafür sorgen, dass das hochkocht. Wer sich so sehr getroffen fühlt und seine Gegenargumente so inhaltsleer wählt, dürfte damit vor allem auch bekennen, dass außer leeren Worthülsen nicht viel entgegenzusetzen ist. Und das ist in der Tat prekär.
Ich selbst bin der Meinung übrigens, dass man den Kulturhaushalt durchaus und kräftig erhöhen sollte. Allerdings sollte das Geld auch da ankommen, wo man es wirklich braucht und wo damit auch wirklich was gemacht wird, was mehr ist als Repräsentation oder kulturelle Schattenwirtschaft. Dafür braucht es aber vor allem nicht mehr Bestandswahrung sondern Experimente, nicht mehr Lobby sondern kulturelle Realität.
Und noch ein letztes Wort zu Kritik an den Autoren als Personen, die in Institutionen arbeiten, die selbst irgendwie der Kulturwirtschaft zuzurechnen sind, zuletzt von Moritz Eggert im BadBlog Of Musick (Der große Kulturexperten-Check). Mir ist diese Art der Konfrontation sehr zuwider, da sie nur auf der Basis der persönlichen „Anteilnahme“ gründet. Die Methode ist alt und sie wird in manchen Gegenden der Welt zur Perfektion getrieben. Sie endet grundsätzlich damit, dass niemand mehr etwas sagen kann, weil keiner aus einer Verflechtung herauszuhalten ist. Und was wer unter seinem Bett liegen hat, ob er Hundebesitzer ist oder nicht, diesen Fragen eine größere Wichtigkeit beizumessen als der inhaltlichen Auseinandersetzung, ist wirklich nur Kennzeichen eigener Ratlosigkeit und wenn ich emphatisch werden darf, des Verfalls der Sitten.