Seit der Wahl im Saarland ist nicht länger auszublenden, was über Jahre gärte. Eine Partei mit dem sprechenden Namen „Die Piraten“ setzen sich auf der politischen Ebene durch. Viele Stellungnahmen seitens der Presse oder der anderen Parteien sehen da eine Modeerscheinung am Horizont der Politik. Eine Organisation von Chaoten reite da gekonnt auf den Wellen populistischer Netzpolitik. Freiheit für alle. Koste es was es wolle. So hört man. Und in diesem Strudel, meinen viele, versinke wenn schon nicht das Abendland so doch das sogenannte Kreativrecht: das Urheberrecht. Digitale Naive seien da unterwegs. Die GRÜNEN nennen sie eine Modeerscheinung, jene, die selbst Ende der 70er Jahre als völlig realpolitik-inkompatibel belächelt wurden. Joseph Beuys sympathisierte sehr früh mit ihnen, Petra Kelly rüttelte an moralischen und fiskalischen Fundamenten. Und heute: Establishment, Vizekanzelei für eine gewisse Zeit. Nadelstreifen statt Turnschuhe. Anders die Reaktion der FDP, deren designierter Generalsekretär Patrick Döring im Zusammenhang mit den Piraten von einer „Tyrannei der Masse“ sprach. Besser dann also die „Tyrannei der Elite“? Reine Demagogie am Abgrund der eigenen Marginalisierung.
Wir wissen nicht, wohin die Reise der Piraten geht. Die Politik hat eigene Regeln. Die Piraten werden nicht umhin kommen, ihre Politikideale in der realen Politikwelt zu evaluieren. Intransparente Politikgestaltung ist ein Schaden, keine Frage; Dauertransparenz kann aber auch in Selbstdarstellungsorgien und Selbstüberwachungsneurosen enden. Irgendwie muss praktische Politik ihren Standort neu bestimmen: Zwischen Hinterzimmer-Klüngelei und dauerabgehörtem Glaskasten. Es würde schon genügen, wenn die Durchlässigkeit der Politiksysteme sich erheblich steigerte. Momentan ist es doch nicht die Masse, die tyrannisiert, sondern der Kopf des Systems. Wenn man hört, dass für einen Rundfunkintendanten das Urteil seines Rundfunkrates völlig unmaßgeblich sei, dann weiß man, dass solcherlei Politik- und Kulturverständnis auf die Dauer sowohl die internen Strukturen beschädigt wie das Selbstverständnis einer (kritischen) Öffentlichkeit – oder der tyrannischen Masse.
Aber was soll man machen? Empfiehlt man wie beispielsweise in Berlin die Schließung der „Deutschen Oper“, um die frei werdenden Gelder anders zu verteilen, gilt dies als Kulturfrevel. Empfiehlt man die Aufstockung des Kulturetats, wird man als weltfremder Träumer abgekanzelt. In Berlin bejammert in einem offenen Brief die freie Szene den Rückgang der ihr zugemessenen Förderleistung von 10 auf 2,5 Prozent. Dabei sind die Initiativen der freien Szene, nicht immer, aber doch prinzipiell Knotenpunkte zwischen Kultur und Öffentlichkeit an der Basis, im Kiez – jedenfalls mehr als die noch gut bewachten sogenannten Leuchttürme der Kultur. Schon der Slogan „Staatsoper für alle“ beschränkt sich auf ein Event im Jahr – despektierlicher kann man sich seinen Kulturempfängern gegenüber kaum zeigen.