Ich glaube zu wissen, dass der ganze Streit um Wulff als Bundespräsident eigentlich auf nicht mehr oder weniger das hinausläuft, was unmöglich ist: Die Abschaffung des Amtes. Das angeblich höchste Amt im aktuellen deutschen Staate, zugleich tituliert in der Herabwürdigung auf die Funktion eines Grüßaugust, das kann nicht funktionieren; und schon gar nicht mehr heute, mit den Personen, die uns zur Verfügung stehen oder angeboten werden im Parteiengekungel und die glücklicherweise vielleicht noch selbständig einen Fuß vor den anderen setzen könnten. Stattdessen ein Matthäus nach dem anderen. Wulff war, das wusste man schon bei der letzten Wahl, ein Notnagel; auch Gauck hätte bekanntlich nichts gebracht.
Das Amt ist nicht (mehr)1Es geht nicht mehr! Denn tatsächlich konnte die Öffnung der gesellschaftlichen Sprachrohre durch das Internet für viel mehr Wind sorgen, als es die alten Öffentlichkeiten hatten schaffen können. Man fühlt sich nicht mehr so ganz allein – mit seinen Klug- wie Dummheiten. Das große Gehirn recherchiert besser und schneller denn je. zu besetzen. Die, die es mental und physisch könnten, wollen es nicht, weil es ein, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, rein formales Amt ist. Unterschreiben von Gesetzen. nicht von der Gangway fallen, dabei mondän sein, aber nicht größenwahnsinnig. Irgendwann auch mal sich etwas Philosophischen schreiben lassen.
Eigentlich wollen alle eine Revitalisierung des Typus’ eines Weizsäcker, der dazu noch eine gewisse aristokratische Noblesse sein eigen nennen konnte ohne die “ganz unten” abzukanzeln. Jedenfalls jedoch keinen, der sich verschämt und ungeschickt Geld pumpen muss. Und keinen, der kein politisches Standing hat, keinen, der besser Deutschlands oberster Vereinsmeier hätte werden können. Von mir aus zusammen mit der ganzen Guttenberg-Koch-Mehrin-Truppe.
Man muss kein großer Sozialforscher zu sein, um zu sehen, dass es bei der augenblicklichen Schwäche des Systems nur um etwas ganz Banales geht. Man kann Wulff so wenig wie keinen zweiten in diesem Amt leiden. Seine ihm aufgezwungene Neutralität ist nur die Farblosigkeit, die Blässe, die seine Person ausstrahlt – wobei dies schon ein zu aktives Wort dafür ist. Er strahlt eben nicht einmal etwas aus. Das – könnte man es drehen wie man wollte – aktuelle Problem in seiner Vergangenheit ist die Tomate an der Weste seiner geistigen Leere.
Ich konnte Wulff noch nie leiden, das gebe ich zu, aber von welchem anderen lebenden Politiker wollte ich etwas anderes sagen.
Es gäbe den Typus des geläuterten Politikers – in der Regel nach Vollendung seiner politischen Tätigkeit. Der hat das Spiel kapiert und kennt die Regeln, die Geschäftsordnung, die Politik-AGBs. Und dieser Typus konnte nur außerhalb des Parlaments wirklich politisch das vertreten, was er vor Ort nicht vermochte. Man möchte zu gern zurückblättern in Max Webers “Politik als Beruf”. Der hat übrigens in seiner Schrift “Der Reichspräsident” für die Wahl durch das Volk plädiert:
“Ein volksgewählter Präsident als Chef der Exekutive, der Amtspatronage und (eventuell) Inhaber eines aufschiebenden Vetos und des Befugnisses der Parlamentsauflösung und Volksbefragung ist das Palladium der echten Demokratie, die nicht ohnmächtige Preisgabe an Klüngel, sondern Unterordnung unter selbstgewählte Führer bedeutet.”2Max Weber: Der Reichspräsident. Max Weber: Gesammelte Werke, S. 10680, (vgl. Weber-GPS, S. 501) http://www.digitale-bibliothek.de/b…
Interessant liest sich “Politik als Beruf” vor allem durch die Beispiele zum Thema “für” und “von” der Politik leben. Am Status der beruflichen Tätigkeiten sieht man noch heute, dass sich zwar einiges in der Politik geändert hat, aber vieles eben auch nicht. Die Advokaten sind immer noch die stärkste Fraktion. Aber das schweift jetzt ab. Nur der Hinweis, dass ich die Sache Wulff nur aus der Ferne verfolgt habe, kein Fernsehen heute wg. Wulff. Warum auch?
Nicht vergessen werden sollte dabei, die eigentlich höchste Instanz der Politik ist nach wie vor zumindest theoretisch das Parlament. Wie groß dessen eigene Schwarmintelligenz ist, sieht man an den ganzen Gesetzen, die vor dem Verfassungsgericht zerbröseln, insbesondere bei den sogenannten “großen” Fragen. Kein gutes Bild insgesamt. Der Präsident unterschreibt nur die meisten Dummheiten.
Fussnoten:
- 1Es geht nicht mehr! Denn tatsächlich konnte die Öffnung der gesellschaftlichen Sprachrohre durch das Internet für viel mehr Wind sorgen, als es die alten Öffentlichkeiten hatten schaffen können. Man fühlt sich nicht mehr so ganz allein – mit seinen Klug- wie Dummheiten. Das große Gehirn recherchiert besser und schneller denn je.
- 2Max Weber: Der Reichspräsident. Max Weber: Gesammelte Werke, S. 10680, (vgl. Weber-GPS, S. 501) http://www.digitale-bibliothek.de/b…