Der Aufschrei war groß, aber das Gejammer blieb klein, als Marcel Reich-Ranicki die Annahme des Deutschen Fernsehpreise ablehnte: Vor einem teils ungläubigen Publikum, das sich in seiner glotzenden Einfältigkeit hinsonnte. Zaghaft schubste man den alten Mann von der Bühne mit dem Versprechen, öffentlich die Sache auszudiskutieren. Denn es gehe schließlich um Kultur und Bildung. Eine ganz erstaunliche Angelegenheit in dem sonst so komplett zur Verblödung tendierenden Medium, das Hans Magnus Enzensberger einmal ein Nullmedium nannte. Nur wurde nichts draus, aus der Diskussion. Aus einer Stunde wurde eine halbe, aus der besten Sendezeit wurde Freitag 22:30 Uhr. Das ZDF hat damit offensichtlich seinen Kultur- und Bildungsauftrag für das restliche Jahr erfüllt. Ist doch alles Bestens, zumal niemand ernsthaft geschädigt wurde.
Es gab ein kleines Strohfeuer der Zustimmung: Elke Heidenreich und Götz George fanden den Auftritt des Literaturkritikers voll korrekt. Auch sie hätten manches längst schon gesagt, aber nicht so richtig. In diesem Moment der eitlen Einsicht stand doch, potztausend, augenblicklich für einen Moment die Erde still. Dieser Aufruhr plötzlich. Bloß wegen des Fernsehprogramms? Wer diesen Dung sät, wird BILD ernten, mag man da entgegenhalten. Aber andererseits, mal ehrlich, wenn man sich noch im „echten“ Kulturbereich so umschaut, wer könnte denn guten Gewissens noch seine innersten Anliegen oder Ideen vertreten – der eine schaut aufs Geld, der andere auf die Attraktivität oder das Ereignis als solches und der letzte ist entweder sprechender Vertreter seiner Lobby oder hat es dann doch nicht gesagt.
Welche Seele wäre da nicht korrumpiert, und wer korrumpierte da nicht selbst andere immerzu? Krachlederne Wertefritzen stehen mittlerweile auch schon an jeder kulturellen Ecke, seien es Zeitungsherausgeber oder Showmaster; nur kennzeichnet sie nicht mehr der Kneifer auf der Nase sondern das Notebook und/oder das internetfähige Mobiltelefon. Sie scheißen sich und andere mit Kultur und Bildung – meistens hochprozentige selbstverständlich – nur so zu. Und dummerweise bleiben selbst dann noch genügend Blähgase, um auch den Rest der unmittelbaren Umgebung zu beweihräuchern. Der Fisch stinkt vom Kopfe, der Mensch vom Hirne her. Man merkt es nur nicht, da es (das Hirn) seine Position im Körper geändert hat.
Wir haben nicht etwa ein Problem mit zu wenig Bildung oder Kultur, sondern eines mit einem zu viel davon an der falschen Stelle verbreitet von den, im doppelten Sinne, falschen Menschen. „Frisch-fröhliche Verbreitung von Bildung unter den herrschenden Bedingungen ist unmittelbar eins mit ihrer Vernichtung,“ meinte Adorno einmal dazu. Das wären somit auch nicht die allerbesten Voraussetzungen für die Zukunft.