Um den Schlager scheint es nicht gut bestellt zu sein. Vor allem nicht um seine einzige noch real existierende Form, den deutschen. Wir brauchen wieder einmal jemanden, der sich dazu bekennt, öffentlich, lächelnd. Ja zum deutschen Schlager – mit dieser aufregenden Werbekampangne versucht sich der SWR in Baden-Baden und treibt zu diesem Zweck Landesväter (Beck – das SPD-Wunder), Landesmütter (Dagmar Berghoff – das Nachrichten-Wunder) und Landesfußballer (Horst Eckel – vom Berner Wunder) auf Bussen des öffentlichen Nahverkehrs durch die Straßen wie die sprichwörtliche Sau.
Dem werden sicherlich bald andere Anstalten öffentlichen Unsinns folgen mit einem beherzten „Ja zur deutschen Sinfonie“, einem „Ja zu deutschen Dirigenten“ – siehe dazu auch die aktuelle Ausgabe von „Crescendo – dem Klassikmagazin“ wo Claudia Elsässer sich mit Christian Thielemann und Daniel Barenboim zum „Deutschen Klang“ bekennt. „Ein Klang, der für etwas steht, für eine Sinnsuche und ein Sehnen, oder in Musik gesprochen, für das formal geordnete Emotionale,“ schreibt da Claudia Elsässer und meint dabei nicht den Deutschen Schlager, für den genau dies auch zuträfe. Um eine angeblich notwendige Entschleunigung geht es dem Schlager wie der Thielemann-Exegetin. Aber eigentlich geht es um eine Art Komplexitätsflucht, um die Remuffisierung der Gesellschaft: ästhetisch, pathetisch, gut. Fehlt nur das Bekenntnis „Ja zu deutschen Raketen“ im wagnerisch-deutschen Soundtrack.
Martin Hufner [Quelle: nmz 4/2007]
Bleibt nur nachzutragen, dass ich darauf sogar einen Leserbrief erhalten habe, den ich freilich anonymisiert nachtragen möchte:
Sehr geehrter Herr Hufner,
aufgrund Ihrer Promotion verspreche ich mir ehrlich gesagt anspruchsvollere Vergleiche, Schlussfolgerungen, Gegenüberstellungen, Übersteigerungen. Auch Ironie könnte etwas höher im Niveau angelegt sein. Ich kenne sicherlich 30 Ihre Texte. Das Foto mit Herrn Beck und Ihre Cluster-Sätzchen habe ich gerade kennen gelernt.
Ihre Gedanken zu Frau Elsässer (nmz 4/07) haben Sie eigentlich nicht verdient. Ein Zitat zu nehmen “… Klang, der für etwa steht …”, und dann irgend eine Volte anzufügen, was dieses Zitat nicht ist (“deutscher Schlager”) und dann zu steigern, was noch fehlte, nämlich “deutsche Raketen”, ist billig. Um Thielemann, Raketen, Dagmar Berghoff und Wagner in einem Text unterzubringen, braucht es mehr als Schülerzeitungs-Satzbau.
Ihr primitives, permanentes antikapitalistisches Gestammel in der nmz nahm so überhand, dass ich mittlerweile Hopfen und Malz für verloren halte.
Nehmen Sie es persönlich, ich glaube, Sie hätten mehr drauf.
Beste Grüße
[Name bekannt, aber nicht verifiziert]
Man weiß ja nicht, ob man sich nun freuen oder schämen soll. Ich, Antikapitalist? Ich wäre was froh, wäre die Welt so einfach und man stellt sich da hin oder dort hin und weiß, wo, wie im ersten Weltkrieg der Feind sitzt. Wen ich aber ausdrücklich verteidigen möchte, das sind die Schülerzeitungen. Denen mein mäßige Niveau anzudichten ist nun wirklich die Frechheit schlechthin. Wobei mir, neben anderen Dingen, nicht klar ist, wie denn Schülerzeitungs-Satzbau geht. Im Duden wurde ich disbezüglich nicht fündig und nicht einmal Google hat dazu eine Bemerkung übrig. Ja, nicht einmal einen Vorschlag, was man vielleicht habe gemeint haben wollte.
- Erschien zuerst in der nmz 2007/04 – ergänzt in “Angriff auf die Urteilskraft“