27. Dezember 2024 Alles muss raus!

Bildungshopping

Cluster heißt eine Rubrik in der neuen musikzeitung. Seit Jahren schreibe ich da Monat für Monat was rein. Mal lustig, mal ernst: meistens beiderlei Art. Bildungshopping, Eventhopping, die ganze Gesellschaft steht unter Erziehungsdruck. Aus vielen Bereichen bekommt man mit, wie Sitten verfallen, wie auch die simpelsten Formen des koordinierten Miteinanders nicht mehr von Freundlichkeit geprägt sind. Vielleicht waren sie es ja ohnedies nie und der Blick zurück ist mittlerweile so verstellt, wie man ihn früher an den eigenen Eltern wahrzunehmen meinte. Das ist schwierig und unklar zu bewerten.

Adornos Begriff der bürgerlichen Kälte, der auch gerade früher Menschen dazu verleitet hat, sich über die Grenzen körperlicher Unversehrtheit anderer hinwegzusetzen. Noch sind die Wunden in Europa nicht vergessen, wo auch seit den 90er Jahren Menschen andere als Unmenschen behandelt haben. Nicht der 11. September hat die Welt zu Ungunsten verändert. Die Welt insgesamt hat dies gemacht. Aber ob dies eine Frage der Bildung – und zwar eindeutig nicht in dem Sinne, wie sie Schiller in seinen Briefen zur ästhetischen Erziehung fasste –, sondern viel banaler einer Bildung wie man sie übt in physikalischer, mathematischer, grammatikalischer aber musikalischer einübt, deucht mir doch sehr zweifelhaft. Aber man vertraut darauf. Meines Erachtens geht dies nicht. Diesen Erziehern aus der Musikbildung gilt der Cluster für den März 2007. Vor allem, die Hoffnung, dass man es so richten könne, scheint mir mehr als verfehlt.

Eventhopping
Horden von Musikpredigern überfallen – mit Djs, Rappern oder Amadeusmasken bewaffnet – in letzter Zeit Schüler und Lehrer, gerne sogenannte Brennpunktschulen. Rapzack, Knackibuntisimpel. Im Visier hat man man in diesem Schulprekariat natürlich längst nicht mehr die vielzitierten Käufer und Kunden von morgen. Wozu der Umweg, einfacher ist die Überführung von Menschen selbst in Produkte und umgekehrt die Ausstattung der „Marken“ mit menschlichem Antlitz. Es geht also um die – computerdeutsch gesprochen – Defragmentierung und Neuformatierung von Menschenhirnen und -sinnen. Willige Vollstrecker gibt es genug. Andere bekommen ohnehin feuchte Hände, wenn sie nur das Wort Bildung (egal wie, Hauptsache dass) ausspricht. Und Geld ist für so etwas immer aufzutreiben, solange es Event bleibt, den Sachen dient und keine Folgen für den Verursacher hat. Erst Event-Kultur, jetzt Bildungshopping. Alles wird angehübscht und dann macht man sich wieder aus dem Staub. Bildungspolitischer Hilfstourismus ist das so wie der Dom-Rep-Tourismus auch Entwicklungshilfe ist. Aber das kommt stark rüber – zumindest nach außen. Erziehung zur Selbstentmündigung? Ist doch egal, Hauptsache Erziehung.(Erschienen in nmz 3/2007)

Überhaupt ist das Vertrauen auf Bildung als Lösungsmittel gesellschaftlichen Zerfalls bedenklich. Mindestens zwei Beispiele aus dem letzten Jahrhundert fallen mir, die genau belegen, wie Erziehung zur Selbstentmündigung entscheidend geführt hat. Erziehung ist zwar auch Gewalt, aber ihre Substanz ist eine Sache der Herzens. Nur Herzensbildung ist im engeren Sinn (und auch im weiteren) nicht lehrbar. Sie vermittelt sich gewaltlos aus sich heraus. Dazu muss aber etwas das. Das kann man nicht herantragen, oder zumindest nur in ganz wenigen Fällen.

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8 Kommentare

  1. Ein wenig Geschichte.
    Ein wenig Geschichte. Gerhard Rohde und ich dachten uns 1974 eine musikalisch-politische Freizone innerhalb unserer Zeitschrift, (der nmz:) http://www.nmz.de aus, die dem Fettarschanschlag auf Klaviertasten ebenso schriftlich entsprechen durfte wie dem kettensägen-angemessenen Versuch, Harfensaiten zu durchtrennen, immer im Bewusstsein, dass neue Klänge nur besser sein können als die alten. Wir tranken viel Bärwurz und Bock, elenden Persico nicht zu vergessen. Wir tranken uns Mut an. Und handelten. Wenn wir gewusst hätten, dass dereinst ein derartiger Schleimwinsler wie Hufner, Buster, Plapper, Wurzelsepp (hinter was für Pseudos verbirgt sich dieser Schlappschwanz eigentlich noch???) solchen Freiraum je für derartig egomanisch-abartige Selbstlos-Reflektionen nutzen würde, hätten wir viel mehr Bärwurz getrunken.
    Schwört: Theo Geißler

  2. Aber ob das die Sache hätte
    Aber ob das die Sache hätte besser gemacht? Dann hieße die Rubrik doch eher wohl Bläh-Wutz oder Klatser.

    Ich muss es wiederholen: Nicht nach 10 Uhr abends kommentieren, Geißler, nicht nach 10 Uhr nachts kommentieren. Und immer in den Rückspiegel schauen beim Überholen.

    Machen Sie doch Ihr eigenes Weblog auf: http://kultur-kritik.de/blogs/ (im Testbetrieb)

  3. Das Problem beim
    Das Problem beim Mutantrinken ist ja bekanntlich, aber das ahnt Theo Geißler längst, dass man schnell mal ein paar Bärwurz zuviel getrunken hat und der ganze angetrunkene Mut schwappt einem dann als Wortdiarrhö über die Unterlippe, da gibt’s partout kein Halten mehr.

  4. Ja, Wurzelbuster. Man kann
    Ja, Wurzelbuster. Man kann es so sehen. Aber mit ein bisschen Bärwurz intus kann man es sogar als schelmische Adresse auffassen. Man muss es nur gegen den Strich lesen, dann passt es alles wieder.

  5. Also dr. hufner, klang mein
    Also dr. hufner, klang mein Kommentar so böse? War jedenfalls augenzwinkernd gemeint und falls von ‘Wortdiarrhö’ Missklang ausgehen sollte: Zu diesem Zustand bekenne ich mich seit der Frühpubertät.

  6. Lieber Herr Dokter, muss ich
    Lieber Herr Dokter, muss ich erwähnen, dass ich einfach manchmal dumm bis dreist zu wähnen mich scheine.

    Ich werde hier niemandem irgendwas empfehlen, außer nach 22 Uhr nicht zu posten, außer Sie/Du Dokter.

    Himmelarschundzwurn. Wenn das jetzt so weiter geht, werde ich ganz echt, Zeile für Zeile Luhmann interpretieren, aus Sicht der dialektisch-materialistische Postkommune heraus.

    Heute kann man nicht einmal mehr richtig verzweifeln, das ist zum Verzweifeln. Aber echt.

  7. Verzweifeln im Inter-Netz?
    Verzweifeln im Inter-Netz? Aber woher denn! (Aber bitte kein Luhmann).
    „Nicht verzweifeln. Auch darüber nicht, dass du nicht verzweifelst.“ [Franz Kafka]

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