Der Fall, Diagnose und Anamnese: Ein mittelalter Mann leidet seit einigen Tagen unter Fnunpfen mit zeitweiliger Hei
Der Fall, Diagnose und Anamnese: Ein mittelalter Mann leidet seit einigen Tagen unter Fnunpfen mit zeitweiliger Heiserkeit, die bis zur fast vollständigen Sprachunfähigkeit reicht. Damit verbunden Kopfschmerzen unter der Schädeldecke mit drückenden Impulsen sowie leichter Schwindel und insgesamter Verlangsamung der Tätigkeitsmöglichkeiten. Der nächtliche Schlaf sei ungemütlich und apltraumhaft begleitet. Das behauptete Fieber und der Schüttelfrost konnten mit Mitteln fortschrittlicher Temperaturermittlung aber nicht bestätigt werden. Der Mann behauptet, er habe sich diese Erkrankung beim Besuch eines Hals-Nasen-Ohren-Arztes zwecks Ohrtest geholt.
Empfehlung und Therapie: Ich empfahl dem Mann neben konservativen Mitteln wie Nasenspray und Kopfschmerztabletten mit Wirkstoff ASS (nachdem er mir mehrfach versicherte, er habe einen gut arbeitenden Magen und Darm), abends als progressive Mittel a) viel zu ruhen und b) eine Hünhnersuppe zu probieren. Über Erfolge mit dieser Methode berichtete unlängst Tante Dokta Pepa. Die Selbsttherapie des Mannes mittels Auflegens einer CD mit Schönbergs „Moses und Aron“ führt jedenfalls nur zu weitere Unruhe. Ebenso die von außen in dieser Situation an ihn herangetragenden Aufgaben wirkten eher krankheitsverschärfend. Dagegen schien eine gewisse Heilwirkung vom Hören des Streichquartetts Jean Sibelius’ „Voces intimae“
Resultate: Die konservativen Mittel haben die Symptome gut bekämpfen können, so dass die Bettruhe insbesondere am dritten Tag der Behandlung einigermaßen anschlugen. Interessanter war jedoch die Schilderung des Mannes, was die Hühnersuppe angeht. Er nahm die Suppe, nicht wie empfohlen am Tisch oder im Bett ein, sondern setzte sich dazu an den Schreibtisch und sah dazu schlechte Comedy-Serien in SAT1. Bei Essen passierte es, dass er die fast noch Schüssel in einem unachtsamen Moment über den Schreibtisch verschüttete. Dabei wurden zahlreiche Fernbedienungen, Quittungen und Telefon sowie ein Mousepad in Mitleidenschaft gezogen; ebenso die Notizenkladde. Nach seinen Worten, die ich für leicht übertrieben hielt, schwamm der Schreibtisch in der Suppe. In gewohnt langsamer Weise habe er sich dann Hand-, Haushalts- und Taschentücher besorgt, um das Schlamassel zu beseitigen. In diesem Zusammenhang berichtet mir der Mann dann etwas Ersatunliches. Innerhalb weniger Sekunden sei sein Kopf wieder klar gewesen, die Kopfschmerzen waren wie weggefegt. Das Gehirn zeigte sich plötzlich wieder klar und frei, so dass er sogar wieder Texte schreiben konnte.
Interpretation: Eine Interpretation dieser plötzlichen, wenn auch nicht dauerhaften Heilung fällt nicht leicht. Aus meiner reichhaltigen Praxis ist mir ein deratiger Fall nicht bekannt. Meine Vermutung ist die: Der Mann hat sich so sehr über sein Ungeschick geärgert und seine Dummheit und Inkonsequenz geärgert (er erzählte, dass er seinen Kinder strikt untersagt, Essen zum Beispiel am Schreibtisch einzunehmen oder auf Sofa oder im Laufen), dass ein schmerzminderndes Mittel, körpereigen, ausgeschüttet wurde, damit er diesen misslichen Zustand habe ertragen können. Ansonsten hätte er vor Ärger schlicht die Wände hochgehen müssen, sich selbst laut beschimpfen (ging wegen Heiserkeit nicht). Glückshormone dürften dafür nicht infrage kommen, vielleicht aber Sprung- oder sogenannte Unglückshormone, eine bislang völlig unterschätzte und unbekannte Hormonsubstanz. In der Literatur wird ein ähnlicher Fall nur an einer Stelle beschrieben. Ingomar von Kieseritzky erwähnt in „Die ungeheuerliche Ohrfeige oder Szenen aus der Geschichte der Vernunft“
Unser tapferer Freund hatte Tränen in den Augen. Die Kurzsichtigkeit von Kadmos mußte wesentlich schlimmer sein. Wir begriffen, daß Gehirne größere Organe sind als Zahnfleisch oder Zähne; zudem soll das Gehirn selbst schmerzunempfindlich sein; was hat es nicht alles auszuhalten an Gedanken. (S. 51)
Analyse: Natürlich machte ich mir sofort Gedanken, ob man dieses Phänomen nicht versuchstechnisch durch klinische Beobachtungen und Untersuchungen operationalisieren könnte. Aber, wie soll man Ungeschick versuchstechnisch herbeiführen, zumal es mit ganz spezifischen Lebenserfahrungen verbunden ist. Sicher könnte man Menschen so überfordern, dass sie zwangsläufig Ungeschicke hervorrufen. Das wäre aber nicht das Gleiche. Andererseits gibt es in der Gesellschaft so viel Ungeschick und Dummheit, dass damit alle kleinen Erkrankungen des Kopfschmerzes und der Unkonzentriertheit damit verschwinden müssten. Das ist aber offenbar nicht der Fall. Zu fragen ist daher, ob nicht die üblichen Methoden der Diagnostik und Therapeutik hiermit an eine Grenze stoßen, die nicht mehr mit herkömmlichen Mitteln zu erfassen sind. Schon unser Beispiel wirft auch methodische Fragen auf. Ist wirklich das Ungeschick und er Ärger darüber überhaupt ursächlich für die Spontanheilung? Könnten es nicht die zwei Löffel Hühnersuppe gewesen sein, die der Mann vor dem Ungeschick noch einnehmen konnte; oder die zwei Stunden zuvor eingenommene Schmerztablette oder ein zwischenzeitlich geführtes Telefonat mit der Liebsten?
Die Fragen der Validität und die Unmöglichkeit der Reproduzierbarkeit des genannten Phänomens lassen keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu. Aber gilt nicht andererseits die therapeutische Binse, dass, wer heilt, Recht habe?