Auch hier ein Todestag — allerdings einer, der noch kommt , vor 60 Jahren, am 15. September, wurde Anton Webern erschossen. Ein dummes Unglück nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Webern war nach Mittersill gereist. Dort hielt es sich bei seinem Schwiegersohn auf. Der war offenbar ganz gut in Schwarzmarktgeschäfte verstrickt. Es war Besatzungszeit und es gab Ausgangssperre des Abends. Von seinem Schwiegersohn erhielt Webern eine Zigarre, auf die er sich wahrscheinlich sehr gefreut hatte. Er wird als leidenschaftlicher Zigarrenraucher beschrieben. Also eine Zigarre, nach langer Zeit. Was dann passierte, beschrieb Wilhelmine von Webern so:
Um 21.45 Uhr (genau) sagte mein Mann, daß wir bald nach Hause gehen müßten. Er wollte eine Zigarre rauchen, die er am selben Abend von seinem Schwiegersohn erhalten hatte. Er sagte, daß er nur einige Züge rauchen wollte und außerhalb des Zimmers, damit er die Kinder nicht belästige. Das war das erste Mal, daß er das Zimmer verließ. Mein Mann war nur 2-3 Minuten außen, als wir drei Schüsse hörten. Ich war sehr verängstigt, aber dachte nicht, daß mein Mann in irgendeiner Weise verwickelt sein könnte. Dann wurde die Türe zu unserem Zimmer von meinem Mann geöffnet, der sagte: ‘Ich wurde erschossen.’ Zusammen mit meiner Tochter legte ich ihn auf eine Matratze und öffnete seine Kleider. Mein Mann konnte noch die Worte sagen ‘Es ist aus’ und fing an, die Besinnung zu verlieren. Ich sah nur eine Wunde an der linken Seite seines Bauches im Magen.
Man mag die leicht launige Einleitung hier verzeihen. Anton Webern ist ein Komponist, der eine wirklich ganz eigene musikalische Poetik entworfen hat. Eine komplex reduzierte Musik, die wie eingekocht wirken mag. Zweifelhaft berühmt wurde er später in den 50er Jahren, als sich zahlreiche Komponisten auf ihn zurückbezogen haben. Webern als Vorläufer der seriellen Musik. Wolfgang Martin Stroh hat dies als nachträgliche historische Legitimation ausgewiesen. Aber darum soll es nicht gehen. Auch Adorno hat etwas dazu verfasst:
Reduktion, solange sie nichts als Sparsamkeit wäre und keine Reduktion von etwas, von Fülle selber, käme auf klappernde Armut heraus. Webern überragt seine posthumen Nachfolger, weil hinter der Askese das Fortgelassene spürbar bleibt, ein Üppiges, das in seinen ersten Arbeiten noch durchscheint.
[Band 16: Musikalische Schriften I-III: III Finale. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 13291 (vgl. GS 16, S. 425)]
Oben rechts sieht man die Umschlagseite einer Sammelpartitur der Orchesterwerke Webern. 1983 publiziert in der UdSSR, zweisprachig (russisch-ukrainisch). Meine Eltern waren so lieb, mir diese Partitur von einer Bildungsreise nach Leningrad mitzubringen. Das war viel billiger, als die Werke hier von der Wiener Universal Edition zu beziehen. Ich will einen kurzen Blick auf sein „Konzert für neun Instrumente op. 24“ werfen. Nur die ersten Takte.
Leider eignet sich dieser Anfang zu gut für didaktische Zwecke. Es handelt sich um ein Werk der sog. Zwölf-Ton-Musik. (Details zu deren Verfahren will ich mir ersparen, sie führen meist nicht weit und lenken meistens dazu noch von der Musik selbst ab.) Gleichwohl ist hier alles wie unmittelbar vor die Nase, vor das Auge vor allem und ein bisschen vor das Ohr geführt.
Die ersten drei Takte pointieren die zwölf Töne der verwendeten Reihe als aus vier Dreitongruppen sich zusammensetzend, die sich leicht überlagern an Anfang und Ende. Untereinander stehen sie in recht einfachen Bezügen von Umkehrungen der Intervalle. Die ersten beiden Gruppen sind auch im Tempo wie die zweiten beiden im Verhältnis 1:2 angelegt. Optisch korrekt, wäre nicht da noch das ritardando am Ende des zweiten Taktes, also eine minimale Verlangsamung. Das ganze ist auf vier Instrumente aufgeteilt, vier Stimmfarben. Das ganze geht dann rückwärts weiter im Klavier.
Das alles könnte man ansehen wie eine vollkommen schematische Anlage, in der neben den Tonhöhen jetzt auch Tondauern und Spielweisen (legato, martellato ) organisiert sind. Man könnte meinen er schreibt: Seht her, aus diesem Vorrat mache ich jetzt den Rest, alle Zutaten sind jetzt bekannt. Webern gibt dazu in seinen Schriften auch viel Anlass, wenn er von Urzellen spricht. Aber wo ist die Urzelle wirklich. Genauso gut könnte man sagen. Alles liegt an den ersten drei Tönen. Denn der Rest ist auch nur musikalische Ableitung aus diesen drei Tönen. Solches Denken ist der Zwangslogik geschuldet und geht an der Musik vorbei. Denn sie ist eben doch beides. Statik und Dynamik, Sein und Werden. Und Abweichung, wie einerseits das die Verlangsamung durchs ritardando anzeigt und auch die Dauernumkehrung (Krebs) im Klavier anzeigt (was noch in der Klarinette Triolen-Viertel sind, wird im Klavier in Ton-Pause-Kombination umgedacht. Das alles passiert derartig geschwind zumal, dass man fast keine Zeit hat, es zu bemerken. Gerade mal acht Sekunden. Und das Stück hört damit ja nicht auf, sondern fängt damit an! (MP3 – 137 KB)
Und auf eine gewisse Weise endet der erstes Satz des Konzertes auch so. Er bezieht sich ausdrücklich auf den Anfang, den er aber eigentlich sehr traditionell finalisiert. (MP3 – 206 KB)
Wie dann in den wenigen Takten zuvor eine geradezu dramatische Steigerung erzeugt wird (MP3 – 210 KB) hängt zwar immer noch an der Ursprungsidee. Doch die reine Dreitönigkeit wird quaternär im Klavier konterkariert. Die Dichte des Stücks nimmt zu, auch wenn das Tempo eigentlich verlangsamt wird. Musik wird quasi gegen den Strich gebürstet, es wird ihr etwas abverlangt, was sie nicht kann. Es hat etwas von einer akustischen Täuschung, ähnlich wie bei den Bildern Eschers die optische. Einerseits gibt es die Verdichtung durch Tonverdichtung, und im zweiten Schritt durch Tonspreizung. Dazu trägt natürlich wieder ein akustisches Phänomen auch bei, das in der Partitur optische nicht so auffällt: Die Flatterzunge in der Querflöte.
Insgesamt wirkt dieser Satz auch deshalb merkwürdig zerissen, weil die disperaten Klänge der Einzelinstrumente sehr scharf voneinander abgegrenzt sind. Das hat etwas von einem Puzzle, bei dem die Teile nicht so ganz zusammenpassen. Optisch gesehen könnte es passen, vom Motiv her, aber die Schnittstellen der Klänge haken nicht ineinanderein. Auch das aber ist wieder in den ersten fünf Takten genau ausgeführt. Es geht und es geht nicht.
Das Konzert für neun Instrumente op.24 als ein unmögliches Stück Musik, das Klanggestalt angenommen hat.
Nachtrag: Das lag mir auf der Zunge. Selbst im Sterben hat Webern diese Dreitönigkeit in Worten nicht aufgegeben:
„Ich wurde erschossen.“ (nach Worten 3, nach Silben 1-2-3) und
„Es ist aus.“
Auch hier noch, sozusagen in letzter Sekunde, eine Reduktion und Komposition beim Sterben.