22. November 2024 Alles muss raus!

Anhalten: Beethoven, Schubert, Wagner – Emanzipation des Stillstands

Manchmal gerät Musik an Stellen, da sie anhält. Aus dem Fluss heraus, manchmal auch, um eine Ende anzudeuten. Sie steht scheinbar auf der Stelle und muss haushalten mit wenig. Bei des vorgestrigen Hörlektüre fiel mir eine Stelle in Beethovens Klaviersonate op. 110 auf. Der letzte Satz besteht aus rezitativischen Teilen und agilen Fugatopassagen. An sich ist das eine unfreuliche Verquickung. Das Redende, aber da ja ohne Text, sprachlose Singen einerseits und das formal konstruktive ohnehin sprachlose des Fugato wird miteinander verknüpft. Akkord-Repetitionen liegen irgendwann dem flüssigeren Rezitativ unter.

Am Ende der zweiten Rezitativpassage steht eine schlichte einstimmige Kadenzfolge nach G-Dur. Hörbeispiel Beethoven.

Eigentlich erwartet man, obwohl man es nicht hören kann, g-Moll — wie bei der ersten Kadenz am Ende es ersten Rezitativs. Dieses G-Dur ist, anders als beim ersten Mal, gleich als Akkord angelegt. Aber die Überraschung ist nun einmal da und Beethoven überrascht gleich weiter: Der Akkord wird einige Male wiederholt, lauter werdend und tonlich ergänzt. Eine Steigerung mit einer Zurücknahme. Die Bekräftigung ist in der letzten Akkordbrechung dann ausgelaugt. Es geht eben nicht weiter, aber es muss. Die Musik steht still und macht doch Bewegung. Nahtlos dann der Übergang in den letzten Fugato-Teil, einer recht monströsen Angelegenheit.

In Schuberts großer C-Dur-Sinfonie gibt es eine Stelle an der etwas ähnliches vorgeht. Im langsamen Satz wird das lyrisch-hymnische große zweite Thema am Ende ganz vorsichtig zurückgefahren. Auch hier landet Schubert in einer Art musikalischem Niemandsland. Die Musik steht. (Hörbeispiel Schubert)

Und die Musik kreist gleichzeitig in sich. Es hat etwas von einem Strudel, nur ohne die Heftigkeit. Nichts wird hinabgezogen, nichts wird hineingezogen. Man weiß einfach nicht, wo die Musik hin will. Der Hornton ist beständig der gleiche, während die Streicherakkorde nach links wie nach rechts ausweichen. Die Funktion hier ist anders. Der Aufenthalt zögert die Kadenz heraus, die zurück zum ersten Thema führt. Die hymnisch-lyrische Thematik hat in sich zu viel Weichheit, soviel Wärme ausgeströmt und besteht zugleich eigentlich aus lauter offenen Miniaturkadenzen, diesem Zweitonmotiv. Es scheint, als müsse es aufgefangen werden, aber doch wie auf unsicheren Boden gestellt.

Ein letztes Beispiel: Richard Wagners Siegfried-Idyll. Dieses an sich schon nicht gerade überwältigend lebendige Stück Musik kommt nach dem ersten Drittel ins tiefe Stocken. Auch hier sind es wieder Ton- oder Akkordrepetitionen. Solche die immer löchriger werden. (Hörbeispiel der Klaviertranskription)

Eigentlich könnte man dies als Eingeständnis des Unvermögens in die musikalische Perspektive sehen. Ja, was soll ich denn hier ansetzen. Ist erst einmal die Repetitionspassage losgetreten, dann führt sie unweigerlich ins Nirgends. Und so sieht es Wagner wohl auch. Je länger die Repetitionen andauern, desto ungewisser ist ihr Auftreten. Noch einmal? Noch ein Akkord? Plötzlich werden die Pausen zwischen den Klängen redend, füllen sich mit der Spannung von Ungewissheit. So etwas kann man aber nur einmal machen. In den nachfolgenden Wiederholungen des Schemas werden die Pepetitionspassagen verkürzt. Man mag diese Hörerfahrung gleichwohl hinüberretten. Es ist wie eine Einübung in dieses weitgehend leise Musizieren des Stücks, welches wirklich nur selten aufmuckt. Ich persönlich habe weder später noch früher jemals so intensive musikalische Pausen gehört. Das ist Wagners Emanzipation der Stille.

 

 

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