Andererseits, ja andererseits, wird die Rotation von Musik nur durch die Rotation von fehlendem Herz und Hirn ersetzt. Man wiederholt Big Brother und füllt den Rest mit anderem Trash (das deutsche Wort Müll ist noch zu vornehm) aus. Sind die Schlüpper der Susi wirklich pinkfarben, wer scheißt am schnellsten, wie werde ich ein Star, wo gibts die nervigsten Klingeltöne? Wir haben damals ja noch Klingelstreiche gemacht und Zahnpasta unter Türklinken platziert und legen uns heute einfach eine gepflegte Brahms-Sinfonie auf den Plattenteller. Was heute den Jugendlichen per Fernsehen zugemutet wird, das hat eine andere Qualität. Aber haben sie denn die Wahl? Andere suggerieren ihnen doch auch nur, dass ein Bausparvertrag eben gerade nicht uncool ist und dass zugleich weder Rente noch Gehalt noch Gesundheit sicher sind. Wo Perspektiven fehlen, bricht die Panik aus. Panik ist aber kein guter Ratgeber. Die Online-Enzylopädie Wikipedia über Panik: Panik ist ein akuter, extremer Angstzustand als Reaktion auf eine tatsächliche oder scheinbare Bedrohung, der archaische Notfallprogramme im Gehirn aktiviert. Besonders gefährlich sind Massenpaniken, beispielsweise bei Feuersbrünsten, da die Selbstkontrolle bei vielen Menschen gleichzeitig versagt und somit Schwächere blindlings niedergerannt werden. (Und für alle Kulturbeflissenen: der Begriff Panik leitet sich vom griechischen Hirtengott Pan, ja genau der mit der Panflöte, her.)
Noch befinden wir und unsere privaten und öffentlichen Insititutionen uns am Rande des Zentrum dieses medialen und gesellschaftlichen Panikzyklons. Noch ist es fast ruhig, noch.
Martin Hufner
Aus: neue musikzeitung 12/1-2004/05 — Cluster
Siehe auch: Janko Röttgers, Furzen statt Fast Forward