26. Dezember 2024 Alles muss raus!

Bitten der Kinder

Kinder in Nauen

Man ist schnell als Wessi-Tourist enttarnt. In Nauen (bei Berlin) durchstreifte ich den Ort, blickend nach rechts und links und in Höfe hinein. Trostlos damals 1993. Dann zwei Kinder in den neuen Uniformen des Westens. Sie wollten regelrecht foddefiert werden. Selbstbewusst irgendwie und auch verschämt stehen sie da und schauen den dummen Onkel (den alten August) mit dem Foddeapparat an. Wer beobachtet da wen? In den 50er Jahren hat Paul Dessau einmal einen Text von B. Brecht eingemusikt. „Bitten der Kinder“ hieß das Stück und der Text [mp3 – ca. eine Minute – 850 KB]. Der Nacheindruck des Krieges ist nicht zu übersehen und zu überhören; und auch die zarte Hoffnung auf eine andere, bessre Zeit. Die Musik bleibt dabei aber keinesfalls einverständlich positiv oder sonstwie jubilierend. Im Gegenteil, sie ist gebrochen, dünn, faserig. Sicher der Gesang der Kinder macht das alles weicher wie auch die dünne tatsächlich brechende Begleitung durch die Harmonieinstrumente.

Ich frage wieder: Wer beobachtet da wen? Das Gefühl kommt mir wieder hoch wie damals. Der böse Wessi, der sich in den Osten vorwagt, an eine Stelle, an der er nie zuvor war. Blicke müssen aus den Fenster kommen und von den Menschen auf der Straße (sofern vorhanden): „Der will eine Rückübertragung, dieses Schwein.“ Ich konnte das gut verstehen, zumal wenn man mit Foddeapparat bewaffnet war. „Wie mag wohl der bauliche Zustand meiner alten Behausung gewesen sein. Lohnt sich die Entschädigung?“

Als Zonenrandkind hat man da ein gewisses letztes Gespür, auch wenn man verschwippte Verwandte drüben hatte, kleiner Grenzverkehr und so.

Wer beobachtet da wen?

kritische masse newsletter

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

10 Kommentare

  1. „Guck ma, n Wessi! Wie

    „Guck ma, n Wessi! Wie sieht der denn aus.“ und „Guck ma, n Ossi! Wie sieht der denn aus.“ Die ersten Reaktionen waren auf beiden Seiten wohl identisch. Auf der ostdeutschen Seite überwiegt bis heute ein (unterschwelliges) Gefühl der Minderwertigkeit/Unterlegenheit, auf der westdeutschen Seite das der Überheblichkeit. Anwesende ausgeschlossen. Wie lächerlich die Vorstellung, innerhalb kurzer Zeit eine „Angleichung“ herbeizu „politisieren“. Wir werden es wohl nicht mehr erleben.

  2. Als ich Anfang der 70er in

    Als ich Anfang der 70er in Altenburg war, sind wir dorten eenkoofen gegangen (unter anderem meine 1. Gitarre). Als wir aus unserem feuerroten Auto ausgestiegen (die Farbe gab’s ja inne sone nich) waren, kasm eine Horde Kinder daher und bettelte uns um Westgeld an. Fand ich damals irgendwie erniedrigend. So hatte ich mir die Kindheit im Sozialismus auch nicht vorgestellt. Jetzt haben sie ihr bescheuertes Westgeld, aber das passt vielen auch wieder nicht.

  3. Kleine Anmerkung: die

    Kleine Anmerkung: die Dialektausdrücke „dorten“ und „eenkofen“ würde ich eher in der Oberlausitz ansiedeln und nicht in Altenburg. In der Oberlausitz gibt es auch eine einzigartige Steigerungsform des Wortes „anders“: „anderscher“. Wobei man hinzufügen sollte, dass dort auch schon ein Dresdner „anders“ ist 🙂

  4. Zu den bettelnden

    Zu den bettelnden Ossikindern: Haben Sie den Film Sonnenallee gesehen? Erinnert sich jemand an die Bettelszene? Das käme zumindest meiner Erinnerung näher als Zonenkinder, die Wessis anbetteln.

    Es gab wohl kaum DIE Kindheit im Sozialismus – nicht einmal dort.

  5. Meine Omma und mein Oppa

    Meine Omma und mein Oppa waren aus Nobitz und Wilchwitz, unweit von Altenburg und die haben beide immer einkoofen (mit weichem k, also eigentlich g) gesagt. und meine omma hat vor ihrem geburtstag zu uns kindern gesagt: „koooft nischt, irschendwann gommts alles uffn müll.“ und mein oppa darauf: „geh nur weg!“

  6. Gut, das Wort ‘koofen’ ist

    Gut, das Wort ‘koofen’ ist in Sachsen und Thüringen wirklich weitverbreitet. Aber das Wort ‘dorten’ ist IMHO wirklich lokal begrenzt. Ich verkneife mir jetzt, „scheene Weihnachten“ zu wünschen. 🙂

  7. Nü? Wo sinnmerdenn hür?

    Nü? Wo sinnmerdenn hür? Das gonnde isch gor nüsch oahne? Mei libber Herr Gesangsverein. Ebenfalls scheene Dingens allesamt!

  8. der kleine junge heißt mit

    der kleine junge heißt mit nachnamen „albrecht“
    ging mal in meine klasse
    die Käthe-Kollwitz-Grundschule sieht man im hintergrund .. links

    der platz auf dem er steht ist der martin luther platz .. rechts neben ihm ist die Jakobikirche naja nur so am rand … ^-^

  9. bitten der kinder
    hey hallo,

    ich arbeite gerade an einem schulprojekt zu brecht und bin auf der suche nach dem lied “bitten der kinder”. der link auf deiner page funktioniert leider nicht! kannst du ihn bitte überprüfen? ansonsten kann ich das lied nirgendwo downloaden…

    danke!!
    jule

  10. Download alle

    Ja, der Link geht ins Leere. Aber leider geht das nicht anders, denn das Stück ist natürlich urheberrechtlich geschützt. Gute Bibliotheken, nette Nachbarn etc. sollten aber im Besitz von Noten und Musikaufnahmen sein.

    Im Brecht-Liederbuch aus dem Suhrkamp-Verlag sollte es enthalten sein. Das kann manch ein Service bis Freitag liefern, vermutlich sogar ein Buchhändler (wenn es ihn noch gibt) um die Ecke. Schwer zu spielen ist das stück nicht.

Kommentare sind geschlossen.