Leicht kann ein Name wie Johann Sebastian Bach verschrecken. Weil man ihn gerne musikalisch in so große Höhe setzt, dass die Musik nicht wieder herunterfindet, oder weil man den perückigen Mann mit seiner Musik einfach als altes Zeug abtut. Kommt dann noch ein religiöser Stoff hinzu — man ist doch aufgeklärt und nur arme Seelen glauben so einen Kram — dann sperrt sich die Musik wie von selbst aus.
Es kann auch anders gehen. Mir öffnete ein, wie soll ich sagen ohne ungerecht zu sein, na trotzdem, ein musikalischer Marxist die Ohren für die Musik Johann Sebastian Bachs. Das geschah mit Hilfe der Matthäus-Passion und einer ganz besonderen Stelle darin. Kurz nach dem Verrat Jesu durch den Kuss des Judas wird er festgenommen. Dann kommt eine große Musik (Ausschnitt):
Das ist eine Aria mit Sopran, Alt und Chor. Sopran und Alt singen, sich melodisch umschlingend:
So ist mein Jesus nun gefangen
Eine jammervolle, mitleiderregende und trauertragende Art des Singens. Das Gebundenwerden ist auch musikalisch evident durch die gegenseitige Verschichtung der Melodien von Sopran und Alt. Eine Klage. In dieses jämmerliche Singen hinein fällt der Chor mit den Worten:
Laßt ihn, haltet, bindet nicht!
Und mein musikalischer Ratgeber sah darin die Stimme des Aufruhrs, des Einspruchs und unterstrich dies mit den entsprechenden Armbewegungen („Hau weg“, mit geballter Faust den ganzen Schmerz vor sich wegwischend); auch einen Einspruch gegen den Jammer, der unter diesem Choreinfall ja weitergeht. Dreimal begehrt der Chor gegen die Situation auf.
Was natürlich noch toll ist an dieser Szene, das ist die Einbeziehung der Natur. Nicht nur Menschen beklagen die Festnahme, auch die Natur:
Mond und Licht
Ist vor Schmerzen untergangen,
Weil mein Jesus ist gefangen.
Die Situation ist durch den Chor nicht verändert worden, aber er gibt seinem Trotz freien Lauf und bezieht in dem nachfolgenden Chor eben diese Natur für seine Wut mit ein.
Sind Blitze, sind Donner
In Wolken verschwunden?
Eröffne den feurigen Abgrund, o Hölle,
Zertrümmre, verderbe,
Verschlinge, zerschelle
Mit plötzlicher Wut
Den falschen Verräter,
Das mördrische Blut!
Ein ganz furioses Chorstück, das geradezu lautmalerisch ist, wo Blitze zucken, Donner grollen, wo sich in der Tat Abgründe auftun. Ja, das ist eine starke Aufruhrpassage in dieser Matthäus-Passion, des komponierenden Mannes mit Perücke und Tand.
Leider kenne ich nur zwei Aufnahmen der Matthäuspassion. Jetzt im ganzen Bach mit Rilling; eine Aufnahme, die meines Erachtens daneben liegt. Sie nimmt die schmerzhafte Situation nicht an sondern versüßt sie durch eine zu leichte Aufnahme der musikalischen Vorschläge. Das wird mir zu sehr zu einem Gehoppel. Die andere trifft es wesentlich besser: Nikolaus Harnoncourt (1971). Wenn ichs richtig höre, wird die Sopranstimme von einem Knaben gesungen, was die Situation noch anrührender macht, das Tempo ist langsamer, die musikalische Textur ist viel feiner aufgelöst, auch weil die Besetzung des Orchesters dünner ist. Und die Vorschläge werden andersherum aufgelöst — und so hoppelt es auch nicht so leicht. Ist schon eine schwierig Sache mit der musikalischen Interpretation. Bei Rilling wiederum ist das Trotzige besser getroffen. Da kann man mal sehen, wie kompliziert es ist, die musikalischen Affekte richtig zu betonen, so dass sie sich nicht aufheben, dass es nicht ein ein blödes Puzzle wird. Dieser Reichtum an Perspektiven in der sogenannten E-Musik ist ihre Stärke.
Leicht kann ein Name wie Johann Sebastian Bach verschrecken. Weil man ihn gerne musikalisch in so große Höhe setzt, dass die Musik nicht wieder herunterfindet, oder weil man den perückigen Mann mit seiner Musik einfach als altes Zeug abtut. Kommt dann noch ein religiöser Stoff hinzu — man ist doch aufgeklärt und nur arme Seelen glauben so einen Kram — dann sperrt sich die Musik wie von selbst aus.
Es kann auch anders gehen. Mir öffnete ein, wie soll ich sagen ohne ungerecht zu sein, na trotzdem, ein musikalischer Marxist die Ohren für die Musik Johann Sebastian Bachs. Das geschah mit Hilfe der Matthäus-Passion und einer ganz besonderen Stelle darin. Kurz nach dem Verrat Jesu durch den Kuss des Judas wird er festgenommen. Dann kommt eine große Musik (Ausschnitt):
Das ist eine Aria mit Sopran, Alt und Chor. Sopran und Alt singen, sich melodisch umschlingend:
So ist mein Jesus nun gefangen
Eine jammervolle, mitleiderregende und trauertragende Art des Singens. Das Gebundenwerden ist auch musikalisch evident durch die gegenseitige Verschichtung der Melodien von Sopran und Alt. Eine Klage. In dieses jämmerliche Singen hinein fällt der Chor mit den Worten:
Laßt ihn, haltet, bindet nicht!
Und mein musikalischer Ratgeber sah darin die Stimme des Aufruhrs, des Einspruchs und unterstrich dies mit den entsprechenden Armbewegungen („Hau weg“, mit geballter Faust den ganzen Schmerz vor sich wegwischend); auch einen Einspruch gegen den Jammer, der unter diesem Choreinfall ja weitergeht. Dreimal begehrt der Chor gegen die Situation auf.
Was natürlich noch toll ist an dieser Szene, das ist die Einbeziehung der Natur. Nicht nur Menschen beklagen die Festnahme, auch die Natur:
Mond und Licht
Ist vor Schmerzen untergangen,
Weil mein Jesus ist gefangen.
Die Situation ist durch den Chor nicht verändert worden, aber er gibt seinem Trotz freien Lauf und bezieht in dem nachfolgenden Chor eben diese Natur für seine Wut mit ein.
Sind Blitze, sind Donner
In Wolken verschwunden?
Eröffne den feurigen Abgrund, o Hölle,
Zertrümmre, verderbe,
Verschlinge, zerschelle
Mit plötzlicher Wut
Den falschen Verräter,
Das mördrische Blut!
Ein ganz furioses Chorstück, das geradezu lautmalerisch ist, wo Blitze zucken, Donner grollen, wo sich in der Tat Abgründe auftun. Ja, das ist eine starke Aufruhrpassage in dieser Matthäus-Passion, des komponierenden Mannes mit Perücke und Tand.
Leider kenne ich nur zwei Aufnahmen der Matthäuspassion. Jetzt im ganzen Bach mit Rilling; eine Aufnahme, die meines Erachtens daneben liegt. Sie nimmt die schmerzhafte Situation nicht an sondern versüßt sie durch eine zu leichte Aufnahme der musikalischen Vorschläge. Das wird mir zu sehr zu einem Gehoppel. Die andere trifft es wesentlich besser: Nikolaus Harnoncourt (1971). Wenn ichs richtig höre, wird die Sopranstimme von einem Knaben gesungen, was die Situation noch anrührender macht, das Tempo ist langsamer, die musikalische Textur ist viel feiner aufgelöst, auch weil die Besetzung des Orchesters dünner ist. Und die Vorschläge werden andersherum aufgelöst — und so hoppelt es auch nicht so leicht. Ist schon eine schwierig Sache mit der musikalischen Interpretation. Bei Rilling wiederum ist das Trotzige besser getroffen. Da kann man mal sehen, wie kompliziert es ist, die musikalischen Affekte richtig zu betonen, so dass sie sich nicht aufheben, dass es nicht ein ein blödes Puzzle wird. Dieser Reichtum an Perspektiven in der sogenannten E-Musik ist ihre Stärke.