Er gehört zu den besten Autoren, die in der DDR gelebt haben. Franz Fühmann, ein guter Mann. Als Jugendlicher war er ganz der Nazi-Propaganda auf den Leim gegangen, umerzogen in sowjetischen Lagern mauserte er sich zum Verteidiger des Sozialismus. Ab den 60er Jahren wurde er freier und freier — er setzte sich mit beispielsweise mit Trakl auseinander und bekam dafür den Geschwister-Scholl-Preis. Am Ende war er engagiertes Mitglied der Friedensbewegung der DDR. Er starb 1984, die Stasi-Akte über ihn wurde weit später geschlossen. Fühmann gehört ganz sicher zu den integersten Personen, die der Schriftstellerberuf hevorgebracht hat.Er hat nie verleugnet, wofür er einmal stand, er hat es nie entschuldigt. Er hat sich nie von seiner Biographie distanziert. Ja, solche Menschen gab es in der DDR. Ja, und wahr ist es, dass ich mich schämen muss, es überhaupt zu erwähnen und einen Maßstab heranzuziehen, denen westdeutsche Schriftsteller sich nie „so“ stellen mussten. Denn, dass einer im „Reich des Bösen“ nicht selber böse wurde, dass mag sich auch heute kaum jemand vorstellen können oder wollen. Im Westen herrschte ja immer die Ariel-Reinheit der Kunst oder der perfekte Persilschein. Wir, die entnazifizierten, wir konnten uns duch unsere Tätigkeit nie beschmutzen. Aber die anderen, drüben, die hatten sowieso, so und so Dreck am Stecken. Jaja, so einfach ist das.
Also, jener Franz Fühmann schrieb zwischen 1982 und 1984 ein Stück mit Musik, Alkestis, dessen präziser Titel lautet:
Alkestis. Stück mit Musik in einem ersten Akt, einem zweiten Akt, zwei dritten Akten und einem Vorspiel.
Dazu = Deliziös-verklärte Varianten zur Hintergrundforschung mythologisch bedingter Träume bzw. Landschaften im Weltbild antiker Dramen oder so = Fünf Ostraka-Palimpseste aus dem Kramladen der Antike (in Aquatintamanier) von Heiner Ulrich, Hinstorff Verlag Rostock 1989.
Warum ich das erwähne. Dieses Stück ist leider nicht Bestandteil seiner Ausgabe der Gesammelten Schriften geworden. Aber dieses Werk kennt bestimmte Stellen, die so einfach wie schlagend sind. Die Projektion auf die DDR der Zeit liegt nahe, aber ebenso wirft sie ein Licht auf die Gegenwart. In der Rotfassung (es gibt auch eine Schwarzfassung, das Publikum hätte per Scherbengericht zu entscheiden, welche Fassung gespielt wird) des Dritten Aktes beinhaltet den folgenden Passus.
Zeremonienmeister:
Als der Cäsar der Skythen die Provinz Kimmerien erobert hatte und dort Wahlen ausschrieb, fragte man ihn, wieviel Stimmen seine Partei, die »Partei zum Wohl des Freien Volkes von Kimmerien«, wohl erwarten dürfe, und da gab er die berühmtgewordene Antwort: Bei wirklich freien Wahlen zwei, drei Prozent, aber mit ein gaaaanz klein bißchen Druck achtundneunzigkommasieben
Ebenda, S. 72 f.
Und zuvor sang der Stadtkommandant:
Wenn etwas nicht geht,
wie es gehen muß,
man hat alles versucht,
doch es gab nur Verdruß,
dann bleibt noch ein Mittel zu Schluß:
Ein kleines bißchen Druck,
und schon geht es mit Ruck-Zuck,
wie es gehen muß
zum guten Schluß!
Ein kleines bißchen Druck,
und es geht mit Ruck-Zuck!
Hau ruck!
a.a.O.
Erschienen ist Alkestis in der DDR, 1989 — nicht in der BRD! Was ich nähers bedeutsam finde, ich bin ja ein Kind des Zonenrandgebietes und hatte daher Zugriff aufs DDR-Fernsehen, es sind kaum 15 Jahre vergangen, dass das Staatsgebiet von DDR und BRD wieder vereinigt sind, ist, dass man heute wieder geneigt ist, historische Erfahrungen und politische Entwicklungen über einen Kamm zu scheren. Die DDR, das war „böse“ und zwar nur „böse“, Stasi, Sie wissen schon und so, freie Wahlen (haha) und SED, das sein NSDAP mit anderen Mitteln gewesen. Wenn man dann aus westlicher Sicht einmal eintaucht in die Geschichte der DDR, sich mit den einzelnen Biographien beschäftigt, mit den Verschiebungen, mit den Traurigkeiten und Freuden, mit den Verzweifelungen, dann durchbricht man den eisernen Block und die Mauern der Vorurteile. Die BRD war ja auch ebenso Franz-Josef Strauß wie Rio Reiser, war Nazi-Richter (ist kein einziger jemals zur Rechenschaft gezogen worden) wie Gustav Heinemann, war Rot-Weiss-Essen-Fan wie Bayreuth-Besucher, war Rudi Dutschke wie Kiesinger.
„Der Amerikaner, der Columbus zuerst entdeckte, machte eine böse Entdeckung.“
Georg Christoph Lichtenberg
Er gehört zu den besten Autoren, die in der DDR gelebt haben. Franz Fühmann, ein guter Mann. Als Jugendlicher war er ganz der Nazi-Propaganda auf den Leim gegangen, umerzogen in sowjetischen Lagern mauserte er sich zum Verteidiger des Sozialismus. Ab den 60er Jahren wurde er freier und freier — er setzte sich mit beispielsweise mit Trakl auseinander und bekam dafür den Geschwister-Scholl-Preis. Am Ende war er engagiertes Mitglied der Friedensbewegung der DDR. Er starb 1984, die Stasi-Akte über ihn wurde weit später geschlossen. Fühmann gehört ganz sicher zu den integersten Personen, die der Schriftstellerberuf hevorgebracht hat.Er hat nie verleugnet, wofür er einmal stand, er hat es nie entschuldigt. Er hat sich nie von seiner Biographie distanziert. Ja, solche Menschen gab es in der DDR. Ja, und wahr ist es, dass ich mich schämen muss, es überhaupt zu erwähnen und einen Maßstab heranzuziehen, denen westdeutsche Schriftsteller sich nie „so“ stellen mussten. Denn, dass einer im „Reich des Bösen“ nicht selber böse wurde, dass mag sich auch heute kaum jemand vorstellen können oder wollen. Im Westen herrschte ja immer die Ariel-Reinheit der Kunst oder der perfekte Persilschein. Wir, die entnazifizierten, wir konnten uns duch unsere Tätigkeit nie beschmutzen. Aber die anderen, drüben, die hatten sowieso, so und so Dreck am Stecken. Jaja, so einfach ist das.
Also, jener Franz Fühmann schrieb zwischen 1982 und 1984 ein Stück mit Musik, Alkestis, dessen präziser Titel lautet:
Alkestis. Stück mit Musik in einem ersten Akt, einem zweiten Akt, zwei dritten Akten und einem Vorspiel.
Dazu = Deliziös-verklärte Varianten zur Hintergrundforschung mythologisch bedingter Träume bzw. Landschaften im Weltbild antiker Dramen oder so = Fünf Ostraka-Palimpseste aus dem Kramladen der Antike (in Aquatintamanier) von Heiner Ulrich, Hinstorff Verlag Rostock 1989.
Warum ich das erwähne. Dieses Stück ist leider nicht Bestandteil seiner Ausgabe der Gesammelten Schriften geworden. Aber dieses Werk kennt bestimmte Stellen, die so einfach wie schlagend sind. Die Projektion auf die DDR der Zeit liegt nahe, aber ebenso wirft sie ein Licht auf die Gegenwart. In der Rotfassung (es gibt auch eine Schwarzfassung, das Publikum hätte per Scherbengericht zu entscheiden, welche Fassung gespielt wird) des Dritten Aktes beinhaltet den folgenden Passus.
Zeremonienmeister:
Als der Cäsar der Skythen die Provinz Kimmerien erobert hatte und dort Wahlen ausschrieb, fragte man ihn, wieviel Stimmen seine Partei, die »Partei zum Wohl des Freien Volkes von Kimmerien«, wohl erwarten dürfe, und da gab er die berühmtgewordene Antwort: Bei wirklich freien Wahlen zwei, drei Prozent, aber mit ein gaaaanz klein bißchen Druck achtundneunzigkommasieben
Ebenda, S. 72 f.
Und zuvor sang der Stadtkommandant:
Wenn etwas nicht geht,
wie es gehen muß,
man hat alles versucht,
doch es gab nur Verdruß,
dann bleibt noch ein Mittel zu Schluß:
Ein kleines bißchen Druck,
und schon geht es mit Ruck-Zuck,
wie es gehen muß
zum guten Schluß!
Ein kleines bißchen Druck,
und es geht mit Ruck-Zuck!
Hau ruck!
a.a.O.
Erschienen ist Alkestis in der DDR, 1989 — nicht in der BRD! Was ich nähers bedeutsam finde, ich bin ja ein Kind des Zonenrandgebietes und hatte daher Zugriff aufs DDR-Fernsehen, es sind kaum 15 Jahre vergangen, dass das Staatsgebiet von DDR und BRD wieder vereinigt sind, ist, dass man heute wieder geneigt ist, historische Erfahrungen und politische Entwicklungen über einen Kamm zu scheren. Die DDR, das war „böse“ und zwar nur „böse“, Stasi, Sie wissen schon und so, freie Wahlen (haha) und SED, das sein NSDAP mit anderen Mitteln gewesen. Wenn man dann aus westlicher Sicht einmal eintaucht in die Geschichte der DDR, sich mit den einzelnen Biographien beschäftigt, mit den Verschiebungen, mit den Traurigkeiten und Freuden, mit den Verzweifelungen, dann durchbricht man den eisernen Block und die Mauern der Vorurteile. Die BRD war ja auch ebenso Franz-Josef Strauß wie Rio Reiser, war Nazi-Richter (ist kein einziger jemals zur Rechenschaft gezogen worden) wie Gustav Heinemann, war Rot-Weiss-Essen-Fan wie Bayreuth-Besucher, war Rudi Dutschke wie Kiesinger.
„Der Amerikaner, der Columbus zuerst entdeckte, machte eine böse Entdeckung.“
Georg Christoph Lichtenberg