25. Dezember 2024 Alles muss raus!

Weißt du noch oder glaubst Du schon?

Statt 9LIVE?™ zu schauen, um zu sehen, dass es da nichts zu sehen gibt, ein Blick in den Videotext von SAT1™, Tafel 118, eine TED-Umfrage, die auf der Starttafel noch als “Ist Lance Armstrong gedopt?” angekündigt wird:

Armstrong unschlagbar: Glauben Sie an die Doping-Vorwürfe?
Das Ergebnis (Stand 20:27, 24.7.) 88,1 Prozent glauben das, 11,9 Prozent glauben das nicht.

Da ist er wieder der Glaube von Teletextlesern und 24-Cent-pro-Anruf-Anrufern. Weißt du noch oder glaubst Du schon? Da ist er wieder, der Aufstand der Unwissenden. Da ist er wieder, der Volksglaube der Abstinker im Geiste. Da ist sie, die anreizgebende Zuckung der Teletextredaktion von SAT1™.

Warum ist das eigentlich so aufregend? Im Prizip ist es doch schnurzpiepegal, was da auf irgendeiner Teletextseite eines Fernsehsenders auftaucht. Die Zeitungen von gestern und morgen werden in vielerlei Form eine ähnliche Mutmaßung über den Texaner aufstellen, der wahrscheinlich auch mit zwei Achten in den Rädern diese Tour gewonnen hätte. Auch, wenn man es besser weiß, genießen große Sender einen Vorschuss des Verdachts objektiver Berichterstattung. Wir sind schließlich nicht mehr bei SAT1™ vor zwanzig Jahren. Auf diese Weise wird aus der bloßen Mutmaßung die Anmaßung einer Feststellung. Dem kommt entgegen – eine Erfahrung der letzten Jahre – dass es mit vorläufigen Verdachtsandeutungen nicht so ganz selten nicht gestimmt hat (Daum, Barschel, Engholm, Kohl … – das kollektiv umsichgreifende Vergesslichkeitssyndrom).

“Diese” Frage (oben) überhaupt so zu stellen, ist in der Situation der Niederlage des “deutschen” T-Mobile-Teams und ihrer Spitzenfahrer allerdings unbillig. Da ist einerseits die Umformulierung der Frage von der Titelseite zur Detailseite, von der Mutmaßung der Annahme zum bloß noch relativen Bekenntnis zu Vorwürfen. Welche Frage wird da eigentlich gestellt? Wer “unsere” deutschen Fahrer besiegt, der muss Dreck am Stecken haben. So verwunderte auch nicht, dass der Fahrer Jens Voigt auf der Fahrt nach Alpe d’Huez offenbar häufig beschimpft wurde, weil er tags zuvor, den Ausreißer Jan Ullrich einzuholen mithalf. Da hätte, wenn SAT1™ es gemachte hätte, auch eine Frage danach stehen können, ob Jens Voigt ein Verräter ist. Und man hätte es begründen können damit, dass er im Fernsehinterview selbst erwähnte, er habe sich “fast” wie ein Vaterlandsvertreter gefühlt. Aber gut das ist pure Spekulation.

Nein, Armstrong hat alle anderen Fahrer geradezu deklassiert – und das ist beileibe keine neue Erkenntnis im Radsport. Also so einer, den es nicht geben darf, darf es daher nicht geben. Und weil das so ist, darf man so eine Frage legitimerweise stellen. Man darf sie natürlich nicht von einem Labor sondern vernünftigerweise von Telefondeppen beantworten lassen, denn die machen künftig die A-Probe – und die B-Probe … und die Z-Probe und am besten pinkeln die auch noch selbst: Sicher ist sicher.

Diese Frage des Teletextes würde sich übrigens prima für eine Neuauflage zur Untersuchung des autoritären Charakters eignen. Der von SAT1™ gestellten These (in der Form einer Frage) kann man ähnliche, übliche hinzugesellen wie:

Wer arbeiten will, findet auch Arbeit.
Wir brauchen wieder eine starke Hand.
Früher war alles besser.
Die Ausländer sind an allem schuld.

Warum ist man (mindestens) hierzulande so anfällig für die Produktion von vorverurteilenden, suggestiven Mutmaßungen und warum sprechen Menschen darauf überhaupt an (hier Telefonbeteiligung)? Obwohl das nur ein kleiner unbdeutender Medienfall ist, ist es genau diese Frage, die mich schon als Jugendlicher verwirrte. Wie konnte es geschehen, dass schließlich fast ein ganzes Volk einem Führer folgte. Welche Störungen in den Menschen müssen da schon vorliegen und wie werden sie verstärkt und nutzbar gemacht … und wie reproduziert sich solches Verhalten?

Eben auch so. Durch die stetige Einübung in Dummheit und die objektiv-scheinende Bestätigung und Entwicklung von Ressentiments.

Man ist es ja einigermaßen gewöhnt, aus Elefanten Mücken zu machen und aus Nichts Elefanten. Dieser Medienfall ist an und für sich auch eine Mücke, aber diese Mücke ist auch Bestandteil eines ganzen Schwarms, der hier aus Anpassungsprozessen besteht. Das ist hier ganz banal die Übertragung des Verlierers (der man hier nicht einmal persönlich ist, es aber persönlich nimmt) auf den Sieger, den man zum Verlierer machen muss. Neid, Missgunst. Ich-Schwäche. Alles Zeichen einer nichtemanzipierten Gesellschaft. Aber: Dies ist nur ein Detail.

kritische masse newsletter

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

5 Kommentare

  1. Gaaaah! Sie sehen mich mit

    Gaaaah! Sie sehen mich mit Schaum vor dem Mund. Und in meinem Wutzentrum kreisen die Fetzen “liegt die Aufklärung noch vor uns?”, “das habt Ihr nun von Eurer Wissenschaftsfeindlichkeit”, “wer sich auf sein ‘Bauchgefühl’ verlässt, sollte ein paar Bürgerrechte abgeben” und “da gab’s doch dieses Karl-Kraus-Lied über die Macht der Zeitung”.
    Jetzt versuche ich mich erst mal zu beruhigen.

  2. Ich bin mir nicht sicher, ob

    Ich bin mir nicht sicher, ob ich diesen Einwurf richtig verstehe. Der große Vorteil dieser Form von Meinungsforschung ist für mich, dass das Scheinergebnis dieser Umfrage eigentlich unbedeutend und austauschbar ist. Dagegen scheint mir die Art der Umfrage und ihrer Reaktion selbst mehr zur Erforschung der Meinung beizutragen. Diese Form der “Meinungsforschung” sagt mehr über den gegenwärtigen Zustand aus als die “Ergebnisse” dieser Forschung. Denn die können nicht besser sein; im Gegenteil sie sind “nur” mitverursacht. Hier, indem man Meinungsforschung zur Glaubenssache macht.

  3. Jadoch, da sitzen wir auf

    Jadoch, da sitzen wir auf demselben Holzpferd. Und um die Überschrift werde ich Sie ewig beneiden.
    (Allerdings erinnere ich mich gerne zurück an die Mitschülerin in der 11. Klasse, die eben vom Mathelehrer zum wiederholten Male bewiesen bekommen hatte, dass plus Null etwas anderes sein kann als minus Null. Und die daraufhin bockig zu ihm hochblickte: “Ich glaub’s aber trotzdem nicht.”)

  4. Ich übrigens auch nicht.

    Ich übrigens auch nicht. Aber ich kenne auch nicht die Beweise des Mathelehrers. Andererseits, wenn es so wäre, wie der Mathelehrer es beweisen kann, hätte ich auch keine Probleme, das zu glauben. Es würde mich nicht weiter berühren. Apropos: Ich kenne immerhin die “schwarze Null”. Ist doch auch schon was.

  5. Ich vergaß zu erwähnen,

    Ich vergaß zu erwähnen, dass die ungläubige Mitschülerin kurz nach diesem Vorfall die Schule verließ, um in Wien Blockflöte zu studieren.

Kommentare sind geschlossen.