22. November 2024 Alles muss raus!

taktlos 77: Neue Musik für Kinder

Neue Musik für Kinder
Musik: Charles Ives: Three Places in New England Nr. 3 The Housatonic at Stockbridge von Anfang, unter dem Text lassen
Autor: „Elfjährige sind – was den Musikgeschmack betrifft – erstaunlich fertig. Die entscheidenden prägenden Erfahrungen sind heute, stärker als in der Vergangenheit, bereits in der Kindheit zu suchen“, sagte der Musikpsychologe Klaus-Ernst Behne 2001 bei der Eröffnung des Kongresses „Konzerte für Kinder“ – einer Initiative der Jeunesses musicales Deutschland.

Umso wichtiger muss es scheinen, die Vielfältigkeit der musikalischen Welt Kindern zur qualifizierten Auswahl zu überlassen. Diese Auswahl kann nicht nach Maßstäben von Verkaufszahlen oder der Omnipräsenz bestimmter Musik in den Medien erfolgen. Das würde nur zum Schließen des Kreislaufs führen und zu eben dem Kurzschluss von Musikerfahrungen, die unsere Musikkultur in den existierenden Dämmerschlaf aus Massenflachsinn mit kleinen Notzelten für musikalische Orchideen gebracht hat.

Falsch wäre es jedoch auch, den Kanon der Musik nach Maßstäben der über Jahrhunderte gewachsenen bürgerlichen Musikkultur einzugrenzen. Nach dem Motto „Kagel und Stockhausen -“ oder gar „Mozart oder Beethoven für Kinder“ würde man allen Beteiligten schaden. Dabei entstünde eine neue Art erzwungener musikpädagogischer Musik, die, sozusagen in didaktischer Untersuchungshaft, nur blutleere musikalische Erfahrungen produzieren würde.

Also einen Schritt zurück. Wenn Klaus-Ernst Behnes Untersuchungen richtig sein sollten, dann ist zu konstatieren, dass in der frühen Kindheit praktisch jede Musik neu ist, sofern sie nicht zuvor längst mit Dudelfunk und Lehrplanmusik nach Nürnberger Methode eingetrichtert worden ist. Und darum geht es schließlich: Kindern die Möglichkeit für Primärerfahrungen einzuräumen, ihnen den Raum in die musikalische Welt zu öffnen. Die Frage in unserer Gesellschaft kann nicht sein: Bach oder Cage, sie kann auch nicht sein Volkslieder oder Chart-Hits. Sie kann nur sein: Warum brauchen Kinder Musik und wie können sie auf Musik zugehen, dass es ihnen Vergnügen oder Freude bereitet. Wie können Kinder eine Freiheit zur Musik finden?

Leider sind das Fragen, die nicht durch Kompositionen, Theorien, pädagogische Konzepte oder musikalische Erfahrungen allein gelöst werden können, sondern im Kern die Bedeutung der Musik in unserer Gesellschaft selbst betreffen. Nicht die Kinder müssen sich ändern, nicht die Musik, die Gesellschaft muss es. Wir brauchen nicht neue Musik für Kinder sondern eine neue Gesellschaft.

Musik: Charles Ives: Three Places in New England Nr. 3 The Housatonic at Stockbridge (eine Minute vor Schluss etwa gibt es eine Steigerung)

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4 Kommentare

  1. Hoppla, was sind denn das

    Hoppla, was sind denn das für umstürzlerische Theorien? Und das am Pfingstmontag.
    Ein sehr guter Schnappschuß, wie es um unsere Musikpädagogik und ihre Anhängsel bestellt ist. Dazu muss man nicht mal Kenner sein, denn an dieser Situation hat sich in den letzten Jahrzehnten wenig geändert. Im Gegenteil. Musikalische ‘Erziehung’ findet in der Glotze und im polyphonen Handyspeicher statt. Gehen wir ein paar Sekunden in uns und holen uns diejenigen vor unser geistiges Auge, die den musikalischen Horizont (oder wenigstens den Raum dafür) vor ihren Kindern ausbreiten sollten. 21, 22, 23. ??? Ich schließe mich der Forderung nach einer neuen Gesellschaft an.

  2. Dann sind wir schon

    Dann sind wir schon mindestens Zwei. Auf gehts. Entweder wir machen gleich Revolution oder gründen erst einmal ein Verein. Wie siehts aus?

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