Der KIZ berichtet aktuell über die Vergabe des Wolf-Preises an den Pianisten und Dirigenten Daniel Barenboim. Dabei sei es ein bisserl zum Eklat gekommen. Vor dem israelischen Parlament sagte er,
‘die Besatzung und Kontrolle eines anderen Volkes’ widerspreche dem von den Gründervätern angestrebten Ideal Israels. Davor dürfe man nicht die Augen verschließen. Und er kündigte an, sein Preisgeld von 50.000 Dollar (42.200 Euro) für Musikerziehung in Israel und den Palästinensergebieten stiften zu wollen.
Über den Preis und die Juryentscheidung schreibt “Der Standard” aus Österreich:
Barenboim sei “einer der größten Musiker unserer Zeit” und habe sich durch eine “tiefe Hingabe an Musik und Menschlichkeit” ausgezeichnet, befand die internationale Jury. Seit langem ist er an israelisch-palästinensischen Musikprojekten beteiligt und hat mehrere Konzertbesuche in den besetzten Palästinensergebieten abgehalten. Gemeinsam mit dem inzwischen gestorbenen palästinensischen Schriftsteller Edward Said hatte er den Musikworkshop “West-Östlicher Diwan” gegründet, mit dem junge Talente beider Seiten gemeinsam an verschiedenen Orten musizieren.
Die “Junge Welt” zitiert wörtlich:
Mir tut das Herz weh bei der Frage, ob Eroberung und Kontrolle heute mit Israels Unabhängigkeitserklärung vereinbar sind.
Das hat anscheinend einigen nicht gefallen. Die Erziehungsministerin soll “vor Wut gekocht” haben.
Das wiederum kommentiert “Die Jüdische” so:
Die Bemerkungen [Barenboims] wurden vom Publikum in erster Linie mit Beifall, aber auch mit etwas Bestürzung aufgenommen. Die Erziehungsministerin Limor Livnat (Likud), die zugleich Vorsitzende ex officio des Stiftungskuratoriums ist, erklärte dem Preisträger daraufhin verärgert, dass Israel in erster Linie als Heimstätte des jüdischen Volkes gegründet wurde, und dass dieser Staat die Minderheiten, die in ihm leben, anerkennt. Die Antwort der Ministerin wurde durch Beifall und Buh-Rufe aufgenommen.
Und der israelische Staatspräsident Katzav habe betont,
Barenboim verdiene eine Verurteilung nicht nur wegen der ‘unpassenden’ Ansprache, sondern auch dafür, dass er sich nicht bei Holocaust-Überlebenden für eine frühere Aufführung von Wagner-Musik entschuldigt habe.
Ein Verurteilung wofür? Für das Spielen von Musik Richard Wagners bzw. für eine Entschuldigung dafür, Wagner gespielt zu haben. Barenboim, der aus Argentinien stammende und in Israel aufgewachsene Jude Barenboim spielte Wagner. Dafür in den Knast gehen, wenn es gewollt wäre, dazu wäre Barenboim sicher bereit. Ist er ein Ignorant, ein Volltrottel, dieser Barenboim?
Und den dicksten Klopps erlaubte sich wohl ein Mitglied der Wolf-Jury:
Professor Menachem Alexenberg, hielt während der Preisverleihung als Protest gegen Barenboim ein Schild mit der Aufschrift ‘Musik macht frei’ hoch. Der geschwungene Schriftzug sollte an das Motto ‘Arbeit macht frei’ über dem Eingangstor des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau erinnern.
Es ist schlimm, dass solche Formen des antirassistischen Rassismus immer noch wieder aufblühen. Denn so etwas stimmt einfach vorne und hinten nicht. Das ist semitischer Antisemitismus genauso wie es auch faschistischen Antifaschismus. Es scheint mir geradezu absurd, die Arbeit Barenboims, die auf Aussöhnung aus ist, in dieser Art und Weise desavouieren zu wollen. So ein Verhalten ist einfach nur ungerecht. Denn, dass es Antisemitismus gibt, ob in Deutschland, England, USA, den arabischen Staaten, ist nicht zu bezweifeln, der Antisemitismus ist auch nicht einfach nur virulent sondern ziemlich manifest. Aber darf man auf jede persönliche Verletztheit so reagieren? Menschlich mag das verständlich sein, moralisch scheint mir das zweifelhaft und politisch halte ich das für falsch. Aber an mir ist es nicht, das abschließend einschätzen zu dürfen.
Jean Améry hat in seinem Aufsatz “Über Zwang und Unmöglichkeit, Jude zu sein” folgende Begebenheit erzählt:
Alles könnte leichter getragen werden, wenn meine Verbundenheit mit den anderen Juden sich nicht erschöpfte in revoltierender Solidarität, wenn der Zwang sich nicht ständig stieße an der Unmöglichkeit. Ich weiß es nur allzu gut. Ich saß neben einem jüdischen Freund bei der Aufführung von Arnold Schönbergs »Ein Überlebender aus Warschau«: Als, von Posaunenklängen begleitet, der Chor anstimmte »Sch’ma Israel«, wurde mein Begleiter kalkbleich, und Schweißperlen traten auf seine Stirn. Mein Herz pochte nicht schneller, aber ich fühlte mich bedürftiger als mein Kamerad, den das unter Posaunenchören gesungene Judengebet erschüttert hatte. Jude sein, dachte ich mich nachher, ich kann es nicht in Ergriffenheit, nur in Angst und Zorn, wenn Angst sich, um Würde zu erlangen, in Zorn verwandelt. »Höre Israel« geht mich nichts an. Nur ein »Höre Welt« möchte zornig aus mir dringen. So will es die sechstellige Nummer auf meinem Unterarm. So fordert es das Katastrophengefühl, Dominante meiner Existenz. …
Es fließ ihm [dem Autor Jean Améry] nicht humaner Honigseim von den Lippen. Die generöse Geste bringt er nur schlecht zustande. Jedoch ist damit nicht gesagt, daß Angst und Zorn ihn verurteilen, weniger rechtschaffen zu sein, als seine ethisch beflügelten Zeitgenossen es sind. Er kann Freunde haben und hat sie, selbst unter den Angehörigen gerade jener Völker, die ihn für immer in die Schaukel zwischen Angst und Zorn hängten. Er kann auch Bücher lesen, Musik hören wie die Unbeschädigten, nicht weniger fühlsam als sie. Geht es um Fragen der Moral, wird er wahrscheinlich gegen Ungerechtigkeit jeder Art sich empfindlicher zeigen als seine Nebenmenschen.
Jean Améry: Jenseits von Schuld und Sühne, München 1988, S. 120 f.
Améry konnte das für sich reklamieren. Der Schild-Demonstrant auch? Ist es ungerecht von Barenboim, Dinge an- und auszusprechen, die auf Ungerechtigkeiten verweisen? Welche moralische Instanz verleiht die Rechte? Ist es “nur” antiamerikanisch, wenn man die Besatzungspolitik der USA im Irak, in Nicaragua kritisiert? Ist es “nur” antisemitisch, wenn man die Besatzungspolitik Israels kritisiert? Ist es “nur” antirakisch, wenn man das Handeln Saddam Husseins verurteilt? Ist es antikatholisch, wenn man behauptet hat, dass die Erde keine Scheibe ist?
Immer häufiger wird der Kritiker verurteilt. Er ziehe sich aus einer Sache zurück, könne ohnehin die Lösung nicht verraten. Als Kritiker ist man schnell ein Taugenichts und Tunichtgut. Das Recht zur Kritik müsse man sich erst erwerben. Das ist der Sieg des Pragmatismus, des Tunurwas des Macheinfach. Nur wer macht, setzt sich automatisch ins Recht. Das ist das Sittengesetz der Gegenwart, das herübertrampelt über alle Menschen, die anders sind als man selbst. Altes Leid durch neues Leid zu ersetzen ist meines Erachtens nicht die Lösung, sondern der gesellschaftliche Grundfehler, der die Leidgeschichte der Menschen perpetuiert.
Der KIZ berichtet aktuell über die Vergabe des Wolf-Preises an den Pianisten und Dirigenten Daniel Barenboim. Dabei sei es ein bisserl zum Eklat gekommen. Vor dem israelischen Parlament sagte er,
‘die Besatzung und Kontrolle eines anderen Volkes’ widerspreche dem von den Gründervätern angestrebten Ideal Israels. Davor dürfe man nicht die Augen verschließen. Und er kündigte an, sein Preisgeld von 50.000 Dollar (42.200 Euro) für Musikerziehung in Israel und den Palästinensergebieten stiften zu wollen.
Über den Preis und die Juryentscheidung schreibt “Der Standard” aus Österreich:
Barenboim sei “einer der größten Musiker unserer Zeit” und habe sich durch eine “tiefe Hingabe an Musik und Menschlichkeit” ausgezeichnet, befand die internationale Jury. Seit langem ist er an israelisch-palästinensischen Musikprojekten beteiligt und hat mehrere Konzertbesuche in den besetzten Palästinensergebieten abgehalten. Gemeinsam mit dem inzwischen gestorbenen palästinensischen Schriftsteller Edward Said hatte er den Musikworkshop “West-Östlicher Diwan” gegründet, mit dem junge Talente beider Seiten gemeinsam an verschiedenen Orten musizieren.
Die “Junge Welt” zitiert wörtlich:
Mir tut das Herz weh bei der Frage, ob Eroberung und Kontrolle heute mit Israels Unabhängigkeitserklärung vereinbar sind.
Das hat anscheinend einigen nicht gefallen. Die Erziehungsministerin soll “vor Wut gekocht” haben.
Das wiederum kommentiert “Die Jüdische” so:
Die Bemerkungen [Barenboims] wurden vom Publikum in erster Linie mit Beifall, aber auch mit etwas Bestürzung aufgenommen. Die Erziehungsministerin Limor Livnat (Likud), die zugleich Vorsitzende ex officio des Stiftungskuratoriums ist, erklärte dem Preisträger daraufhin verärgert, dass Israel in erster Linie als Heimstätte des jüdischen Volkes gegründet wurde, und dass dieser Staat die Minderheiten, die in ihm leben, anerkennt. Die Antwort der Ministerin wurde durch Beifall und Buh-Rufe aufgenommen.
Und der israelische Staatspräsident Katzav habe betont,
Barenboim verdiene eine Verurteilung nicht nur wegen der ‘unpassenden’ Ansprache, sondern auch dafür, dass er sich nicht bei Holocaust-Überlebenden für eine frühere Aufführung von Wagner-Musik entschuldigt habe.
Ein Verurteilung wofür? Für das Spielen von Musik Richard Wagners bzw. für eine Entschuldigung dafür, Wagner gespielt zu haben. Barenboim, der aus Argentinien stammende und in Israel aufgewachsene Jude Barenboim spielte Wagner. Dafür in den Knast gehen, wenn es gewollt wäre, dazu wäre Barenboim sicher bereit. Ist er ein Ignorant, ein Volltrottel, dieser Barenboim?
Und den dicksten Klopps erlaubte sich wohl ein Mitglied der Wolf-Jury:
Professor Menachem Alexenberg, hielt während der Preisverleihung als Protest gegen Barenboim ein Schild mit der Aufschrift ‘Musik macht frei’ hoch. Der geschwungene Schriftzug sollte an das Motto ‘Arbeit macht frei’ über dem Eingangstor des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau erinnern.
Es ist schlimm, dass solche Formen des antirassistischen Rassismus immer noch wieder aufblühen. Denn so etwas stimmt einfach vorne und hinten nicht. Das ist semitischer Antisemitismus genauso wie es auch faschistischen Antifaschismus. Es scheint mir geradezu absurd, die Arbeit Barenboims, die auf Aussöhnung aus ist, in dieser Art und Weise desavouieren zu wollen. So ein Verhalten ist einfach nur ungerecht. Denn, dass es Antisemitismus gibt, ob in Deutschland, England, USA, den arabischen Staaten, ist nicht zu bezweifeln, der Antisemitismus ist auch nicht einfach nur virulent sondern ziemlich manifest. Aber darf man auf jede persönliche Verletztheit so reagieren? Menschlich mag das verständlich sein, moralisch scheint mir das zweifelhaft und politisch halte ich das für falsch. Aber an mir ist es nicht, das abschließend einschätzen zu dürfen.
Jean Améry hat in seinem Aufsatz “Über Zwang und Unmöglichkeit, Jude zu sein” folgende Begebenheit erzählt:
Alles könnte leichter getragen werden, wenn meine Verbundenheit mit den anderen Juden sich nicht erschöpfte in revoltierender Solidarität, wenn der Zwang sich nicht ständig stieße an der Unmöglichkeit. Ich weiß es nur allzu gut. Ich saß neben einem jüdischen Freund bei der Aufführung von Arnold Schönbergs »Ein Überlebender aus Warschau«: Als, von Posaunenklängen begleitet, der Chor anstimmte »Sch’ma Israel«, wurde mein Begleiter kalkbleich, und Schweißperlen traten auf seine Stirn. Mein Herz pochte nicht schneller, aber ich fühlte mich bedürftiger als mein Kamerad, den das unter Posaunenchören gesungene Judengebet erschüttert hatte. Jude sein, dachte ich mich nachher, ich kann es nicht in Ergriffenheit, nur in Angst und Zorn, wenn Angst sich, um Würde zu erlangen, in Zorn verwandelt. »Höre Israel« geht mich nichts an. Nur ein »Höre Welt« möchte zornig aus mir dringen. So will es die sechstellige Nummer auf meinem Unterarm. So fordert es das Katastrophengefühl, Dominante meiner Existenz. …
Es fließ ihm [dem Autor Jean Améry] nicht humaner Honigseim von den Lippen. Die generöse Geste bringt er nur schlecht zustande. Jedoch ist damit nicht gesagt, daß Angst und Zorn ihn verurteilen, weniger rechtschaffen zu sein, als seine ethisch beflügelten Zeitgenossen es sind. Er kann Freunde haben und hat sie, selbst unter den Angehörigen gerade jener Völker, die ihn für immer in die Schaukel zwischen Angst und Zorn hängten. Er kann auch Bücher lesen, Musik hören wie die Unbeschädigten, nicht weniger fühlsam als sie. Geht es um Fragen der Moral, wird er wahrscheinlich gegen Ungerechtigkeit jeder Art sich empfindlicher zeigen als seine Nebenmenschen.
Jean Améry: Jenseits von Schuld und Sühne, München 1988, S. 120 f.
Améry konnte das für sich reklamieren. Der Schild-Demonstrant auch? Ist es ungerecht von Barenboim, Dinge an- und auszusprechen, die auf Ungerechtigkeiten verweisen? Welche moralische Instanz verleiht die Rechte? Ist es “nur” antiamerikanisch, wenn man die Besatzungspolitik der USA im Irak, in Nicaragua kritisiert? Ist es “nur” antisemitisch, wenn man die Besatzungspolitik Israels kritisiert? Ist es “nur” antirakisch, wenn man das Handeln Saddam Husseins verurteilt? Ist es antikatholisch, wenn man behauptet hat, dass die Erde keine Scheibe ist?
Immer häufiger wird der Kritiker verurteilt. Er ziehe sich aus einer Sache zurück, könne ohnehin die Lösung nicht verraten. Als Kritiker ist man schnell ein Taugenichts und Tunichtgut. Das Recht zur Kritik müsse man sich erst erwerben. Das ist der Sieg des Pragmatismus, des Tunurwas des Macheinfach. Nur wer macht, setzt sich automatisch ins Recht. Das ist das Sittengesetz der Gegenwart, das herübertrampelt über alle Menschen, die anders sind als man selbst. Altes Leid durch neues Leid zu ersetzen ist meines Erachtens nicht die Lösung, sondern der gesellschaftliche Grundfehler, der die Leidgeschichte der Menschen perpetuiert.
Huflaikhan sagt:
“Das ist
Huflaikhan sagt:
“Das ist der Sieg des Pragmatismus, des Tunurwas des Macheinfach. Nur wer macht, setzt sich automatisch ins Recht. Das ist das Sittengesetz der Gegenwart, das herübertrampelt über alle Menschen, die anders sind man selbst. Altes Leid durch neues Leid zu ersetzen ist meines Erachtens nicht die Lösung, sondern der gesellschaftliche Grundfehler, der die Leidgeschichte der Menschen perpetuiert.”
Ui, wenn das nicht mal in hundert Jahren auf irgendeiner Marmortafel steht. Das gefällt mir aber sehr gut. Heute war in ‘SWR1-Leute’ ein ehemaliger Lude von St. Pauli zu Gast, der sagte zum Thema Gewalt ‘Auge um Auge hinterlässt immer nur Blinde’. Hat auch was.
Das trifft es sehr gut – ist
Das trifft es sehr gut – ist kürzer und passt auch besser auf Grabsteine.