Da ist dieses Adagietto Hommage an Bizet (1927) und die Kindersuite P.K.B. Wer bisher Adorno nur zutraute mit schmerzhaften Dissonanzen zu komponieren, wird im Adagietto eines ganz anderen belehrt. Diese musikalische Wendung auch nach Klang und Melodik eher in Richtung Ravel und Bizet gehend zeigt auch an, dass es selbst für den spektakulärsten Musik- und Kompositionskritiker seiner Zeit Inseln der musikalischen Sehnsucht gibt. Mit solcher Musik nimmt er den Faden auf, den Nietzsche in seiner musikalischen Ästhetik aus der Hand gegeben hat. Es tönt hier klar und impressiv. Ein weiterer Hintergrund mag in der Geschichte Bergs liegen, die Adorno so überlieferte: Beim Komponieren komm ich mir immer wieder wie der Beethoven vor, erst hinterher merk ich, daß ich höchstens der Bizet bin. Allein aus diesem Geflecht musikalischer Andeutungen ließen sich zahllose psychologische Ableitungen bilden. Das muss hier nicht sein. Mag jeder seinen eigenen Reim dazu finden. Unmittelbar zum Adagietto gehören auch die Böhmischen Terzen und Valsette (1945), die auch eine gewisse musikalische und sogar geographische Nostalgie einbekennen (Adorno weilte 1945 noch in den USA).
Das andere wunderliche Stück ist die Kindersuite P.K.B., die vollkommen in die Zeit um 1933 passt, als Adorno ebenfalls an dem Singspiel Der Schatz des Indianer-Joe arbeitete von dem das Libretto komplett vorliegt, jedoch nur zwei Stücke. PK.B. sei, so Tiedemann im Booklet, die Abkürzung für Pferdekinder-Ballett. Die Komposition selbst entstamme der Absicht, seine späteren Frau Gretel Karplus ins Klavierspiel einzuführen. Da hätte Gretel aber schon einiges drauf gehabt haben müssen. Unter und in der Musik sollen sich nach Tiedemann einige versteckte Anspielungen der beiden Liebenden finden. Nr.3 Beiß dem Ted das Öhrchen ab (Basso ostinato) ist wohl kaum misszuverstehen. Das letzte Stück Nr. 4, auch das längste der Suite, trägt den Titel: Klein-Gitty und Klein-Gavlin. Variationen aus ihrem Leben und setzt musikalisch auf dem Kinderlied: Der Kuckuck und der Esel, die hatten einen Streit auf. Die Art der Variationenfolge klingt wie ein Miniatur-Diabelli.
Zwischen der Kindersuite und dem Adagietto waltet aber eben ein Zusammenhang der über Ravel zu gehen scheint. Adorno hielt L’enfant et les sortilèges von Ravel für sein Meisterstück, aber auch die Art und Weise, wie Ravel (und Debussy) Kindermusik denken. Nachzulesen in den Gesammelten Schriften Bd. 17 (Ravel, einem Text von 1930).
Mit auf der CD sind Stücke von Schönberg (op. 19 drei Klavierstücke von 1894), von Alban Berg die Klaviersonate op. 1, von Anton Webern das Kinderstück (1924 eine seiner ersten ausgeführten Zwölftonkompositionen) und ein weiteres Klavierstück op. posth. (1925) sowie ein Klavierstück von Eduard Steuermann (für Theodor Wiesengrund-Adorno 1938). Das musikalische und auch persönliche Umfeld Adornos seit 1925. Dramaturgisch gesehen ist das der Clou dieser CD.
Die Pianistin María López-Vito ist die einzige, mir bekannte Interpretin der Klavierstücke Adornos. Soweit ich es beurteilen kann, spielt sie alles akkurat, schnörkellos, klar. Aufnahmetechnisch scheint mir die CD aber nicht auf der Höhe der Zeit zu sein. Das Klavier klingt etwas blechern, metallisch. Es ist handelt sich um einen Live-Mitschnitt aus dem Staatstheater am Gärntner Platz , aber das erklärt die Lieblosigkeit der Technik keinesfalls. Indiz dafür schon der beschnittene Applaus nach dem letzten Stück des Programms, worauf ein Bagatelle aus op. 126 von Beethoven gegeben wird.
Erschienen ist diese CD in der Edition text + kritik 2003, war aber zuvor schon der siebten Ausgabe der Frankfurter Adorno-Blätter aus dem gleichen Verlag beigelegt.