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taktlos 65 – geist ist geil – martin hufner 2.5.2003

Musik: Conlon Nancarrow: Player Piano Study No.11 (T 8, Anfang)

Autor: Der gesellschaftliche Umgang mit „geistigem Eigentum“ ist kein Problem der Gegenwart. Bereits 1974 wird im Nachwort eines Nachdrucks des Buches „Anti-Ödipus“ erklärt, warum man sich entschlossen habe, „Geist geil“ zu finden und billige Nachdrucke von teuren Verlagsobjekten herzustellen. Unter der Überschrift „Schizophrenie im Kapitalismus oder Die Logik des Kapitals“ kann man da lesen:

Zitatsprecher: „Das Problem: Manche Bücher können wegen eines sehr hohen Preises nur von einer sehr kleinen Leserschaft erworben werden. Dadurch können Werke die für bestimmte Wissenschaftsbereiche und/oder auch gesamtgesellschaftlich relevant sind, einer breiteren (wissenschaftlichen) Diskussion entzogen werden. … diesen Büchern ist eines gemeinsam, sie sind (oder waren) als ,sozialisierte Drucke’ (mitunter auch ‘Raubdrucke’ genannt) erhältlich, die Mechanismen monopolistischer Verwertung geistiger Produktion wurden durchbrochen und zumindest ansatzweise eine zwar partiell illegale, nichtsdestoweniger aber legitime Befriedigung von Informations-, Agitations- und Bildungsbedürfnissen sichergestellt.“

Autor: Das war 1974 und die Argumentation noch werthaltig. Es ging um die Ermöglichung eines allgemeinen und nicht zu kostspieligen Zugangs zu Bildungsgütern. Kreativität ist so gesehen schon etwas wert, jedoch nur dann, wenn sie nicht einer Bildungs- und Wissenselite vorbehalten bleibt.

Die heutige Praxis sieht ganz anders aus. Die Konstruktion des Gutes „Geistiges Eigentum“ wird von einigen Ignoranten komplett als Schmarotzertum abserviert, andere denken, dass ohne den strafbewährten Schutz der Verwertungsmechanismen die komplette Wissensgesellschaft und der Kunstbetrieb zusammenbrechen werde. Dies- und jenseits dieser beiden extremen Vorstellungen hat sich allerdings eine dritte, neue herausgebildet, die wieder an die Ideen der siebziger Jahre anknüpft – Open Source – Public Domain – Creative Commons: Wissen und Kunst werden hier als Güter angesehen, die frei tauschbar und zugänglich sein müssen. Im emphatischen Sinn ist Kreativität nach dieser Auffassung nur dann werthaltig, wenn sie sich in alle Richtungen entfalten kann: ob bei der Entwicklung einer Software, eines Medikamentes, einer philosophischen Theorie oder der Herstellung einer Komposition. Die Philosophie fasst dies unter dem Begriff des gerechten Tausches zusammen. Dazu aber bedarf es des Schutzes und des Engagements der Gesellschaft als Ganzer. Diesen Schutz an das Strafrecht und die Polizei abzugeben ist zwar enorm praktisch, aber billiger ist es für die Gesellschaft auch nicht. Auch die Polizei kommt ja nicht aus der Steckdose.

Musik: Conlon Nancarrow: Player Piano Study No.11 (T 8, Anfang)

Autor: Leider findet sich in der Bugwelle der Idee des öffentlichen Gemeinguts eine nicht geringe Anzahl von Trittbrettfahrern, die die öffentliche Diskussion durch einen hirnlosen Dogmatismus unterlaufen; und allen Ernstes meinen, man könne geistiges Eigentum beliebig enteignen wie es einem gerade passt. Dieses Verhalten ist nicht mehr politisch-gesellschaftlich motiviert sondern bloßer Hedonismus.

Doch auch die Gegenseite verbündet sich mit den falschen Freunden. Und das ist etwas, was einen an der Initiative „Wert der Kreativität“ unter dem Dach des Deutschen Kulturrates ärgern muss. Man positioniert sich hier „nur“ gegen die Kostenlos-Gesellschaft, ohne ein Wort darüber zu verlieren, wozu denn Kreativität dient und wem sie zugute kommt. Kreativität wird zu einer rein privatistischen, bloß persönlichen Leistung entwertet, die sich wie jede andere Ware oder Dienstleistung verhält. Das sieht man zum Beispiel an der Wahl der Partner dieser Initiative: die GEMA, der Bundesverband der phonographischen Industrie, die deutsche Phonoakademie, der deutsche Musikverlegerverband. Das sind also drei Industrieverbände und ein Inkassounternehmen. Und die haben es im Prinzip nur mit der Verwaltung von Geist und dessen Verkäuflichkeit zu tun. Kreativität ist für diese Organisationen nun wirklich nicht die Basis der Gesellschaft sondern nur die Grundlage ihres Geschäfts. Es handelt sich somit im Prinzip um eine Geldwäsche von Geist.

Wenn tatsächlich Kreativität und nicht monetäres Gewinnbestreben die Basis unserer Gesellschaft wäre, hätten wir tatsächlich eine bessere und liebenswertere. Der Deutsche Kulturrat laboriert mit seiner Initiative deshalb bloß an einem Oberflächenphänomen herum, wo es eigentlich gälte, die Gesellschaft als Ganze ins Visier zu nehmen. „Keine Emanzipation ohne die der Gesellschaft“ hat schon Adorno im amerikanischen Exil geschrieben. Heute denkt man lieber in kleiner Münze, aber vor allem eben mit Silberlingen. Und so muss man dem Deutschen Kulturrat entgegen halten …

Musik: Kinderzimmer Productions, Das Gegenteil von gut (ab 1:43/44 „Vielen Dank für Deine Tips, Du meinst es gut wie mir scheint, doch das Gegenteil von Gut ist gut gemeint.“)

taktlos

taktlos ist eine sendung des bayerischen rundfunks und der neuen musikzeitung

Musik: Conlon Nancarrow: Player Piano Study No.11 (T 8, Anfang)

Autor: Der gesellschaftliche Umgang mit „geistigem Eigentum“ ist kein Problem der Gegenwart. Bereits 1974 wird im Nachwort eines Nachdrucks des Buches „Anti-Ödipus“ erklärt, warum man sich entschlossen habe, „Geist geil“ zu finden und billige Nachdrucke von teuren Verlagsobjekten herzustellen. Unter der Überschrift „Schizophrenie im Kapitalismus oder Die Logik des Kapitals“ kann man da lesen:

Zitatsprecher: „Das Problem: Manche Bücher können wegen eines sehr hohen Preises nur von einer sehr kleinen Leserschaft erworben werden. Dadurch können Werke die für bestimmte Wissenschaftsbereiche und/oder auch gesamtgesellschaftlich relevant sind, einer breiteren (wissenschaftlichen) Diskussion entzogen werden. … diesen Büchern ist eines gemeinsam, sie sind (oder waren) als ,sozialisierte Drucke’ (mitunter auch ‘Raubdrucke’ genannt) erhältlich, die Mechanismen monopolistischer Verwertung geistiger Produktion wurden durchbrochen und zumindest ansatzweise eine zwar partiell illegale, nichtsdestoweniger aber legitime Befriedigung von Informations-, Agitations- und Bildungsbedürfnissen sichergestellt.“

Autor: Das war 1974 und die Argumentation noch werthaltig. Es ging um die Ermöglichung eines allgemeinen und nicht zu kostspieligen Zugangs zu Bildungsgütern. Kreativität ist so gesehen schon etwas wert, jedoch nur dann, wenn sie nicht einer Bildungs- und Wissenselite vorbehalten bleibt.

Die heutige Praxis sieht ganz anders aus. Die Konstruktion des Gutes „Geistiges Eigentum“ wird von einigen Ignoranten komplett als Schmarotzertum abserviert, andere denken, dass ohne den strafbewährten Schutz der Verwertungsmechanismen die komplette Wissensgesellschaft und der Kunstbetrieb zusammenbrechen werde. Dies- und jenseits dieser beiden extremen Vorstellungen hat sich allerdings eine dritte, neue herausgebildet, die wieder an die Ideen der siebziger Jahre anknüpft – Open Source – Public Domain – Creative Commons: Wissen und Kunst werden hier als Güter angesehen, die frei tauschbar und zugänglich sein müssen. Im emphatischen Sinn ist Kreativität nach dieser Auffassung nur dann werthaltig, wenn sie sich in alle Richtungen entfalten kann: ob bei der Entwicklung einer Software, eines Medikamentes, einer philosophischen Theorie oder der Herstellung einer Komposition. Die Philosophie fasst dies unter dem Begriff des gerechten Tausches zusammen. Dazu aber bedarf es des Schutzes und des Engagements der Gesellschaft als Ganzer. Diesen Schutz an das Strafrecht und die Polizei abzugeben ist zwar enorm praktisch, aber billiger ist es für die Gesellschaft auch nicht. Auch die Polizei kommt ja nicht aus der Steckdose.

Musik: Conlon Nancarrow: Player Piano Study No.11 (T 8, Anfang)

Autor: Leider findet sich in der Bugwelle der Idee des öffentlichen Gemeinguts eine nicht geringe Anzahl von Trittbrettfahrern, die die öffentliche Diskussion durch einen hirnlosen Dogmatismus unterlaufen; und allen Ernstes meinen, man könne geistiges Eigentum beliebig enteignen wie es einem gerade passt. Dieses Verhalten ist nicht mehr politisch-gesellschaftlich motiviert sondern bloßer Hedonismus.

Doch auch die Gegenseite verbündet sich mit den falschen Freunden. Und das ist etwas, was einen an der Initiative „Wert der Kreativität“ unter dem Dach des Deutschen Kulturrates ärgern muss. Man positioniert sich hier „nur“ gegen die Kostenlos-Gesellschaft, ohne ein Wort darüber zu verlieren, wozu denn Kreativität dient und wem sie zugute kommt. Kreativität wird zu einer rein privatistischen, bloß persönlichen Leistung entwertet, die sich wie jede andere Ware oder Dienstleistung verhält. Das sieht man zum Beispiel an der Wahl der Partner dieser Initiative: die GEMA, der Bundesverband der phonographischen Industrie, die deutsche Phonoakademie, der deutsche Musikverlegerverband. Das sind also drei Industrieverbände und ein Inkassounternehmen. Und die haben es im Prinzip nur mit der Verwaltung von Geist und dessen Verkäuflichkeit zu tun. Kreativität ist für diese Organisationen nun wirklich nicht die Basis der Gesellschaft sondern nur die Grundlage ihres Geschäfts. Es handelt sich somit im Prinzip um eine Geldwäsche von Geist.

Wenn tatsächlich Kreativität und nicht monetäres Gewinnbestreben die Basis unserer Gesellschaft wäre, hätten wir tatsächlich eine bessere und liebenswertere. Der Deutsche Kulturrat laboriert mit seiner Initiative deshalb bloß an einem Oberflächenphänomen herum, wo es eigentlich gälte, die Gesellschaft als Ganze ins Visier zu nehmen. „Keine Emanzipation ohne die der Gesellschaft“ hat schon Adorno im amerikanischen Exil geschrieben. Heute denkt man lieber in kleiner Münze, aber vor allem eben mit Silberlingen. Und so muss man dem Deutschen Kulturrat entgegen halten …

Musik: Kinderzimmer Productions, Das Gegenteil von gut (ab 1:43/44 „Vielen Dank für Deine Tips, Du meinst es gut wie mir scheint, doch das Gegenteil von Gut ist gut gemeint.“)

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